Humboldt-Uni mit aufklärerischem Anspruch

■ Interview mit Peter Glotz (SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des SPD-Vorstandes), Kandidat für das Präsidentenamt der Humboldt-Universität/ Glotz tritt für eine Volluniversität mit ihren Unikaten und kleinen Fächern ein

Am 9. Juli tritt das Konzil der Humboldt-Universität zusammen, um einen neuen Präsidenten zu küren. In dem Rennen um die Nachfolge für Heinrich Fink haben sich in der letzten Woche drei KandidatInnen qualifiziert: Der Akademische Senat empfahl den Kommunikationswissenschaftler Peter Glotz (SPD), die Soziologin Marlis Dürkop (Bündnis 90/Grüne) und den amtierenden Rektor und Chemiker Adolf Zschunke und einzigen Bewerber aus dem Osten zur Wahl. Ausgeschieden war die Medienwissenschaftlerin Renate Möhrmann, CDU- Abgeordnete im nordrhein-westfälischen Landtag. Die Humboldt-Universität will nach Angaben einer Sprecherin eine Frau oder einen Mann mit Durchsetzungsvermögen an der Spitze, die oder der um die aktuellen Probleme der Hochschule, einschließlich ihrer Konflikte mit der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung, weiß.

taz: Was reizt Sie an der Aufgabe, Präsident der Humboldt-Universität zu werden?

Peter Glotz: Ich glaube, es ist eine der wichtigen Aufgaben im wiedervereinigten Deutschland, die Humboldt-Universität zu einer der führenden Universitäten Deutschlands zu machen. Zu einer Universität, die insbesondere eine Verbindung zu Mittel- und Osteuropa herstellt und die in beispielhafter Form eine Zusammenarbeit zwischen in Ost- und Westdeutschland und auch im westlichen Ausland groß gewordenen Wissenschaftlern verwirklicht. Das heißt eine Universität, die auf ihre Unikate achtet, eine Universität der kleinen Fächer, eine Universität, die auch in die Gesellschaft — sowohl in die Berliner als auch in die der Bundesrepublik hineinwirkt und einen aufklärerischen Anspruch hat.

In der Ausschreibung für den Präsidentenposten stand, daß die Humboldt-Universität in einem tiefgreifenden Prozeß struktureller und politischer Erneuerungen steht. Was halten Sie in diesem Prozeß für besonders wichtig?

Daß diese Erneuerung nicht von außen aufgezwungen wird, sondern daß sie aus der Universität kommt. Das schließt selbstverständlich Hilfe von außen und auch die Mitwirkung des Wissenschaftsrats und westdeutscher Wissenschaftler keineswegs aus. Diese ist in vielen Fällen hilfreich.

Der Erneuerungsprozeß im Inneren ist ins Stocken geraten. Wie könnte man diese innere Erneuerung wieder befördern?

Einmal dadurch, daß man gesetzliche Grundlagen schafft, die dann auch wirklich vor Gericht halten, und daß man der Universität den Eindruck gibt, daß sie gerecht und vernünftig behandelt wird. Ich sage als Beispiel: Selbstverständlich muß in der Berliner Wissenschaftslandschaft dafür gesorgt werden, daß nicht Doppelungen entstehen, und im Zuge dieser Strukturbereinigung können durchaus Institute und Fachbereiche von der Humboldt- Universität an andere Berliner Universitäten übergehen. Da muß aber gesichert sein, daß umgekehrt auch Fachbereiche von der Technischen oder der Freien Universität an die Humboldt-Universität übergehen und nicht die Humboldt-Universität als eine Art Verfügungsmasse dient.

Ihr heutiger Nachfolger im Amt des Berliner Wissenschaftssenators betreibt eine Politik der administrativen Erneuerung der Humboldt-Universität. Dabei greift er ziemlich ungehemmt in die Autonomie der Universität ein. Was könnte ein Universitätspräsident Peter Glotz dagegen tun?

Wir können natürlich keine Erneuerung ohne Administration betreiben. Das muß auch immer administrativ abgesichert werden. Aber selbstverständlich ist es notwendig, daß die Universitäten ihr eigenes Recht wahrnehmen, ein Recht, das in Gesetzen sehr genau festgeschrieben ist. Ich denke, ich habe auf unterschiedlichen politischen Ebenen sehr viele politische Erfahrungen gesammelt und könnte auf diese Weise dazu beitragen, daß die Universität die Rechte, die ihr gesetzlich zustehen, wirklich auch wahren kann.

Sie sprachen bei Ihrer Vorstellung davon, die Humboldt-Universität solle Volluniversität bleiben. Nun gibt es Planungen, den naturwissenschaftlichen Bereich der Humboldt-Universität nach Adlershof zu verlegen. Wie kann man der Gefahr einer Teilung der Universität an dieser Stelle begegnen?

Diese Frage sollte ich nur beantworten, wenn ich die Akten gelesen habe, und als Außenstehender kann ich sie gar nicht gelesen haben. Ich glaube aber, daß es in der Tat notwendig ist, daß die Humboldt-Universität City-Universität bleibt. Andererseits kann es gar nicht ausbleiben, daß bestimmte Einrichtungen der Universität auch in andere Bereiche Berlins hinausverlagert werden. Da nun einen Kompromiß im einzelnen zu finden, das muß der Präsident in der Tat. Das sollte aber ein Kandidat für das Präsidentenamt — ohne eine einzige Unterlage gesehen zu haben — nicht locker vom Hocker herunter beantworten.

Sie sagten, die Universität sollte in die Gesellschaft hineinwirken. Wie sollte das aussehen?

Ich nehme mal als Beispiel Chancen und Risiken der Fusionsforschung bei der Konzipierung einer neuen Energiepolitik. Dazu kann eine Universität etwas Sinnvolles beitragen. Es gibt aber eine Fülle weiterer Fragen, zum Beispiel die Ethik des begrenzten Krieges, der jetzt wieder schreckliche Realität wird, wenn man nach Bosnien schaut. Oder das Thema einer neuen Theorie des internationalen Handels angesichts der Monopolstellung Japans in der Informationswirtschaft.

Es gibt eine ganze Reihe von Themen, wo die Universität sich zwar nicht direkt in die Politik einmischt, aber wo sie Ergebnisse empirischer Forschung präsentieren und nach den Regeln rationaler Argumentation erörtern kann. Damit muß und kann eine solche Universität eine wichtige Bedeutung für die Gesellschaft reklamieren und erhalten.

Was können Sie als ausgeprägter Vertreter der westdeutschen politischen Kultur dazu beitragen, durch rabiate politische Eingriffe — siehe den Fall Fink — verunsicherte und entmutigte Menschen neu zu motivieren und Selbstvertrauen zu geben?

Vielleicht kann ich den Mut vermitteln, sich ganz normal derjenigen Rechte zu bedienen, die man in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik hat. Das schafft nicht in jedem Fall Gerechtigkeit, aber jedenfalls das von Ihnen angesprochene Selbstvertrauen und das ist doch was.

Im Moment ist das Betreuungsverhältnis Professoren-StudentInnen noch recht günstig an der Humboldt-Universität. Gleichzeitig gibt es in Berlin zwei Mammutuniversitäten. Wie kann man versuchen, diese Situation zu erhalten, ohne eine Sonderstellung einzunehmen?

Solange die Neuordnung im Gange ist, so lange muß die Humboldt-Universität außerhalb der ZVS und außerhalb der Zuweisung von Studenten durch die bürokratische Studienplatzvergabe bleiben. Die sichert ihr dann auch die Möglichkeit, bei 20.000 Studenten zu bleiben und nicht auf 40.000 oder 60.000 sofort anzuschwellen. Im Laufe der Zeit werden selbstverständlich gleiche Bedingungen für ost- und westdeutsche Universitäten hergestellt werden müssen. Man könnte den Vorteil kurzer Studienzeiten, der derzeit durch die Betreuungsverhältnisse an der Humboldt-Universität gegeben ist, dadurch sichern, daß man bei der Relation von dauernd und zeitweise beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeitern ein bißchen von der Norm der Bundesrepublik abweicht.

Ich würde für eine Universität wie die Humboldt-Universität ein Verhältnis 60 Prozent befristete und 40 Prozent unbefristete Stellen für sinnvoll halten, während bei den meisten westdeutschen Universitäten ein Verhältnis von 80 Prozent befristete und 20 Prozent unbefristete Stellen üblich ist.

Können Sie das Amt des Präsidenten überhaupt mit Ihren politischen Mandaten in der SPD vereinbaren?

Selbstverständlich müßte ich von der Fülle meiner unterschiedlichen Aufgaben die meisten aufgeben. Einer meiner Vorteile ist allerdings, daß ich durch jahrzehntelange politische Arbeit im Netzwerk der Politik integriert bin, und natürlich werde ich nicht alles aufgeben, was mich in dieses Netzwerk bindet. Ansonsten müßte ich bei allen Leuten, die man brauchen kann, Termine anfordern, wie jeder andere auch. Mindestens eine meiner Aufgaben sollte ich behalten. Das sollte, wenn es so weit ist, mit der Universität und auch mit dem zuständigen Senatsmitglied entschieden werden. Das Interview führte Christian Füller

In der Ausgabe am kommenden Freitag, den 12. Juni, veröffentlichen wir ein Interview mit Glotz' Konkurrentin Marlis Dürkop