»Bewußtes Lesen« im Zentrum der Stadt?

■ Bibliotheks-Pläne für den »Palast der Republik«

Wie ich die melancholische Brücke verlasse, bin ich in Berlin. Mit einem wüsten Bauplatz zur Rechten fängt es an. Es steht in der Bibel und es ist verheißen: dies wird der erste Turmbau Berlins.(Alfred Döblin)

Was Döblin 1924 auf die nördliche Friedrichstraße münzte, mag siebzig Jahre später auch für benachbarte Stadtgegenden gelten. Die Frage: Wird sich anstelle des »Palastes der Republik«, dieses gleichermaßen asbest-, wie geschichtsverseuchten Baus, ein »wüster Bauplatz« auftun, Millionen verschlingend, der erste Schritt zur Rekonstruktion des Stadtschlosses? Zu den vielen angedrohten Turmbauten nun also dieser?

Lange kamen aus gelähmten Köpfen Argumente, wieso kein Stadtschloß wiederzuerrichten sei. Neuerdings aber gibt es eine Idee: man könne doch aus dem Palast der Republik eine »Große Öffentliche Bibliothek« machen.

Fritz Bornemann, der große alte Bornemann des Bibliothekenbaus, hat der taz verraten, wie diese »Freiheit, die wir jetzt dem Palast der Republik geben«, wohl aussehen könnte. Erst müsse die Formel entworfen werden, so der Architekt (nicht nur) der Amerika-Gedenkbibliothek: Der »Palast der Republik« habe den Machtanspruch der SED symbolisiert, innen wie außen. Der »Palazzo Prozzo«, wie ihn die Italoberliner Schnauze taufte, sei ein Ort des verordneten Denkens, Abstimmens, Lesens gewesen — kein Ort, um über Freiheit nachzudenken. Genau das aber mache das Buch möglich. Die Freiheit des Lesens durchbreche den Machtanspruch, für den der Palast stand.

Der Palast sei durch seine Höhe »ideal« für eine Bibliothek. Seine fünf Geschosse böten mehr Platz als für die Erweiterung der Amerika- Gedenkbibliothek und der Berliner Stadtbibliothek veranschlagt. Und genau die beiden könnten in den Palast einziehen, zusammen mit der Senatsbibliothek. Aber von einer Dreiteilung will der Bornemann nichts mehr hören. Eine Leselandschaft soll entstehen, in der die einzelnen Bibliotheken nurmehr Kolonien sind. Die LeserInnen sollen sich frei bewegen können, wie in einem »geistigen Kaufhaus«. Sie kämen herein ins Foyer, das ein »Jahrmarkt« wäre: Ort der Orientierung, der Kommunikation, der Literatursuche. Und je weiter sie sich verliefen in den fünf Ebenen des Palastes, fänden sie Plätze »bewußten Lesens«, der Versenkung oder des Musikhörens — die »große Öffentliche« soll alle Medien beherbergen.

Wie man sich das von außen vorstellen könnte, hat ein mit dem »Publizistikpreis des Deutschen Bibliotheksverbandes« ausgezeichneter Berliner Bibliothekar vergangene Woche ausgemalt. Ein aus der Nationalgalerie oder der Staatsoper kommender Besucher, sagte Ludger Bült von der »Alfred-Döblin-Patientenbibliothek« in seiner Preisrede in Essen, sei »unverhofft dem Nichts ausgesetzt«. »Ein Palast der Republik des Geistes« könne den Stadtraum neu beleben — durch »täglich Tausende von Bibliotheksbesuchern und Bücherstöberern, die mit Büchern unterm Arm Platz und Straßen bevölkern«.

»Palast der Republik des Geistes« wäre als Name zu »pathetisch und hölzern«, weiß Ludger Bült selber. Bei der Suche nach einem Namen fällt ihm eher Moses Mendelssohn ein, der jüdische Philosoph, der für Aufklärung, Emanzipation und die Freiheit der Überzeugungen stehe. »Berlin und die Bundesrepublik könnten an ihm und seinen Schriften wachsen und einen Maßstab für die kulturelle Identität eines neuen Landes und einer multikulturellen Gesellschaft der gleichberechtigten Bürger finden«. Christian Füller