„Genossen, es läuft in unserem Sinne“

Wie Moskaus KP-Oligarchie die Nationalitätenkonflikte für den eigenen Machterhalt instrumentalisierte/ Inszenierte Pogrome gegen Demokratiebewegungen/ Neue Bündnisse „wahrer Kommunisten“ mit „wahren Patrioten“ drohen  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Es war eine Szene wie aus einem Spionagefilm. Gorbatschows Gegenspieler Ligatschow, einer der Köpfe der Betonfraktion der KPdSU, wandte sich an seinen Gesprächspartner im Parlament: „Ich habe gute Nachrichten aus Abchasien, Jegor Kusmitsch, dort läuft es im großen und ganzen in unserem Sinne!“ Die Vermutung, daß die orthodoxen Kommunisten unter Führung Ligatschows im abchasischen Suchumi „aktive“ Nationalitätenpolitik betrieben, hatte man mir schon viel früher nahegelegt. Die Spannungen dort seien, versicherten mir damals Georgier wie Abchasen in der georgischen Hauptstadt Tbilissi, auf Machenschaften der abchasischen Apparatschiks zurückzuführen, die die um Demokratisierung bemühte georgische Volksfront treffen sollten.

Das Blutbad von Tbilissi

Im Falle Georgien erhärteten dies auch die Untersuchungen der einschlägigen Kommission des Obersten Sowjets der UdSSR unter Leitung des Juristen und heutigen Bürgermeisters von St. Petersburg, Anatoli Sobtschak. In einem Bericht in der 'Komsomolskaja Prawda‘ vom 26.Januar 1991 schildert Sobtschak seine Erkenntnisse über den Abend des 7. April '89, als Gorbatschow und Schewardnadse von einer England-Reise heimkehrten.

Gorbatschows großer Fehler

Voraus gingen Gespräche im Politbüro unter Leitung Ligatschows, in deren Folge beschlossen wurde, Truppen des Innenministeriums und Fallschirmjäger auf Bitten der örtlichen Parteiführer nach Tbilissi zu schicken. Gorbatschow aber entschied in jener Nacht, daß eine solche Entscheidung, wenn überhaupt, nur von Schewardnadse und Rasumowski vor Ort getroffen werden sollte. Verteidigungsminister Jasow, der vom Empfang auf dem Flughafen an zugegen war, stimmte allen Entscheidungen zu, „vergaß“ dabei aber offenbar, den Marschbefehl zurückzunehmen.

Die Konsequenzen des folgenden Blutbades in Tbilissi sind bekannt: eine extreme Radikalisierung der dortigen nationalen Bewegung, ein nationalfaschistisches Regime unter Swiad Gamsachurdija, das auch nach seinem Sturz das Land noch weiter in Bürgerkrieg hält, und die offenbar von niemandem mehr zu kontrollierenden, mit unvorstellbarer Grausamkeit ausgetragenen Nationalitätenkonflikte um Ossetien und Abchasien. Ähnlich wie hier nahmen die Dinge auch in Karabach und im Baltikum ihren Lauf: Das plötzliche Auflodern eines lokalen Konfliktherdes folgte jeweils als Antwort auf das Erstarken einer nationalen Demokratiebewegung.

Michail Gorbatschow beging im Spätsommer 1988 einen seiner größten politischen Fehler, als er ein Ja zum Anschluß des zwischen Armeniern und Aserbaidschanern umstrittenen Berg-Karabach an Rußland verweigerte — eine Lösung, der damals noch beide Konfliktparteien zugestimmt hätten. Nicht einmal auf den Erhalt der äußeren Grenzen der UdSSR zielte dieses Nein; es diente lediglich dem Erhalt der alten Machtstrukturen, gegen die antikommunistischen armenischen Politiker aus dem Karabach-Komitee. Kurz darauf kamen sie trotzdem an die Macht.

Bestellte Pogrome

Daß ein Pogrom an armenischen Bürgern seitens der Parteizentrale in Moskau nicht nur geduldet, sondern sogar erwünscht und höchstwahrscheinlich inszeniert war, erwies sich im Januar 1990 in Baku. Echtibar Mahmedow, Mitglied des Vorstandes der aserbaidschanischen Volksfront, erinnert sich, daß die plötzliche Freilassung von Gewaltverbrechern aus den Bakuer Gefängnissen erfolgt sei, um Mitglieder seiner Bewegung zu ermorden: „Wir wissen, wem man wieviel Geld für diese Arbeit versprochen hatte. Aber da auch dies nicht gelang, planten die Machthaber die Verhängung des Ausnahmezustandes. Zu dessen Rechtfertigung inszenierte man auch die Armenierpogrome in Baku.“

Die Truppen des Innenministeriums sahen zu

Einen Monat sahen die Truppen des Innenministeriums der UdSSR, deren offizielle Aufgabe überall darin bestand, das Leben Wehrloser zu schützen, dem Morden zu. Diesmal, weil „kein Befehl“ vorlag. Erteilt wurde er erst nach dem Ende der Pogrome, in der Nacht vom 19. zum 20. Januar, worauf wieder einmal dem Zentrum unterstelltes Militär ein Blutbad unter Zivilisten veranstaltete. Jetzt sollte offenbar verhindert werden, daß die aserbaidschanische Volksfront Moskaus Vasallen von den führenden Posten im Staate absetzte.

Die Journalisten Valerij Vyschutowitsch und Vasif Samedow, die im Februar 1992 in der 'Iswestija‘ die zwei Jahre zurückliegenden Ereignisse von Baku in einer dreiteiligen Serie dokumentierten, kommen zu dem Schluß: „Hinter den Pogromen von Baku verbirgt sich eine politische Intrige, deren geheimen Mechanismus bis heute noch niemand ganz aufgedeckt hat. Vergleich und Analyse einiger Fakten haben uns auf den Gedanken gebracht, daß die Marodeure bestellt waren. Die Glut des Karabach-Konfliktes wurde künstlich angefacht, damit der Bedarf für ein Zentrum als Vermittler und Friedensstifter nicht erlosch. Auf diese Weise sollte wahrscheinlich die Tendenz der Aserbaidschaner zum Austritt aus der UdSSR in Zaum gehalten werden.“

Losungen, wie sie im Baltikum die angeblich „unterdrückten Kommunisten“ in die Welt hinausbliesen, um eine Intervention des Zentrums in einer Teilrepublik zu provozieren, nimmt heute nicht nur die Generalsekretärin der „Kommunistischen Allunionspartei der Bolschewiki“, Nina Andrejewna, gerne auf. Auch der Führer der „Allvölkischen Union“, Sergej Baburin, Mitinitiator des „Kongresses bürgerlicher und patriotischer Kräfte Rußlands“, beschwört den neuen nationalen Konsens.

Waffen für Aserbaidschan

Die Ereignisse der letzten Zeit lassen vermuten, daß auch die heutige russische Regierung von Boris Jelzin keinen Unterschied zwischen ihren eigenen Interessen im Transkaukasus und denen des sowjetischen Imperiums vermutet: dazu gehört nicht zuletzt die aktive und — teilweise — unentgeltliche Versorung der aserbaidschanischen Streitkräfte mit Munition durch die sich zurückziehende Rote Armee.

In dem Maße, in dem sich Fundamentalismus und Nationalismus in der KPdSU akkumulierten, glitt die Partei von der linken Ecke in die rechte. Und damit fallen Kommunisten im heutigen russischen Bewußtsein in einen Topf mit Fundamentalisten, Nationalisten und konservativen Händlern. So sind im politischen Spektrum des neuen Rußlands demnächst „Bünde“ und „Allianzen“ zu erwarten, in denen die extreme Rechte mit der extremen Linken paktieren wird.