Landpartie zu nächtlicher Stunde

■ Die Dresdner Musikfestspiele sind zu Ende gegangen

Räächnen? Is geene Wolke am Himmel. Das kann gor nich räächnen. Heechstens Scheiße.

Angegangenen Volkes Stimmung an Himmelfahrt auf der Prager Straße. Alles in Liebe und Güte, natürlich.

Der Dresdner Bildungsbürger, seit eh und je konservativ musikbegeistert, der neue Mittelstand und die romantische Jugend entschlossen sich zu schöneren Freuden. Mit schweren Wagen donnerte man elbaufwärts die katastrophale Straße nach August des Starken Sommerresidenz Pillnitz hinaus, um sich La Notte (Eine Sommernacht) mit Mozart zu versüßen.

Und tatsächlich, ein Sommernachtstraum von der unwirklichen Art eines nächtlichen Parks umfing die Besucher. Um einen leise plätschernden Teich sowie den locker gesponnenen dramaturgischen Faden einer Landpartie hüpften und sangen Studenten mozartische Stücklein von Don Giovannis Kanzonette bis zum Martinhaften Esel; Fackeln irrlichterten, Sekt perlte.

Schönheiten der Kunst-Natur und touristische Attraktivität der Spielstätten gewannen im Wettbewerb um die Zuschauergunst gegen die Raritäten und ungewöhnlichen Opernangebote in gewöhnlichen Theatern. Keine Regel ohne Ausnahme: das sonderbarste musikalische Ereignis der Festspiele, Curlew-River (was „Brachvogelfluß“ heißt) von Benjamin Britten, füllte einen geheimnisvollen Ort auch nur zur Hälfte. Das Teatr Wielki Poznan zelebrierte diese Opera Mysterium zu mitternächtlicher Stunde in der spärlich erleuchteten Katholischen Hofkirche. Mittelalterliche Mönche spielen ein Stück des japanischen No-Theaters, das Britten mit christlicher Symbolik anreicherte. Darin setzen Pilger mit einer Fähre über einen Fluß, um das heilige Grab eines Kindes zu besuchen. Unter ihnen ist eine (natürlich auch von einem Mann gesungene) irre Frau, die erfährt, daß dies Kind ihr verlorener Sohn ist. Er erscheint ihr in einer Offenbarung. Die Frau ist von ihrem Wahnsinn geheilt, das Spiel zu Ende, die Mönche ziehen singend in die Tiefe der Kathedrale davon.

Die Faszination dieser Aufführung erwuchs aus der vielschichtigen Verschränkung der Kulturen. Ein englischer Komponist benutzt eine englische Legende, verschränkt auch die Musiken; polnische Sänger boten sie in einer von italienischen Baumeistern errichteten deutschen Kirche. Die slawische Sprache zu der westlich-kunstvoll aufbereiteten archaischen Melodik und Klangfärbung, der südlich-barocke Raum in der Düsternis — es paßte ideal und übererfüllte das diesjährige Motto: Oper in Dresden — Kunst für Europa.

Aus dem Dresdner Zwei-Wochen-Programm konnte man sich eine musizierte Chronik der sächsischen Hofkapellmeister von Händels bis Bachs Zeitgenossen Johann Adolf Hasse über den Klassiker Naumann und die miteinander konkurrierenden Herren Morlacchi und Carl Maria von Weber bis zum soeben angestellten Dr. Giuseppe Sinopoli zu Gemüte führen. Informelle Operntruppen sangen heitere Hasse- Intermezzi des Inhalts: arme, aber kluge Dienstmagd erobert sich reichen Deppen zwecks Heirat; das Städtische Theater Narni bot Morlacchis nette Belcanto-Variante des sevillanischen Barbiers — es nützte ihm nichts, Rossinis rasanter Friseur fegte ihn von den Bühnen — mit viel Belcanto an; über Webers genialen Früh- und Freischuß sowie Naumanns schwedisch-königliches Meisterwerk wurde bereits berichtet — aber Sinopoli!

Der venezianische Maestro, am Pfingstsonnabend frisch bestallt und generöserweise, wie das sächsische Staatsministerium verlautbarte, zu Vertragsbedingungen, die auf die besondere (klamme) Situation des Freistaates Sachsen eingehen, bot er ein tänzerisches Solo mit Orchester auf dem Dirigentenpodium der Dresdner Kapelle. Inspiriert, mit Schwung und Verve, mit Spitzenleistungen der reichlich beschäftigten Solobläser spielte das Orchester Tschaikowskis 5. Sinfonie, diesen schönen, auftrumpfenden und melancholischen russischen Seelenerguß, dazu. The show must go on; auf das Weitere darf man nach diesem Beginn gespannt sein. The show must go on; damit müßte man auch die Musikfestspiele beschwören. Einer Musikstadt wie Dresden steht ein musikalisches Festival wohl an. Irene Tüngler