Endlagerung im Mythos

■ Eine Überraschung war die Auszeichnung des ebenso populären wie erfolgreichen Films "Schtonk" über die gefälschten Hitlertagebücher nicht. Die selten einmütige Entscheidung zeigt jedoch nur die Kehrseite der ...

Endlagerung im Mythos Eine Überraschung war die Auszeichnung des ebenso populären wie erfolgreichen Films „Schtonk“ über die gefälschten Hitlertagebücher nicht. Die selten einmütige Entscheidung zeigt jedoch nur die Kehrseite der anhaltenden Misere des deutschen Films. Die Filmförderung ermutigt offenkundigen Hospitalismus. Die Politiker haben sich mit der Misere abgefunden, und die deutsche Filmbranche führt sich auf wie ein Häufchen Übriggebliebener.

Schtonk mußte sein. Diesmal haben's wirklich alle vorher gewußt. Die Filmband in Gold, verbunden mit einer Prämie in Höhe von 900.000 Mark, der höchste der deutschen Filmpreise, den der Bundesminister des Innern am Donnerstag im Berliner „Theater des Westens“ verlieh, ging an Schtonk, den „Film zum Buch vom Führer“ aus den Münchner Bavaria Studios. Die seltene Einmütigkeit, mit der diese Entscheidung vorausgesagt und gebilligt wurde, ist freilich nur die Kehrseite der anhaltenden Misere des Neuen Deutschen Films.

Schtonk ist zur Zeit weit und breit der einzige deutsche Film, der — im Gegensatz etwa zum noch erfolgreicheren Schenkel-Film Knight Moves — selbstbewußt deutsch daherkommt und trotzdem nicht nur bei der Kritik, sondern auch beim deutschen Kinopublikum ankommt: Am 12. März gestartet, brachte es Schtonk schon in den ersten sechs Wochen auf knapp 1,5 Millionen Besucher. So populär, so gutgemacht und witzig, dazu auf so eine unanstößige Weise linksliberal, daß auch gestandene Rechte mitschmunzeln können: Überglücklich packte die Jury gleich noch Filmbänder in Gold drauf für den Regisseur und Drehbuchautoren Helmut Dietl und für Götz George, den in der Tat grandios komischen Star dieses Films.

Fest stand ebenfalls, daß auf dem zweiten Platz — Filmband in Silber plus 600.000 Mark — ein Ossi einlaufen mußte. Mag sein, daß Herwig Kippings Land hinter dem Regenbogen wirklich der einzige Ost-Film im Angebot war, der „wenigstens wütend“ sei, wie mir ein Jury-Mitglied erklärte. Und doch hat sich die Jury zielstrebig den einen Ost-Film herausgeklaubt, der — hier wie drüben — niemandem zu nahe tritt: Er spielt nämlich 1953, wütet bildmächtig gegen einen Prolet- und Stalin- Kult, den heute nicht einmal die PDS verteidigen würde.

Dabei lag die Stärke des Ost- Films im letzten Jahr, schon aus akutem Geldmangel, in aktuellen Dokumentarfilmen. Doch preiswürdige Arbeiten wie Kein Abschied — nur fort von Lew Hohmann und Joachim Tschirner wurden schon in der Vorauswahl ausgesiebt, und Der schwarze Kasten, die Auseinandersetzung mit einem Stasi-Schreibtischtäter, kam zwar unter die letzten zehn, war der Jury dann aber doch zu streng und moralisch für einen Hauptpreis.

Ernsthaft umstritten war denn auch nur, wer den dritten Hauptpreis, ebenfalls ein Filmband in Silber plus 600.000 DM, erhalten würde. Er wurde an Sherry Hormanns Regie-Debüt Leise Schatten verliehen: Das sei doch immerhin ein Frauenfilm, lobte Antje Vollmer, die für die Grünen in der BMI-Jury saß, auch wenn er hart an der Grenze zum Kitsch entlangschramme. Von einer anderen Jurorin erfuhr ich, daß sich für diesen Film — wie auch für Fürchten und Lieben von Margarethe von Trotta — vor allem die Männer im Ausschuß stark gemacht hätten. So fahrig-flatterhaft und gefühlsbetont, von so diffuser Sehnsucht nach dem Anderen hin- und hergebeutelt — so können auch gestandene Herren weibliches Emanzipationsbegehren goutieren: Shermanns Hauptdarstellerin Ann Gisel Glass bekam denn auch zusätzlich ein Filmband in Gold für ihre Darstellung einer „Widerspenstigen voller motorischer Unruhe [...], den Trotz eingeschrieben in ihr Gesicht, in dem auch immer wieder eine große Sehnsucht spürbar wird“ (aus der offiziellen Begründung).

Der Feind steht draußen

Die Blamage einer sich aufgeklärt dünkenden Illustrierten, der Stalin- Kult von vor vierzig Jahren und der Mangel an Meer in Müchner Neubausiedlungen: easy targets, das kritische Mütchen an unverfänglichen Zielen kühlen, das scheint die Kompromißlinie zu sein, auf der sich die hiesige Staatsmacht und die von ihr ausgehaltene Filmszene getroffen haben.

Das Kriegsbeil, das Friedrich Zimmermann zu Anfang der achtziger Jahre gegen das traditionell linksliberale Filmmilieu geschwungen hatte, ist ja auch längst begraben: Staatliche Fördergelder — knapp 200 Millionen Mark pro Jahr mittlerweile — fließen reichlicher denn je, und Filme wie Bleierne Zeit, Stammheim oder Rosa Luxemburg traut sich längst kein Produzent mehr einzureichen bei Sendern oder Fördergremien. Staatliche Filmpolitiker und staatlich gepäppelte Produzenten sind deshalb inzwischen zusammengerückt, haben sich zum Kampf gegen einen gemeinsamen Feind verbündet: gegen ihre wachsende Erfolgs- und Bedeutungslosigkeit, gegen die Unsichtbarkeit, in der das Gros der deutschen Filme verschwindet.

Dem deutschen Film, klagte gleich zum Auftakt der Preisverleihung die Präsentatorin Jutta Wachowiak, werde „Öffentlichkeit versagt“. Preisträger Mario Adorf schimpfte, das sein Film Pizza Colonia nicht ins Kino komme, weil Terminator 2 mit 500 Kopien laufe: „Da sage ich nur: Schrott!“ Und Pizza Colonia-Autor Bernd Schroeder, auch er mit einem Filmband in Gold dekoriert, legte nach mit einer Polemik gegen die neuen Multiplex- Kinos der US-Konzerne: Pizza Colonia laufe doch — morgen um 22.30 Uhr im UCI-Multiplex in Köln- Hürth, weit draußen vor der Stadt, neben einem Shopping-Center, man solle aber eine Begleitung oder eine Gaspistole mitnehmen.

Die anderen sind schuld an der Misere des deutschen Films, darin war man sich einig: Die Verleiher, die Kino-Center, die Amis. Das das massenhafte Desinteresse am deutschen Film auch die Quittung sein könnte für seine handwerkliche Erbärmlichkeit, seine politische Feigheit, seine lendenlahme zahnlose Gefälligkeit, kurz: für den offenkundigen Hospitalismus, den das Fördersystem ermutigt, mit diesem allzu naheliegenden Gedanken mochte keiner die verordnete Fröhlichkeit der Feierstunde stören.

Mythos Babelsberg

Im letzten Jahr hatte immerhin Volker Schlöndorff den Mut gehabt, das Offenkundige auszusprechen: „Schande über uns alle“, so kritisierte der eben für Homo Faber Dekorierte damals sich und seine Kollegen für ihre Wirklichkeitsferne. Diesmal stand er neben Jutta Wachowiak als Präsentator der Filmbänder für hervorragende Einzelleistungen auf der Bühne und kein kritisches Wort kam ihm über die Lippen. Er stand freilich auch in Kulissen, die die „Marlene-Dietrich-Halle“ der Babelsberger Ufa/DEFA-Studios vorstellen sollten; deren neuer Besitzer, der französische Konzern Générale des eaux, hat Schlöndorff als möglichen Studio-Chef im Auge. Ihm konnte es also nur recht sein, daß der diesjährige Deutsche Filmpreis ganz ins Zeichen von „80 Jahren Babelsberg“ gestellt worden war.

Es entbehrt freilich nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik, daß Babelsberg ausgerechnet zu einem Zeitpunkt zum nationalen Mythos stilisiert wird, an dem der Betrieb an einen ausländischen Konzern verkauft wurde. Babelsberg sei, so wurde an diesem Abend suggeriert, der Urquell des deutschen Films. Zur Eröffnung der Verleihungszeremonie lief ein Zusammenschnitt von DEFA- und Ufa-Filmen, der den Eindruck erweckte, als seien da etwa in den letzten 40 Jahren fast nur Filme wie Solo Sunny oder Spur der Steine gedreht worden. Obwohl Marlene Dietrich in Babelsberg nur für einen einzigen bedeutenden Film vor der Kamera stand, zum Weltstar erst in den USA wurde, suggerierte das Bühnen-Arrangement mit dem lilagerahmten Marlene-Altar samt Rosenstrauß und Punktstrahler, Babelsberg sei ihre eigentliche Heimat, ihr Tempel gewesen. Und die Moderation tat so, als ließe sich ihr antifaschistisches Engagement zur moralischen Reinwaschung der Babelsberger Ideologiefabrik in Anspruch nehmen.

So wurde an diesem Abend Babelsberg — unter den Schwarzweiß- Ikonen „unserer“ Marlene — wenigstens ideologisch heimgeholt. Daß das Gros der besten deutschen Filme trotz, seit spätestens Anfang der sechziger Jahre außerhalb und gegen Studiobetriebe wie den in Babelsberg entstanden, verdrängt das an diesem Abend inszenierte Geschichtsbild. Wenn der deutsche Film schon keine Gegenwart im Kino und in den Köpfen der Massen hat, soll ihm wenigstens eine Heimstatt im Mythos gewährt werden. Die Entsorgung des deutschen Films kommt gut voran. Kraft Wetzel