Beschleunigt gegen Asylbewerber

Bundestag verabschiedet das Beschleunigungsgesetz für Asylverfahren/ Rechtsmittelverfahren verkürzt, Kasernierung beschlossen/ Burkhard Hirsch (FDP) als einsamer Rufer in der Wüste  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

In einem Monat wird es soweit sein. Dann werden Flüchtlinge, die in der Bundesrepublik Schutz suchen, in Sammellagern kaserniert, erkennungsdienstlich erfaßt und binnen Wochenfrist angehört. Wird ihr Asylbegehren abgelehnt, bleiben den Betroffenen zwei Wochen Zeit zum Einspruch. Ist über den negativ entschieden, gibt es kein weiteres Rechtsmittel — die Abschiebung droht.

Gestern verabschiedete der Bundestag das Asylverfahrensgesetz mit den Stimmen von FDP, CDU/CSU und SPD. Fünf sozialdemokratische Abgeordnete, die PDS und das Bündnis 90/Die Grünen votieren gegen diesen seit 1982 achten Versuch, die Asylverfahren schneller abzuwickeln. In einer Frist von sechs Wochen, so das neue Gesetz, soll in „offensichtlich unbegründeten Fällen“ über einen Asylantrag entschieden werden können. Im Oktober vergangenen Jahres hatten sich Politiker von SPD und Regierungsparteien bei einem Spitzengespräch im Kanzleramt auf dieses Ziel verständigt. Damals, als beinahe täglich Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und Wohnheime verübt wurden, versprach sich die SPD von diesem Gemeinschaftswerk, die Asyldebatte zu entschärfen. SPD-Chef Björn Engholm und seine Stellvertreterin Herta Däubler-Gmelin verbuchten das Kanzlergespräch als großen Erfolg.

Die gestrige Bundestagsdebatte war nun der Abschluß dieses mit großen Aufwand inszenierten Gemeinschaftswerkes. Vielleicht je ein Dutzend Abgeordnete bei beiden großen Parteien waren im Wasserwerk, als das Asylverfahrensgesetz aufgerufen wurde. Während sich in der ersten SPD-Reihe die Unterhändler Bernrath, Wartenberg und Wiefelspütz brav aufgereiht hatten, kam der führende Innenpolitiker der Unionsfraktion, Johannes Gerster, recht spät. Der Innenminister hatte seinen Staatssekretär geschickt. Die pflichtgemäß anwesende frischgebackene Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberg hielt eine Rede, von der vor allem vermerkt werden muß, daß sie ebenso wie Amtsvorgänger Kinkel eine Änderung des Grundgesetzartikels 16 im Zuge europäischer Harmonisierung erwägt. Weil, wie nach den beiden letzten Landtagswahlen üblich, ein moderater Umgang mit der brenzligen Asylfrage vereinbart war, gab diese Debatte wenig neuen Aufschluß darüber, wieweit sich die SPD in puncto Grundgesetzänderung nunmehr bewegt hat. Klar wurde indessen zum wiederholten Male, daß das individuelle, gerichtlich einklagbare Grundrecht auf Asyl in Burkhard Hirsch (FDP) einen engagierten Verfechter hat. Er saß die ganze Zeit allein.

Die Eröffnungsrede von Erwin Marschewski (CDU) provozierte denn auch gleich die erste von Hirschs zahlreichen Zwischenfragen. Keine Verfassung der Erde, so hatte der Christdemokrat behauptet, würde auf die bloße Behauptung, jemand sei politisch verfolgt, derartige Rechte garantieren wie die deutsche. Hirsch verwies auf die Portugals und Italiens. Marschewski blieb beim Credo der Union: das Aslyverfahrensgesetz sei ein begrüßenswerter Schritt der Gemeinsamkeit, dem die Grundgesetzänderung folgen müsse. Der sozialdemokratische Innenexperte Hans Gottfried Bernrath, der seiner Fraktion schon vor Monaten empfohlen hatte, eine Grundgesetzänderung ins Auge zu fassen, stellte diesmal heraus, daß nach Deutschland nur gelangen könne, wer sich auf Artikel 16 beruft. Über zwei Drittel der Flüchtlinge, die in diesem Jahr gekommen seien, kämen aus den Bürgerkriegsgebieten Südosteuropas. Ein befristetes Bleiberecht für diese Flüchtlinge mahnte auch Burkhard Hirsch als dringlichsten nächsten Schritt an. Auch Unionspolitiker sprachen sich gestern dafür aus — umso erstaunlicher also, daß sie sich in den Verhandlungen des Innenausschusses gegen diesen gesonderten Flüchtlingsstatus gesperrt hatten. Nicht nur in dieser Frage, auch bei fast dreihunderttausend angestauten „Altfällen“ stehen die Klagen der Union über das Zuwanderungsproblem in bemerkenswertem Gegensatz zu ihrer Untätigkeit. Es gab durchaus Vorschläge, wie die „Altfälle“, die die Arbeit der Zirndorfer Bundesstelle blockieren und die Länder belasten, schnell bearbeitet werden könnten.

„Schlicht rechtswidrig“ nannte der niedersächsische Minister für Bundesangelenheiten Jürgen Trittin (Grüne) das nun verabschiedete Asylverfahrensgesetz. Diesen Befund hatte im März auch eine Anhörung von Experten erbracht. Deren Bedenken blieben bei der weiteren Arbeit am Gesetz fast unberücksichtigt.

Als „offensichtlich unbegründet“ stufte die Arbeitsgemeinschaft „Pro Asyl“ das vom Bundestag beschlossene Asylverfahrensgesetz ein. Das Gesetz sei eine denkbar unpassende Antwort auf das wachsende Flüchtlingselend.