„Wir können uns keine zwei Welten leisten“

■ Auf dem alternativen Gipfel „Forum Global“ stritten sich Feministinnen um Bevölkerungswachstum und Verhütung

„Laßt uns nicht in die Falle der Politiker laufen und der Terminologie des Nord-Süd-Konflikts verfallen“, beschwichtigt eine Frau aus Pakistan die aufgebrachten Gemüter im Zelt Nummer elf, genannt „Planeta Femea“, auf dem alternativen Umweltgipfel „Forum Global“ in Rio. Doch ihr Appell verhallt ungehört. Die Diskussion vom Wochenende auf dem „weiblichen Planeten“ über das Problem des Bevölkerungswachstums spaltete die Feministinnen aus aller Welt in zwei Lager.

Die Pakistanerin war die erste in einer ganzen Reihe von Frauen, die Grete Faremo, Norwegens Ministerin für Entwicklung und Zusammenarbeit, mit Fragen bombardierten. Wo sind die modernen und sicheren Verhütungsmittel, von denen Sie reden? Wer ist für die Hungersnöte in der Dritten Welt verantwortlich? Müssen die Rechte der Frauen beschnitten werden, um das Problem des Bevölkerungswachstums in den Griff zu bekommen?

„In den Industrieländern steigt der Energieverbrauch und der Konsum, obwohl die Bevölkerung nicht wächst. Und wir sind die größten Umweltverschmutzer“, gibt die Ministerin zu. Doch nicht nur das Entwicklungsmodell auf der nördlichen Halbkugel sei unhaltbar, auch das Bevölkerungswachstum in der Dritten Welt verursache große Umweltschäden. Grete Faremo hat es insbesondere auf die Männer abgesehen. „Solange die Frauen nicht an politischen Entscheidungen beteiligt werden und geringere Gehälter verdienen, ist die von den Industrienationen propagierte nachhaltige Entwicklung unmöglich“, erklärt sie unter dem Beifall der Zuhörerinnen. Frauen bräuchten eine bessere Ausbildung und mehr Aufstiegschancen, dann würde die Zahl der Schwangerschaften automatisch abnehmen. Und: „Die Aufklärungskampagnen dürfen sich nicht nur an die Frauen richten, Männer haben sie besonders nötig“, stellt sie klar.

Lis Rasmussen Kazal von der dänischen Organisation „Women and development“ unterstützt die Ministerin. Provozierend hält sie das Titelblatt einer dänischen Zeitschrift in die Höhe, auf dem der Bauch einer schwangeren schwarzen Frau abgebildet ist und als „Bombe“ bezeichnet wird: „Was würde wohl passieren, wenn das männliche Geschlechtsorgan als Missile bezeichnet würde?“

Vanaja Ramprasad, von der Frauenorganisation „Asian Health Network“ aus Indien, hingegen findet Familienplanung, auch wenn sie sich an Frau und Mann richtet, zweitrangig. Für Elend und Arbeitslosigkeit in den Entwicklungsländern macht sie nicht das Bevölkerungswachstum, sondern die Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Systems verantwortlich. „Die reichen Länder verstecken sich hinter dem Argument des Bevölkerungswachstums, um das herrschende Wirtschaftssystem nicht verändern zu müssen“, mutmaßt die Inderin.

Eine Mexikanerin versuchte zwischen den Fronten zu vermitteln. „Die Familienplanung an für sich ist nicht verwerflich. Schlimm ist jedoch die Art ihrer Durchführung“, haucht die zierliche und auffallend elegant gekleidete Sozialarbeiterin ins Mikrophon. In vielen Ländern Lateinamerikas sind in den vergangenen zehn Jahren aufwendige Familienplanungskampagnen, zumeist von privaten internationalen Organisationen, durchgeführt worden. In Brasilien hat die Propagierung von Sterilisation als gleichberechtigtes Verhütungsmittel neben der Pille dazu geführt, daß 7,5 Millionen Frauen unfruchtbar sind. Im unterentwickelten Nordosten des Landes ist die Sterilisationsrate weit höher als im industrialisierten Süden.

Während sich die Feministinnen aus den Entwicklungsländern gegen den Zwang zur Unfruchtbarkeit wehren, schlagen sich die US-Amerikanerinnen genau mit dem entgegengesetzten Problem herum. „Bei uns gibt eine wachsende Anzahl unfruchtbarer Frauen Millionen von Dollar aus, um mit Hilfe der modernen Medizin doch noch schwanger zu werden. Wir werden zum Mutterdasein gedrängt und dürfen nicht abtreiben“, erzählt eine Amerikanerin. Pragmatisch setzte sie sich über die ideologischen Fronten hinweg: Nur mit einem vernünftigen Gesundheitswesen könne man die Lage in den Griff bekommen. „Solange das Geld dafür fehlt, ist die Diskussion unerheblich“, erklärt sie.

Grete Faremo nahm die Anregung der Amerikanerin dankend auf. „Wir müssen in jedem Land die Lebensbedingungen radikal verbessern, sonst kommt es zu einer Katastrophe“, warnt sie. 90 Prozent der Studenten, die sich in den USA ausbilden ließen, blieben nach ihrem Studium im Land. Qualifizierte Arbeitskräfte aus der Dritten Welt flüchteten in den Norden, weil sie in ihrer Heimat keine Berufschancen hätten. „Wir konkurrieren auf demselben Markt“, beschwört die Ministerin ihr Publikum. „Wir können uns keine zwei Welten leisten.“ Astrid Prange