Der europäische Hooligan - das unbekannte Wesen

■ Wenn heute zum Auftakt der Fußballeuropameisterschaft „undisziplinierte Fanhorden“ über das friedliche Schweden hereinbrechen, werden sie auf eine Polizei treffen, die für die „Operation Fußball-EM“ gut vorbereitet ist: Sie studierte im Vorfeld die nationalen Eigenheiten der Hooligans

Glaubt man Ola Karlsson, Sprecher der Polizei in Stockholm, dann spielt die schwedische Nationalmannschaft während der Fußball-EM Mitte Juni nicht in einem Stadion. Der Mittdreißiger streicht über die Karte auf seinem Schreibtisch und benennt den mittleren Teil schlicht „defense area“. Die schwedischen Ordnungshüter tun sich schwer mit dem, was vom 10. bis 26.Juni über das Land hereinbrechen soll. Seit eineinhalb Jahren bereitet sich die Reichspolizei schon auf die Europameisterschaft vor. Zunächst schickte man eine Abordnung nach Italien, um die Erfahrungen von der Weltmeisterschaft 1990 auszuwerten. Stolz verweist Ola Karlsson jetzt darauf, daß die Italiener „40.000 bis 50.000 Polizisten und Soldaten eingesetzt hätten“, in Schweden dagegen „nur ungefähr 6.000 Polizisten und keine Militärs Schlimmes verhindern“ sollen.

Nun zählt aber die EM '92 nur ein Drittel der Teilnehmer der WM; so ist also jeder dritte schwedische Polizist in die „Operation Fußball-EM“ involviert. Sie wurden alle mindestens eine Woche lang speziell geschult, übten das Verprügeln von undisziplinierten Fanhorden und lernten beispielsweise, daß die deutschen Rowdies beim Biertrinken vorzugsweise „Sieg heil“ rufen. Die schwedischen Blätter bemühen seit Wochen, die Hysterie der Polizei auf die Bürger zu übertragen. Beinahe täglich warnen die Zeitungen vor der „Invasion der Hooligans“ vornehmlich aus Deutschland, England und den Niederlanden. Das Hauptproblem ist wohl, daß in Schweden eine vergleichbare Fanszene mit all ihren Auswüchsen nicht existiert. Meist verlieren sich nur ein- bis zweitausend Fans in den Erstliga-Stadien. Zwar hat die im Vorjahr erstmals mit Terroranschlägen bekannt gewordene Gruppe von Rechtsextremisten des „Weißen Arischen Widerstands“ (VAM) Aktivitäten angekündigt. Aber da ihr Anführer Klas Lund im Gefängnis sitzt, dürfte die Polizei das Problem mit typisch schwedischer Gründlichkeit im Griff haben.

Fast schon grotesk wirkte da der Aufmarsch der Polizei bei der Generalprobe vor der EM: beim Lokalderby AIK gegen Djurgarden Ende Mai. 15.000 Zuschauer und 600 Polizisten kamen, das Spiel galt als Generalprobe vor der EM. „Polizei gewann mit 600 zu Null“, spöttelte 'Expressen‘. Die Zeitung weiter: „Da waren mehr Polizisten als bei den Unruhen in Bangkok im Einsatz.“ Die Konkurrenz von 'Aftonbladet‘ jubelte dagegen: „Die Polizei zeigte eine Stärkedemonstration mit militärischer Disziplin.“

Passiert war, wie üblich in Schweden, nichts. Die Polizeiketten mit Plexiglasschildern schüchterten den letzten Fan gehörig ein, allerdings auch den Steuerzahler. Kostete doch allein die Generalprobe schon eine Million Kronen (etwa 280.000 Mark). Die EM wird noch teurer: „Bisher bewilligte die Regierung 120 Millionen Kronen“, zählt Polizeisprecher Karlsson auf, „schon jetzt rechnen wir mit mindestens 165 Millionen, wahrscheinlich aber 200 Millionen Kronen.“

Der Aufwand ist schließlich beträchtlich. Wer die „defense area“ rund um das Stockholmer Rasunda- Stadion betreten will, der muß einen weiträumig absperrenden Zaun überwinden; selbst Anwohner brauchen dann eine spezielle Identitätskarte. Das wird beispielsweise in Norrköping, wo die Deutschen in der Vorrunde spielen, nicht ausreichen. Das 23.000 Zuschauer fassende Stadion von Norrköping ist für die 10.000 aus Deutschland erwarteten Fans einfach viel zu klein. Nach dem Schlüssel des Europäischen Fußballverbands (UEFA) können nur 6.000 Deutsche direkt dabei sein. Die anderen dürfen sich vor der Tür auf TV- Leinwänden anschauen, was die Vogts-Elf zustande bringt.

Die Schweden arbeiten wegen zu erwartendem Ärger bereits mit deutschen, englischen und holländischen Behörden zusammen. Aus diesen drei Ländern werden jeweils 10 bis 15 Polizisten — in zivil — dabei sein. Die Engländer bringen ihre 6.000 Namen zählende Computer-Kartei mit, auf denen die schlimmsten der Schlimmen gespeichert sind. Schon an den Grenzen bzw. auf den Fährschiffen sollen diese dann herausgefiltert werden.

Das Thema Alkohol — kaum etwas ist heikler in Schweden — wollen die Gastgeber mit Gelassenheit aussitzen. „Ein totales Alkoholverbot wurde diskutiert, aber verworfen“, sagt Ola Karlsson. Lächelnd fügt er hinzu: „Die Alkoholpreise in Schweden sind die besten Durstlöscher.“ In einer Kneipe sind für ein 0,4-Liter- „Starköl“ Preise von zehn Mark aufwärts zu berappen, in Supermärkten gibt es nur alkoholarmes Bier. Die Alkohol-Spezialläden haben nur montags bis freitags bis höchstens 19 Uhr geöffnet, Angetrunkene bekommen sowieso nichts. Ungewöhnlich kulant wird der Ausschankschluß gehandhabt: Die Wirte dürfen bis vier Uhr morgens offen halten — in der Hoffnung, daß die Gäste aus Resteuropa sich gesittet an die Tresen setzen.

Wem das immer noch nicht reicht, der muß wissen, welche Gründe beim Lokalderby AIK gegen Djurgarden für die Verhaftung der einzigen drei Bösewichte herhielten: das Trio hatte in aller Öffentlichkeit an Bäume gepinkelt, was ebenso verpönt ist, wie das Herumlaufen mit einer Bierflasche in der Hand.

Lars-Christopher Olsson, dem Generalsekretär des Schwedischen Fußballverbandes, ist die Öffentlichkeitsarbeit seiner uniformierten Landsleute schon peinlich. Es kann nicht gut sein, schrieb er dem Reichspolizeichef, wenn sie sich ständig als kämpfende Truppe darstellten. Damit müsse Schluß sein. Falk Madeja