Dieser niederbayrische Muffel

■ Fassbinders Kroetz-Adaption „Wildwechsel“ darf als einziger Film bei der RWF-Gesamtschau nicht gezeigt werden

Eingeplant war Wildwechsel für den 15. Juni. Statt dessen steht jetzt im Programm, daß Harry Baer von der Fassbinder Foundation um 20 Uhr im Berliner Kino Arsenal über die Dreharbeiten zur Kroetz- Adaption berichten und Auskunft darüber geben wird, warum der Film als einziger nicht im Rahmen der Fassbinder-Werkschau gezeigt werden kann. Dazu hatte er sich bereits im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 10. Todestag des Filmemachers geäußert. „Kroetz“, schimpfte er auf einer Pressekonferenz im April, „dieser niederbayrische Muffel, versaut uns mit seiner Habgier die Retrospektive.“ Gegenüber der taz nannte er nun auch die Summe, die der „Salonbolschewist“ (Baer) verlangt: 25.000 DM pro Aufführung, eine Forderung, die einem Abspielverbot gleichkomme. Für Rechte an einem Stoff, wie Kroetz sie für Wildwechsel besitzt, werde anläßlich von solchen Retrospektiven in der Regel eine dreistellige Summe bezahlt.

Um Geld und Copyright-Fragen geht es diesmal jedoch wohl nur in zweiter Linie: Der Streit um Wildwechsel ist so alt wie der Film. Als die Geschichte von der 14jährigen Hanni (Eva Mattes) und dem 19jährigen Arbeiter Franz (Harry Baer) im Januar 1973 in der ARD ausgestrahlt wurde und wenige Monate später ins Kino kam, war die öffentliche Meinung gespalten. Schließlich verhandelt Wildwechsel die Verführung Minderjähriger, Inzest, Vergewaltigung und die Verlogenheit der bürgerlichen Moral. Kroetz schaltete sich erst unmittelbar vor der Kinoauswertung in den Streit ein: Der Film verfälsche sein Theaterstück. Am 8. März 1973 begründete er seinen Protest in der 'Münchner Abendzeitung‘: „Mehr als Pornographie mit sozialkritischem Touch ist dieser Film nicht, und dafür bin ich mir als Autor zu schade.“ Der Theatermann warf Fassbinder Obszönität vor: „Obszön nenne ich die Denunzierung der Menschen, die der Film betreibt. Das Mädchen ist kein frühnymphomanisches Flittchen, es versucht doch nur, aus der katholischen Engstirnigkeit des Elternhauses herauszukommen und erlebt dabei eine wunderbare Liebesgeschichte. Auch der Junge ist kein Triebtäter, sondern ein liebebedürftiger Mensch. Diese Verfälschungen, wie auch die Vergewaltigungsszene Vater-Tochter, die Strichszene mit dem Gastarbeiter, betrachte ich als Obszönitäten, weniger die paar geilen Nacktheiten.“

Wenige Tage später antwortete Fassbinder im gleichen Blatt und erinnerte Kroetz daran, daß jener die angebotene Mitarbeit am Drehbuch abgelehnt hatte. „Geniert Dich, daß Du Dein Stück im Stich gelassen, es sogar verleumdet hast. (...) Alles was drin ist im Film, das ist auch im Stück. Mag sein, daß Dich das geniert. Aber das wäre nicht nötig, so schlecht ist Dein Stück gar nicht, ehrlich.“

Immerhin strich Fassbinder für die Kinofassung die beanstandete „Strich-Szene“; Kroetz hakte jedoch nach und beharrte (gegenüber dem 'Kölner Stadtanzeiger‘) auf seinen Autorenrechten: „Ich vertrete in der BRD, im Schriftstellerverband und in der Öffentlichkeit eine besondere Rolle. Wenn ich für die Rechte anderer Autoren kämpfe, kann ich mir nicht selbst auf den Kopf spucken lassen.“ Daß er sich erst so spät beschwerte, begründete er damit, daß er seine Einwände gegen den Film zunächst dem Verlag weitergegeben und erst später von der Kinoauswertung erfahren habe. Letztlich ginge es ihm jedoch um die Frage, „ist der Autor, der ein Stück geschrieben hat, Freiwild, wenn es um die kommerziellen Interessen der Produzenten geht?“ Vom Verlag, der Universal Edition Wien, verlangte er die Rückgabe seiner Stoffrechte, von der Filmproduktion den Verzicht auf die Kinoauswertung. Dem Protest des Stückeschreibers schlossen sich namhafte Kolleginnen und Kollegen an, unter anderem Marieluise Fleißer, Martin Walser, Günther Herburger und Uwe Timm; es kam zum Rechtsstreit, den Kroetz schließlich gewann. Die beiden von Fassbinder frei hinzugefügten Szenen wurden aus der Kopie entfernt.

Daß Kroetz seinem damaligen Widersacher nach wie vor unversöhnt gegenübersteht, bestritt er in einem Telefongespräch mit der taz: Das aktuelle Problem mit den Rechten habe damit nichts zu tun. Sie seien derzeit frei und würden verhandelt. Die von Baer genannte Summe wollte er weder bestätigen noch dementieren. Und die Geschichte von vor 20 Jahren interessiere ihn nicht. Sprach's und legte auf. Als Kroetz vor kurzem bei der ARD „Auf der Couch“ saß, ließ sich aus seinen Äußerungen zur damaligen Zeit immerhin ahnen, was hinter diesem Unmut steckt. In den siebziger Jahren seien er, Fassbinder und Fleißer die Wichtigsten gewesen. So scheint der Krach um Wildwechsel genährt vom Neid auf einen, der, kaum daß er gestorben war, den Erfolg des anderen in den Schatten stellte. Christiane Peitz