Gute Mine zu jedem Spiel

■ Wie man 20.000 Kugelschreiber sammelt und v.a. behält / Eine apokalyptische Ausstellung von Hans-Georg Schriever-Abeln

hierhin bitte die

Blumen

Unter den vielen tausend Exemplaren aus der Sammlung Schriever-Abeln: Kugelschreiber in TulpengestaltFoto: Jörg Oberheide

Es gibt inzwischen gewiß mehr Kugelschreiber als Moleküle im Universum; aber wo ist jetzt meiner schon wieder hin?

Hans-Georg Schriever-Abeln hat ihn! „Oh, pink“, sagte er sanft, „kenn ich noch gar nicht“, zog ihn mir aus der Hemdtasche und steckte ihn fort. So sind wirkliche Sammler. „Keine 300 Mark“ hat er ausgegeben für seine mittlerweile 20.000 Kugelschreiber; dafür aber hat er sich seine zahllosen Bekannten tributpflichtig gemacht; und wer immer eine Reise tut auf Erden und zudem Schriever-Abeln kennt, der weiß, daß hinterher gemolken wird. Jetzt ist im Presseclub erstmals zu sehen, was derart in zehn Jahren zustande kam: die weltweit größte Enzyklopädie der multibunten Kulikultur.

Schreibermännchen mit verschiebbarem Penis; Kulis nach Art von Bananen, Tulpen, Rhabarbern und Runkelrüben; Musikschreiber mit Klaviertastatur (eineinhalb Oktaven); blaue, grüne, goldige, gläserne; ferner putzige Reisekulis mit Zahnbürste (versenkbar), mit Radio (Mittelwelle), mit Adreßstempel; Kulis aus Preßpappe (100 Prozent Altpapier) und verklemmte Emporkömmlinge, noch mit Gänsefedernachbildungen hinten dran; nebenan die neueste Öko-Variante, der „Green Pen“, sozusagen ein Vollkornkugelschreiber aus einem Mais-Derivat (statt Plastik). In einer Vitrine: ein original Bundeskanzlerkugelschreiber mit Adler und Autogrammgravur Helmut Kohl („Die hat er wohl immer dem Negerfürsten sein Fahrer geschenkt“). Eigentlich fehlen nur noch die Kugelschreiber zum Schießen: Das LKA Wiesbaden hat aber wie zum Troste Konstruktionsskizzen geschickt.

Der Gemeine Kugelschreiber (Schmierax communis) ist im Lauf der Zeit so unerhört billig geworden, daß er sich schon beinah aufgelöst hat in ein massenhaftes Nichts. Er existiert aber dennoch fort: quasi als immaterielle Idee, welche uns zuliebe jede Gestalt annehmen kann; er macht gute Mine zu jedem Spiel, das man mit ihm treibt. Fluggesellschaften machen kleine Jumborümpfe aus ihm, Werkzeugläden

Der Kuli: das einzige Produktionsmittel, welches sich niemals in Privateigentum überführen ließe

verschenken schreibende Schrauben, Herrenklubs sammeln Kulimädels, die sich ausziehen, sobald der Stift steht. Selbst die Kaufhausklassiker von BIC in Paris (Tagesproduktion: mehr als 10 Millionen Stück) sind noch gut genug, von Allerweltsfirmen bedruckt zu werden.

Schriever-Abeln, sonst Schauwerbeleiter bei Karstadt in Bremen, ist Sammler geworden infolge eines Ur-Erlebnisses. Einmal hat er nämlich, rein aus Ingrimm, das Zimmer seiner Tochter aufgeräumt, und zutage kullerten gut zwanzig Kugelschreiber, „wirklich zu schade zum Wegschmeißen“. Seither hängt er der Irrlehre an, Kugelschreiber ließen sich behalten. Dabei ist nichts flüchtiger, nichts weniger geeignet, von uns besessen zu werden. Wer kann, entreißt der unendlichen Kugelschreiberzirkulation seine vorübergehenden Exemplare, quasi Leiharbeiter aus dem Kulivolk, aber wie bald werden sie, die Unsteten, wieder dahin sein! Schriever-Abeln dagegen mit seiner Massenhaltung von Tausenden in Glasrahmen, er ist der letzte Kämpfer für die Ewigkeit. In Deutschland gibt es ganze 20 Sammler seines Schlages, aber längst nicht seiner Willenskraft.

Im Jahre 1888 meldet ein gewisser John J. Loud aus Massachusetts unter der Nummer 392046 das Patent für einen „Tintenschreiber mit drehbarer Stahlkugel“ an und läßt, werweißwarum, das Patent verfallen. 1929 folgt Theo Nagel aus Lüdenscheid; sein THENA-Stift kann allerdings die Kugel noch nicht so recht halten. Erst den ungarischen Brüdern Biro gelingt es, den Schreibkopf zu härten, den steten Nachfluß aus dem Reservoir zu regeln und die rechte Schreibmasse anzurühren. Die erste Großproduktion (30.000 Stück 1941) wird ausgerechnet von der britischen Royal Air Force in Auftrag gegeben - weil die neuen Schreiberlinge auch in großen Höhen nicht versagen.

Daß inzwischen die Population der Kugelschreiber die schnelllebigste auf Erden ist, daß sich die

hierhin den Mann

Der Sammler Schriever-Abeln mit seinem Kleinsten (2,5 Zentimeter).

neuesten Generationen schon in knappen Monatsabständen ablösen, daß jeder Modehit sich sogleich in tausend epigonale Varianten vervielfältigt — macht das dem Sammler nicht bang? „Aber nein“, sagt Schriever-Abeln, „eine bessere Erfrischung gibt es gar nicht“, sagt er und entläßt mich sodann. „Und kommen Sie gerne wieder. Aber nur, wenn Sie einen Kugelschreiber dabei haben.“ Manfred Dworschak

Presseclub, Im Schnoor; Mo. bis Fr. von 11 bis 14.30 und 18 bis 24 Uhr; zu sehen bis zum 26. Juni