Tausend gebrochene Herzen

■ Das Mecklenburgische Staatstheater gastiert mit Schlagern im Deutschen Theater

Vorsicht, Schlager!« — da klingelt mein ideologisches Frühwarnsystem den Dreiklag rauf und runter, wenn das Mecklenburgische Staatstheater zu Schwerin in den Kammerspielen des Deutschen Theaters mit einem bunten Strauß deutscher Schlager angekündigt wird. Eindeutig ein Zeichen der bereits erfolgreichen Wieder- und Weiterbelebung des Nationalismus. Heimatschnulzen und an die tausend gebrochene Herzen der Liebes-Heimchenlieder müssen doch im Arbeiter- und Bauernstaat mit integriertem »neuem Frauenbild« zum dekadent- bürgerlichen Giftmüll gehört haben. Kampf der akustischen Umweltverschmutzung! Hoch die Internationale! War das die Parole? Ich spekuliere. Äußerst bedenklich, diese Entwicklung in den FNL.

Und hier, in den alten Bundesländern? Wohl ist es in gewissen Kreisen schick, Schlager zu hören, zumal deutsche. Künneke und Rosenberg und noch Deftigeres. Andere Kreise schmachten bei russischen und ukrainischen Liebesliedern (auch ich hatte schon Tränchen in den Augenwinkeln — aber nur weil meine Freundin so gut gesungen hat), türkischer und irischer Folk — alles ist genehm; ganz zu schweigen von lateinamerikanischen Volksweisen. Aber deutsche — gewisse Kreise kommen dabei in heftige Krisen.

So verschweige ich tunlichst meinen Besuch beim Gastspiel des Mecklenburgischen Staatstheaters. Nur mein bester Freund darf mit. Zur Gaudi. Und eine Gaudi war's. An die 40 Schlager einfachster Sequenzmelodik wurden von den acht SängerInnen und zwei Pianisten musikalisch perfekt serviert, garniert mit einer Mimik herzerfrischender Selbstironie.

Paradebeispiel war Das alte Försterhaus, ein zweites Mal sogar in der Zugabe dargeboten. Ein SängerInnenquartett schaut so rechtschaffen deppert, daß meiner Nachbarin ein abgrundtiefer »Ooch Jott«-Seufzer entfährt. Feinste Dissonanzklänge pointieren den Schmalz und lassen so die kritische Distanz der SängerInnen durchschimmern — das »dekadente« Liedgut, es wurde im übertragenen Sinne mit »spitzen Fingern« gesungen, während das Quartett im Hintergrund den Kuckuck rufen, die Wipfel wispern, den Hund jaulen und die Förstersfrau sterben läßt.

Dennoch, bei aller Selbstironie war die Gesangsdarbietung ernst gemeint. Das einfache Strickmuster der Liedpräsentation — tausendmal erprobt und immer wieder bewährt — verdeutlicht den Anspruch auf Perfektion und vermeidet eine permanent ironische Distanzierung, die spätestens nach dem vierten Lied langweilig geworden wäre. Ein Frauensolo folgt auf das Männersolo, danach die ganze Truppe — ein gut einstudierter Bäumchen-Wechsel-Reigen auf der Bühne um das seidenbehangene Sofa wird begleitet von einem Wechselbad der Schlager. Eine steinerweichende Schnulze wird vom frech-rotzigen Gassenhauer abgelöst: Holde Blume Männertreu und der Bummelpetrus, Die Männer sind alle Verbrecher und Steiler Zahn, Und als der Herrgott Mai gemacht und August, wo sind deine Haare? — die Geometrie der Gegensätze funktioniert.

Anbei: Mit diesem Abend wurde die Qualität der Schauspielausbildung in der DDR, die ein starkes Gewicht auf die Beherrschung u.a. des Gesangs legte, wieder einmal deutlich. Good bye Johnny zeigte eine stimmgewaltige Sängerin voller Nuancen und eine hervorragende Schauspielerin gleichermaßen.

Hinterher bewies mir dann die für die Betreuung der TheaterbesucherInnen zuständige Frau (im Deutschen Theater haben sie's ja extrem mit der Öffentlichkeitsarbeit...), daß es in der DDR niemals nie nicht so war, wie wir uns das denken oder auch nicht: Schlager haben sie auch gehört, damals, drüben. Petra Brändle