KOMMENTAR
: Eine Chance für Aserbaidschan

■ Westliche Phantasmen und die reale Strategie des aserischen Wahlsiegers Elcibey

Eine Chance für Aserbaidschan Westliche Phantasmen und die reale Strategie des aserischen Wahlsiegers Elcibey

Über Ebulfez Elcibey, den wahrscheinlichen Wahlsieger bei den aserbaidschanischen Präsidentenwahlen, ist im Westen so mancher Unsinn geschrieben worden. Im Gegensatz zu der alten sowjetisch-aserbaidschanischen Politgarde habe er den Krieg mit Armenien auf seine Fahnen geschrieben. Die Volksfront, die er anführt, sei islamisch-fundamentalistisch orientiert. Elcibey wird bezichtigt, von einem großtürkischen Reich zu träumen. Kurz, er sei nicht weit von den Faschisten entfernt.

Die Wahrheit sieht etwas anders aus. Daß Fundamentalisten in Baku politisch das Sagen haben, ist eine Fiktion. In der Zweimillionenstadt gehen gerade ein paar hundert Menschen zum Freitagsgebet, und Elcibey ist Erzfeind des Mullah-Regimes in Teheran. Die nationalistische Ideologie der Volksfront ist Reaktion auf die Herrschaftsmechanismen des russischen Reiches und später der Sowjetunion. „Weg von Rußland“ ist deshalb die Hauptdevise der Volksfrontführer. Elcibey ist Führer einer Nationalbewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, einen Nationalstaat (mit allem Drum und Dran) zu konstituieren. In der gegenwärtigen Politikkonjunktur beinhaltet dies Kapitalismus plus pluralistische Demokratie.

Die Bedeutung der Präsidentschaftswahlen ist nicht zu unterschätzen. Erstmalig fanden in einem Land der Ex-Sowjetunion mit moslemischer Bevölkerung freie Wahlen statt. Daß sie von Kraftsprüchen der Volksfront gegen die alten Machthaber und von militärischer Rhetorik begleitet waren, wird vor dem Hintergrund des Konflikts um Berg- Karabach verständlich. Schließlich haben die Unabhängigkeitsbestrebungen der Armenier in der Enklave zu schweren Niederlagen der Aserbaidschaner geführt.

Doch der Historiker Elcibey ist ein gewiefter politischer Stratege, der unmittelbar keine Eskalation in Berg-Karabach vorantreiben wird. Bereits im Vorfeld der Wahlen betonte er stets die diplomatischen Möglichkeiten Aserbaidschans, politischen Druck auf Armenien auszuüben. Er braucht politische Stabilität, um in dem zerrütteten Land demokratische Reformen durchzuführen. Einer der wenigen, die das erkannt haben, ist der armenische Präsident Ter-Petrossjan, der vor wenigen Tagen darauf hinwies, daß man antiarmenische Sprüche Elcibeys nicht zu ernst nehmen dürfe.

Die ersten freien Wahlen in Aserbaidschan sind auch eine Chance für eine friedliche Beendigung des Berg-Karabach-Konflikts. Es ist zu hoffen, daß Armenien nun politische Konzessionen macht, wie die Rückgabe des besetzten aserbaidschanischen Territoriums um die Stadt Latsehin, um diesen Prozeß zu fördern. Ömer Erzeren, Baku