Wenn Autos Charakter haben, sind sie zeitlos

■ Wheels National American Car and Bike Show an der Jafféstraße/ Chevrolets, Buicks, Cadillacs und Fords — benzinverschwendende Dinosaurier?

Kalifornien, im Mai. In der Mittagssonne flimmert der Teer des Pacific Coast Highway. Der purpurne, tonnenschwere Buick Century schaukelt gemächlich an den Felshängen Santa Monicas und den Surfern von Venice Beach vorbei. »Touch me, Babe«, säuselt der Lizard King aus dem Lautsprecher. Ich schalte die Klimaanlage eine Stufe höher.

Berlin, im Juni. »Was ich interessant finde an dieser Veranstaltung, ist dieser Widerspruch, wie man heutzutage noch so einen benzinverschwendenden Dinosaurier fahren kann«, sagt der Lokalchef. Mit dieser Aufgabenstellung im Hinterkopf, achttausend verfügbaren Mark und einem autobegeisterten Sachverständigen an meiner Seite betrete ich das Gelände an der Jafféstraße, auf der am Samstag und Sonntag die »Wheels National American Car and Bike Show« stattfand. Dort, auf dem Oktoberfestgelände tummeln sich weiße Chevrolets mit Haifischflossen, rundäugige Buicks, bonbonfarbene und goldene Cadillacs, schwarze Fords und Nachbauten der legendären »Corvette« zwischen tätowierten, bebärteten Verkäufern amerikanischer Fähnchen und T- Shirts, Hot Dogs, Coke und einem elektrischen Bullen, auf dem junge Berliner vorführen dürfen, wie lange sie sich oben halten können.

»Zwanzigtausend«, sagt der junge Mann. Vielleicht auch achtzehntausend will er haben für den weißen, über sechs Meter langen, anderthalb Tonnen schweren und dreißig Jahre alten Chevrolet Delray. Zwanzig Liter im Stadtverkehr würde er wohl brauchen, dafür sei er aber mit Originalteilen generalüberholt. Nur zugelassen sei der Delray nicht, aber er käme sicherlich spielend durch den TÜV, schließlich werde er seit einem Jahr in der Garage gepflegt.

Die Frage, ob es nicht unzeitgemäß sei, mit solch einem Auto herumzufahren, hat sich also erübrigt, daher stellt mein Sachverständiger die naheliegendere Frage, wieviel Steuern und Versicherung das Auto koste. »Bei 148 PS ist die Versicherung nicht allzu hoch« — bei 4,2 Litern Hubraum. »Und eine Garage brauchen Sie natürlich, so ein gutes Stück darf man nicht über Nacht im Freien herumstehen lassen.«

Das strahlend schöne weiße Mercedes-Coupé, ein amerikanischer Nachbau von 1938 mit einem neuen Cadillac-Motor, soll sogar 79.000 Mark bringen. Der Besitzer, ein Ostdeutscher — »früher durften wir ja sowat nich, wa!« — hat das Prunkstück mit seinen roten Ledersesseln per Container über Bremerhaven importiert, allein der Zoll habe ein Viertel des Kaufpreises betragen. Ob so ein Auto nicht unzeitgemäß viel Benzin verbrauche, will ich wissen, eine Frage, die angesichts seines Besitzerstolzes so unpassend wirkt, als frage man in einer Devotionalienhandlung nach Kondomen. »Da können Se ja gleich Golf fahren«, meint er mißbilligend.

Auch der schwarze Ford Thunderbird von 1980 kostet etwa das Vierfache der verfügbaren achttausend Mark, während der zweisitzige schwarze Ford von 1938 — ein Auto wie von Philip Marlowe — schlicht unverkäuflich ist, ebenso wie das weiße Buick-Elektra-Cabrio. Hinter uns gleitet der schwarze Cadillac vorbei, den Harrison Ford in American Graffiti fuhr, und kurz darauf jener Ford Etzel, mit dem der alte Ford in den Vierzigern fast die Firma ruinierte, erzählt der Sachverständige.

Als nächstes sticht uns ein sechseinhalb Meter langer weißer Cadillac Fleetwood ins Auge. Ob man damit noch einen Parkplatz findet, frage ich. »Man darf sich so ein schönes Auto mit solchen Gedanken nicht vermiesen«, meint ein junger Mann, von dem sich herausstellt, daß er mitnichten der Besitzer ist, »leider«. Gleichzeitig taucht der eigentliche Besitzer auf und verbietet uns, das kostbare Gefährt anzufassen. Immerhin will er nur knappe 20.000 Mark für die 248 PS starke Limousine mit ihren sechs Litern Hubraum, die er wegen eines Knieleidens verkaufen müsse, außerdem habe er zu Hause noch zwei davon. Nein, zur Arbeit fahre er nicht damit, aber oft ins Grüne, wenn er die Zeit dazu habe und nicht am Auto bastele. Ob er nicht Angst habe, daß einer der teuren Wagen beschädigt werden könne? Er nickt und zeigt auf ein paar Kratzer unter der Haifischflosse. »Hier ist mal ein Golf zerschellt«, meint er und: keine Kaskoversicherung würde so ein Auto nehmen. War da noch etwas, das man wissen wollte? Ach ja, der unzeitgemäße Benzinverbrauch. »Atomkraftwerke sind noch viel umweltschädlicher«, stellt der Cadillacbesitzer entschieden fest. »Und wenn sie hier mitten in Berlin das Hahn-Meitner-Institut betreiben, da ist jedes Auto harmlos dagegen.« Ich wende mich hilfesuchend an meinen Sachverständigen. Ob er denn nicht fände, daß so ein Benzinverbrauch unzeitgemäß... »So eine Fragestellung ist Unsinn«, unterbricht er mich. Jedes Auto verbraucht Benzin, da kann man ebensogut eines fahren, das wenigstens Charakter hat.«

Kurz darauf entdecken wir das am ehesten bezahlbare Gefährt auf dem Gelände, einen grünen, 25 Jahre alten, gut sechs Meter langen Lincoln Continental Town Car, der »renovierungsfähig« sei, wie es auf einem beigefügten Zettel heißt, und zudem ein Notverkauf, da dem Besitzer die Garage gekündigt worden sei. Wer bis Sonntag um 16 Uhr das höchste Gebot abgebe, erhalte den Wagen, heißt es, »und wenn es nur 100 Mark sind«. Ich schreibe »8.000 Mark« auf einen Zettel und werfe ihn in das Seitenfenster. Dann verlassen wir die Jafféstraße. Ganz in der Nähe steht ein kleines fettes, häßliches Auto: ein Mercedes der neuen S-Klasse. Wie unzeitgemäß. Eva Schweitzer.

Siehe Fotos Seite 23