Eine Meisterschaft, bei der die Afrikaner fehlen werden

■ Europas acht beste Fußballteams setzen beim Kampf um den EM-Titel auf die bewährten (Un-) Tugenden

Schade, schade. Uli Stielike, Nationalausputzer und (Schweizer) Nationaltrainer im Ruhestand, hat neulich wieder bedauernd mit dem Kopf wackeln müssen, als er an die EM in Schweden gedacht hat. Warum? Das Niveau macht ihm Sorgen, das Fehlen innovativer Kräfte. „Es sind leider keine afrikanischen Teams dabei“, ist dem Fußballweisen aus dem Badischen aufgefallen, was einerseits zwar kein Zufall sein kann, doch andererseits ärgerlich ist. Schließlich: „Die spielen immer so frei von der Leber weg.“

Doch wie das so ist, dafür dürfen andere mittun, die schließlich auch mit dem Fußball umgehen können wollen. Die von der Insel etwa, die von sich gerne behaupten, sie hätten das Spiel erfunden. Werden sie es heuer auch revolutionieren, Andy Roxburgh? Der schottische Nationaltrainer verspricht: „Wir spielen immer ehrlichen Fußball, und jeder Spieler setzt sich hundertprozentig ein.“ Kampfkraft und Kopfballspiel, Kopfballspiel und Kampfkraft also? Der Schotte: „Mehr kann man nicht verlangen.“ Immerhin, die Schotten, so heißt es, spielen den schnellsten Fußball Europas — nur leider ohne Ball.

Vielleicht haben dafür die Engländer eine Überraschung auf Lager. Wie will man in Schweden zum Erfolg kommen, Bobby Charlton? Der 106fache Internationale und Rekordtorschütze Ihrer Majestät mit 49 Treffern in feindliche Netze: „Tempo und Zweikampfstärke sind nach wie vor unsere Trümpfe.“ Hm, das klingt nicht gerade verheißungsvoll, zumal mit John Barnes, dem genialen Stürmer des FC Liverpool, der einzige kreative Spieler ausgefallen ist.

In dieser Lage hat sich Team-Manager Graham Taylor immerhin zu einer taktischen Revolution entschlossen: Er kehrt zum angestammten System mit vier Verteidigern auf einer Linie zurück. Dies hatte sein Vorgänger Bobby Robson in Italien eher unfreiwillig aufgegeben, was den Engländern mit Rang 4 den größten Erfolg seit dem WM-Titel 1966 beschert hatte. Damals hatte Alf Ramsey übrigens auch schon 4-4-2 spielen lassen und war dafür von der Queen geadelt worden. Und ein paar Jahre später zum Teufel gejagt, weil sein Festhalten an jenem System Anfang der Siebziger schon überholt war.

Übrigens wollen auch die Schweden es mit dem 4-4-2 versuchen, allerdings aus anderem Grund: „Wir haben einfach einen perfekten Libero“, sagt Teamcoach Tommy Svensson, der den Fußballästheten aber aus anderem Grund Hoffnungsträger ist. Sein Team hat im letzten Jahr in neun Spielen 23 Tore geschossen. Allerdings: So richtig glücklich war man damit auch wieder nicht, weil man dafür hinten deren 16 kassierte, und außerdem sechs der 23 Treffer auch nur gegen Österreich erzielt wurden.

Auch die Dänen, die man nun auch mitmachen läßt, haben ihre besten Zeiten entweder vor oder hinter sich. „Wir werden uns in Schweden zerreißen“, vermutet Dortmunds Flemming Povlsen, „sonst wären wir ja keine Dänen.“ Doch das wird's dann auch schon sein. Was die Dänen, um Mißverständnissen vorzubeugen, selbstverständlich nicht davon abhalten würde, im Zweifelsfall gewinnen zu wollen. „Alle fahren hin, um zu gewinnen“, hat etwa Stanislav Tschertschessov, der Torhüter der GUS, erkannt, „wir auch.“ Daß einer letzten Endes gewinnen wird, steht im Reglement und außer Frage, zweifelhaft ist eben nur mal wieder, ob es der Fußball sein wird.

Vor vier Jahren hat man letzteres kühn behauptet, und es hauptsächlich den Holländern zugeschrieben, die auch diesmal mit kaum verändertem Personal ans Werk gehen. „Wir versuchen immer, auf die schwierigste Art zum Erfolg zu kommen“, sagt Rinus Michels und behauptet, dies bedeute, mit sehr offensivem Spiel. Doch so offensiv spielen die Niederländer gar nicht, vielmehr taktisch sehr dizipliniert. Und dann kommt bei jedem eben das hinzu, was für Stielike letztendlich ein Spiel und die EM enscheiden wird: „Die Klasse des einzelnen Spielers, die Individualität.“ Attribute, wie sie der Wahlschweizer nur noch Frankreich zubilligt. Die wiederum haben aber eben doch keinen Platini mehr, auch wenn einer auf der Bank sitzen mag.

Aber Moment: Da war doch noch ein Team! Wenn alle anderen versagen, wird eben Berti das Spiel ins Jahr 2000 hieven! Womit? Einer Blutgrätsche von Kohler, einem Solo von Buchwald, einem Interview von Riedle? Puuuh, einfach wird das nicht. Nur gut, daß es neuerdings Stefan Effenberg gibt! Der wirbelt noch richtig afrikanisch. Peter Unfried