Kripo steht vor einer „Mauer aus Schweigen„

■ Kommission für GUS-Kriminelle bearbeitet 200 Verfahren/ Tschetschenen-Gefahr wird von der Presse »aufgebauscht«

Schöneberg. Das Sonderkommissariat für Verbrechen von GUS-Bürgern beim Referat Organisierte Kriminalität wurde im September 1991 eingerichtet. Zu jener Zeit standen in verschiedenen Dezernaten insgesamt 20 Ermittlungsverfahren an, darunter der Mordversuch in der Fasanenstraße und die Erpressung von Schutzgeldern von russischen Emigranten. Es waren die ersten und bisher einzigen Verfahren, die vor Gericht kamen. Durch Zusammenfassung all der unaufgeklärten »russischen« Fälle in einem Referat versuchte man die Aufklärungsrate zu erhöhen. Heute bearbeiten zehn Beamte etwa 200 Fälle, darunter auch vergleichsweise lapidare wie Umweltverschmutzung, Urkundenfälschung und Körperverletzung. Die Verzehnfachung der zu bearbeitenden Fälle ist weniger auf die gestiegene Kriminalität zurückzuführen als auf die Ausweitung des Referates, sagt dessen Leiter Hartmut Koschny. Die Sonderkommission ist nur für Verbrechen innerhalb Berlins zuständig und ist die einzige ihrer Art in ganz Deutschland. Die unaufgeklärten Morde an zwei Russen, die im Juli vergangenen Jahres angekettet an einen Betonpfahl im Töpchinsee gefunden wurden, bearbeitet das Morddezernat Potsdam, ebenso die zwei Leichenfunde im Jungfernsee.

Nach Ansicht von Koschny wird die akute Bedrohung durch die russische oder tschetschenische Mafia in Berlin übertrieben. Allerdings, sagt er einschränkend, stößt man nach wie vor auf »eine Mauer des Schweigens«. Dem Referat mangelt es an Anzeigenerstattern und Zeugen, die »klipp und klar« bereit sind, Tacheles zu reden. Die meisten — allerdings nicht gerichtsverwertbaren — Hinweise erhalten sie von Dritten oder durch anonyme Anrufe. »Wir leben von Gerüchten«. So gab es Hinweise darauf, daß Mafiosi versucht haben, jüdisch-russische Emigranten in den Wohnheimen anzuwerben. Eine Angabe, die von Zuwanderern in einigen Einrichtungen bestätigt wird. Unbekannt ist dem Referat allerdings, ob die Anwerbungsversuche geglückt sind. Tatsache sei aber, daß sich einige der Neuzuwanderer auf dem Schwarzmarkt versuchen.

Die bekannten Fälle von räuberischer Erpressung richteten sich ausschließlich gegen wohlsituierte russische Emigranten, die in den beiden Zuzugswellen 1975 und 1980 gekommen sind. Die meisten Opfer sind Juden, die entweder im Antiquitätenhandel oder im Im- und Exportgeschäft tätig sind. Die Jüdische Gemeinde hat schon im vergangenen Sommer ihre Mitglieder aufgefordert, Erpressungsversuche der Kriminalpolizei zu melden. In einem Brief, so war in dem spektakulär zusammengekrachten Erpressungsprozeß zu hören, habe sie besonders vor den Tschetschenen, die traditionell antisemitisch seien, gewarnt. Laut Koschny sei aber die spezielle tschetschenische Gefahr von der Presse »aufgebauscht« worden. Die bekannt gewordenen Namen verteilen sich gleichermaßen auf alle Ex- Sowjetrepubliken. Nicht nachweisbar ist, daß die Spielsalons, die in Berlin zu gut zwei Dritteln Russen gehören, Geldwaschanlagen und Treffpunkte organisierter Krimineller ist.

Von den namentlich bekannten Verdächtigten sei nur eine Minderheit in Berlin ansässig. Die meisten reisen als Touristen oder Geschäftsleute — oft über Wien — ein und wieder aus. Die Sonderkommission versteht sich auch als eine Art Beobachtungs-Institution. »Dafür gibt es genug Anlaß«. Koschny ist allerdings davon überzeugt, daß durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und der anstehenden Reisefreiheit »noch eine Menge auf uns zukommt«. Nicht die Quantität, sondern »vor allem die Qualität wird uns Sorgen machen«. aku