Der unbedingte Wille zum eigenen Ausdruck

■ Das 13. Theatertreffen der Jugend fand erstmals in Prenzlauer Berg statt

Vor den Latz geknallt hieß die Liedrevue, mit dem die »Theater Jugend Hamburg« das diesjährige Berliner Theatertreffen der Jugend eröffnete — und zumindest stimmungsmäßig traf sie damit voll ins Schwarze. Das nunmehr 13. Treffen dieser Art hatte 13 Produktionen aus allen deutschen Bundesländern eingeladen und begeisterte ein dankbares Publikum immer wieder aufs neue.

War im letzten Jahr nur eine einzige Alibi-Gruppe aus den neuen Bundesländern vertreten, so gab es diesmal schon vier. Darüber hinaus war die ganze Veranstaltung in den Ernst-Thälmann-Park verlegt worden und demonstrierte dort in der Wabe und im Puppentheater besser als viele andere der schütteren Vereinigungsübungen dieser Tage die Selbstverständlichkeit, mit der Unterschiede als Eigenwert anerkannt werden können. Hier wurde einmal nicht von Integration gesprochen — sie wurde einfach praktiziert: von einem Ost-West-Gefälle weit und breit keine Spur.

Doch ist dies nicht der einzige Punkt, der das Treffen der Jugend wohltuend von der gestelzten Parade des vorgeschalteten Theatertreffens der Stadt- und Staatstheater unterschied. Die an jede Aufführung anschließende Diskussion hatte hier plötzlich wieder Sinn und zeigte, mit welcher schonungslosen Offenheit die Jugendlichen bereit sind, über ihre Bedürfnisse zu reden und sie auch gegen die autoritären Theaterformen zu artikulieren und durchzusetzen.

Dabei unterstützte der Applaus frenetisch jede Darbietung und schuf so ein Gefühl der vorbehaltlosen Solidarität. In den Diskussionen ging es — ganz anders als im Spiegelzelt bei den sogenannten Profis — in der Regel heiß und kompromißlos zur Sache.

Die Vorsitzende der diesjährigen Jury, die Theaterwissenschaftlerin Frau Dr. Christel Hofmann, wies in der Auswahlbegründung darauf hin, daß die Tendenz der Jugendlichen, nicht mehr nur als Schüler, sondern als verantwortlicher Jugendlicher Theater zu spielen, gesellschaftlich zunehmend Raum greife.

Als Beweis dessen waren zahlreiche außerschulische Theatergruppen ins Programm aufgenommen worden: neben fünf Gymnasien und zwei Gesamtschulen wurden sechs Gruppen aus Freizeiteinrichtungen und Volksschulen vorgestellt.

Gerade in den neuen Bundesländern ist dabei oft die Not zur Tugend geworden. Da hier im Umbruch des Schulsystems kaum mehr etwas von den ehemaligen Theaterschulgruppen besteht, hat sich das ungebrochene Bedürfnis nach Theaterspiel in das soziale Umfeld der Jugendlichen verlagert. Private Initiative ist gefragt und hat schon viele Gruppen ins Leben gerufen.

Der unbedingte Wille, eigenen Erfahrungen Ausdruck zu geben, ist so stark, daß es schon unangenehm auffällt, wenn theaterpädagogische Leiter oder professionelle Regisseure die Jugendgruppen selbstherrlich anführen und damit am Anliegen der Jugendlichen vorbeigehen.

Der choreographierte Eröffnungsabend hatte etwas davon und wurde zum Gradmesser aller folgenden Vorstellungen: nur wo die Bedürfnisse der Jugendlichen sich voll artikulieren durften, war keine Langeweile zu verzeichnen.

Mit der Gruppe »Reissverschluß« wurde eine Ostberliner Gruppe eingeladen, der solche absolut professionelle Leitung deutlich anzumerken war. Dementsprechend war das Alter der jungen Schauspieler zum großen Teil auch schon weit über 20 Jahre und damit kaum mehr dem Jugendtheater zuzurechnen. Die hochstilisierte, ganz auf den extremen Körpereinsatz setzende Aufführung versuchte den Erwartungs- und Leistungsdruck der Erwachsenenwelt als alptraumhafte Fremdbestimmung aufzuzeigen und deutlich zu machen, wie der jugendlichen Selbstfindung keine gesellschaftliche Chance gelassen wird. Bei aller Anerkennung gegenüber der ästhetisch stimmigen Leistung verstanden manche Zuschauer nicht, warum dem ernsten, sie selbst betreffenden Thema mit einer theatralisch so gefälligen Form begegnet werden mußte. Allzu große, die Direktheit der Erfahrung vernebelnde Künstlichkeit wurde stets kritisch hinterfragt.

Völlig ungekünstelt und mit der musikalischen Unterstützung einer Jugendband stellte sich das deutsch- türkische Jugendtheater »Kulis« vor. Unter dem Titel Die Band und die Bande thematisierte die Volkshochschulgruppe aus dem Wedding die Berliner Jugendkriminalität und Bandenbildung. In schlaglichthaften Kurzszenen wurde die Straße als Hort von Aggression und Gewalt aufgezeigt: ein böser Angriff auf das oberflächliche Harmoniebedürfnis, das das Problem der Fremdenintegration gern unter den Tisch kehren würde. Die dreißigköpfige Gruppe agierte dabei immer hart am und im Publikum, so daß die Gewalt, die auf der Bühne ausgestellt wurde, im ganzen brodelnden Saal der Wabe spürbar miterlebt werden konnte.

Als krasser Kontrast dazu erwies sich mit bewunderswerter Eindringlichkeit die Gruppe »Ramba Zamba« des Vereins Sonnenuhr Berlin. In einer tief bewegenden Aufführung erzählten Behinderte und Nichtbehinderte die Geschichte der märchenhaften Reise des Prinzen Weichherz. Dabei war das Unternehmen weit davon entfernt, die Tatsache der Behinderung vordergründig auszustellen. Das Publikum wurde auf eine seltene Art mitgerissen und steigerte sich in eine Anteilnahme am Geschehen und an den Akteuren, daß am Ende der Strom derer nicht abriß, die auf die Bühne sprangen, um mit den Schauspielern einen feurigen Schlußtanz zu absolvieren.

Berlin kann mit dieser Ausnahmeerscheinung noch einmal Berührung aufnehmen: das Deutsche Theater hat die Gruppe für den 13. Juni in ihr Haus eingeladen (die taz wird darüber berichten).

Das Theatertreffen der Jugend '92 hat insgesamt gezeigt, wie lebendig die Institution Theater noch immer sein kann: wenn ganz nah an die Themen herangegangen wird und die Spieler und Zuschauer nicht mit literaturverpflichteten Erfüllungsleistungen oder ästhetischen Eskapaden überfordert werden. Was junge Menschen derzeit auf den Bühnen der Freizeitheime und Schulen artikulieren, ist von allgemeinem, ja politischem Interesse. Wie brauchbar diese uralte Form gesellschaftlicher Kommunikation noch immer ist, wurde hier — allen Unkenrufen zum Trotz — jeden Tag lebhaft unter Beweis gestellt. Davon wünschte man sich mehr, viel mehr. baal