Hallo Wintergarten!

■ André Heller, Bernhard Paul und Peter Schwenkow planen im heutigen »Quartier« ein Varieté mit Weltniveau an der Potsdamer Straße

Der »Blaue Montag« im Quartier hat es gezeigt, das »Chamäleon«, die Tempelhofer »UFA-Fabrik« und die »Scheinbar« zeigen es — Varieté zieht die unterhaltungshungrigen BerlinerInnen in Scharen an. Peter Schwenkow, der die Waldbühne 1981 wiederbelebte und seitdem eine bewundernswerte Karriere als Jungmanager startete, Ray Charles, Juliette Greco, Phil Collins und viele andere Stars an die Spree holte, hat diesen neuen Trend erkannt und 8,5 Millionen Mark investiert, um ein Varietétheater zu gründen, das an die Erfolge früherer Zeiten anknüpfen soll.

Neben der »Scala« und dem »Place« war der »Wintergarten« von 1880 bis zu seiner Bombardierung während des Zweiten Weltkrieges ein weltberühmtes Varieté. Ein Name war also schnell gefunden, ebenso der passende Raum, denn das Quartier steuerte schon lange mit seinem Mischprogramm aus Rock, Show und Disco einer Pleite entgegen. Nur der richtige Aufhänger fehlte noch, und den hat Schwenkow nun mit André Heller und Bernhard Paul gefunden. Die beiden Infanten der Zirkuswelt beweisen seit 15 Jahren, daß sie einen guten Riecher für Sensationen haben. Paul gründete 1975 den Circus »Roncalli«, Heller brachte 1984 das »Feuertheater mit Klangwolke« nach Berlin, 1987 »Frau Luna«, danach 1988 und 1989 »Body & Soul«.

Außergewöhnliche Leistungen setzen ein außergewöhnliches Ego voraus, und daran mangelt es vor allem André Heller nicht: »Wenn Deutschlands Hauptstadt ein Varieté von Weltgeltung benötigt, sollten es vernünftigerweise gleich jene verwirklichen, die am meisten davon verstehen. Also, um der Wahrheit die Ehre zu geben, entweder Bernhard Paul oder ich, beziehungsweise im Idealfall, den keiner für möglich hielt, Bernhard Paul und ich.«

Den Talenten entsprechend lang ist die Titelliste des kosmopolitischen Wieners; Heller bezeichnet sich als Aktionist, Erfinder, Komponist, Sänger, Literat, Feuerwerker, Zeichner, Regisseur, Gärtner und Verwandlungsreisender — was immer das auch sein mag.

Bernhard Paul ist da bescheidener, er ist und bleibt vor allem Zirkusdirektor. Vielleicht war es diese »lang herumgeschleppte Pubertät und Eitelkeit« (Heller), die dazu führte, daß die beiden Wiener »in den letzten 15 Jahren nicht gerade gute Freunde waren« (Schwenkow). Aber nun hat sich das Duo zusammengerauft, tauscht während der Pressekonferenz im »Spiegelzelt« an der Freien Volksbühne artige Komplimente aus, die darin gipfeln, daß Heller wienerisch schmalzig bekennt: »Ich liebe Bernhard Paul!«

Ähnliche Gefühlsregungen erwartet Heller auch von den BerlinerInnen: »Wenn wir uns entschlossen haben, nach Berlin zu gehen, dann wollen wir, daß die Berliner uns lieben.« Warum auch nicht, wenn der »Wintergarten« das hält, was seine Producer versprechen: ein erstklassiges Varieté mit internationalen Stars zu zivilen Preisen, die zwischen 30 und 48 DM liegen sollen. Die 621 Plätze würden vorzugsweise an BerlinerInnen vergeben, verspricht Schwenkow, er sei nicht daran interessiert, das Haus mit Kegelbrüdern aus Herne zu füllen.

»Damit man nicht mit dem Taxi oder der BVG kommen muß«, will Schwenkow vor dem »Wintergarten« einen zusätzlichen Service einführen: »LA-Parking«. Das kennt der Berliner bisher nur aus kalifornischen Seifenopern: uniformierte Boys & Girls nehmen dem Fahrgast die lästige Suche nach einem Parkplatz für das Auto ab. Auch der Berliner Gastronomie soll auf die Sprünge geholfen werden. »Gestern waren wir in Berlin essen, deshalb sind wir etwas blaß«, entschuldigt sich das Trio und meint damit nicht etwa eine Frittenschmiede, sondern ein vierstündiges Gelage in einem ungenannten Restaurant. Der »Wintergarten« soll diesem unhaltbaren Zustand ein Ende setzen — natürlich mit Wiener Leckereien.

Kein Zweifel; die drei Herren vermitteln den Eindruck, als stehe Berlin kurz vor seinem kulturellen Coming- out. Das ist gut so, und es wird gelingen, wenn jeder von ihnen das tut, was er am besten kann, und das ist eine ganze Menge. Während Peter Schwenkow den großzügigen Sponsor mimt, der jedoch im Notfall ganz preußisch zum Rotstift greifen kann, und Bernhard Paul zuzutrauen ist, daß er hin und wieder höchstselbst ein Elefantengehege ausmistet, vermittelt André Heller den Flair eines kompetenten Weltenbummlers, der durch bloße Anwesenheit ungewöhnliches inszeniert. Wie Franz Beckenbauer ist er ein Mann der großen Entwürfe, und wenn Franzl auf Detailfragen mit seinem berühmten spöttischen »Na schau ma mal« antwortet, schaut er an die Decke und sagt: »Na wissen Sie, den roten Faden finden wir noch am Gardasee.«

Man könne, solle und dürfe von ihm nicht erwarten, daß er die Gagen der Ballettmädel aushandle. Er zeigt sich auch überrascht, daß im »Wintergarten« vier Produktionen pro Jahr geplant sind. Die Rahmenbedingungen müssen erst einmal her, das Ambiente ist wichtig. »Wir haben kein Geld in dem Unternehmen stecken«, sagt Heller, »aber unseren guten Ruf.« Und der wird dafür sorgen, daß viel Geld in die Ausstattung des »Wintergartens« fließt. Ein blauer Sternenhimmel, Birkenholzstühle, verchromte Tische, roter Plüsch, an alles wurde gedacht, und Heller droht Schwenkow sogar damit, die Form der Türgriffe zu überprüfen. Der nickt nur beeindruckt und sagt es dann noch einmal auf seine Weise: »Ordentlich soll es zugehen, sauber und konventionell, mit weißen Tischdecken, Messer und Gabel.«

Schwenkow gibt sich Mühe, den Eindruck zu vermeiden, nur als Kassenwart zu taugen. Doch an die Bezeichnung »Theaterdirektor« mag er nicht ran. Er spricht lieber von einer »anderen Karriere« als Produzent. »Die Möglichkeit zu erfinden, zu konzipieren und zu gestalten macht den wahren Reiz der Tätigkeit als Produzent aus, sozusagen Urlaub vom Alltag als Unternehmer und Promotor«, schreibt er in einer Vorankündigung. Schwenkow hat den Mumm und die Energie, langfristige Projekte zu planen und durchzustehen. Bereits vor drei Jahren ließ er sich den traditionsbeladenen Namen »Wintergarten« schützen und machte sich dann daran, die Rivalen Heller und Paul so weit zu versöhnen, daß eine gemeinsame Arbeit möglich wurde.

Wenn sich am 25. September 1992 um 20.30 Uhr im »Wintergarten« der Vorhang hebt, werden Heller, Schwenkow und Paul etwas geschafft haben, was das Berliner Nachtleben sicherlich bereichern wird: ein prachtvolles Varieté. Werner

Wintergarten, Potsdamer Straße 96. Eröffnung: 25. September, Eintrittspreise: So.-Do. 30/48 DM, Fr. und Sa. 40/58 DM. Shows täglich um 20.30 Uhr. Vorbestellung ab sofort: 3019999.