Kein Stallgeruch im Pferdestadl

■ Start der Fußball-Europameisterschaft in Schweden: Das deutsche Team logiert zwar im Stall, doch erstmals in Einzelzimmern/ Weltmeister Deutschland bei den britischen Buchmachern Top-Favorit

Norrköping (dpa/taz) — In Italien wohnten sie in einem Schloß, in Schweden bezogen die deutschen Nationalspieler in Demut einen Ochsen- und Pferdestall. Vielleicht, um die Unempfindlichkeit der Kuh und die Schnelligkeit des Pferdes zu erlangen, denn das Ziel ist hochgesteckt: „Wir wollen Europameister werden. Das fehlt uns allen noch in der Sammlung“, sprach Teamkapitän Rudi Völler auf dem Flughafen in Norrköping, wo die Nationalmannschaft am Pfingstmontag gelandet war.

Knapp 90 Minuten später betraten Vogts und die 20 Nationalspieler, darunter auch der zuletzt umstrittene Thomas Helmer, das nobel umgebaute Basislager „Hotel Stallet“, wo sich die Kicker am allerliebsten ganze 18 EM-Tage lang aufhalten würden. Rund 1.000 Einwohner des schwedischen Städtchens Atvidaberg begrüßten die Weltmeister freundlich, von denen sie im folgenden jedoch wenig zu Gesicht bekommen werden: Um die Spieler vor allem Unbill abzuschirmen, ließ der DFB einen hohen Zaun um die gesamte Hotelanlage ziehen. Große Verwunderung bescherte eine ungewöhnliche Variante Berti Vogts: Nach der engen Kasernierung der Spieler in den Sportschulen Malente und Kamen gewährte er ihnen erstmals Einzelzimmer. Ob dort der richtige Stallgeruch aufkommen kann, wird ernsthaft bezweifelt.

Eine gleichsam überraschende Wendung nahm der Fall Helmer. Am späten Samstag abend hatte Berti Vogts gezwungenermaßen klein beigegeben. Nach telefonischer Rücksprache mit dem 27 Jahre alten Abwehrspieler und Vertretern von Borussia Dortmund und Bayern München entschied sich der Bundestrainer, Helmer endgültig mit nach Schweden zu nehmen, obwohl seine zukünftige Vereinszugehörigkeit weiterhin ungeklärt ist, was der Berti bekanntermaßen haßt wie die Pest. Alle Beteiligten sicherten dem verärgerten Vogts aber zu, daß während der EM wegen der Vertrags- und Wechselverhandlungen keine Unruhe mehr in den Kreis des DFB- Teams getragen würde.

„Ich werde und will es nicht dulden, daß der sportliche Ablauf in Atvidaberg gestört wird“, meinte Vogts, der aus dem Tauziehen als Verlierer hervorgegangen ist. Neue Diskussionen entflammten am Wochenende um Kapitän Rudi Völler. Dessen Verein AS Rom möchte den 32jährigen angeblich an Olympique Marseille weitergeben. Der jedoch erklärte: „Ich werde meinen Vertrag bis 1993 in Rom erfüllen.“ Der AS Rom will dies akzeptieren und nicht über den Kopf seines verdienstvollen Torjägers entscheiden.

Dem Weltmeister-Team bleiben noch zwei volle Tage in Schweden zur Einstellung auf die erste Gruppenpartie am Freitag (20.15 Uhr) in Norrköping gegen die Auswahl der GUS. „Das wird unser schwerster Gang in der Gruppe. Die GUS- Mannschaft wird unterschätzt und systematisch kleingeredet. Aber sie haben die Italiener aus der EM geworfen“, mahnte Vogts, der seit Monaten die Partie gegen den Vize-Europameister von 1988 als komplizierter einstuft als die folgenden Gruppen-Begegnungen am Montag (17.15 Uhr) nächster Woche in Norrköping gegen Schottland und am 18. Juni in Göteborg gegen Titelverteidiger Niederlande. „Ich hoffe, wir schaffen einen so guten Start wie bei der WM mit dem 4:1 gegen Jugoslawien“, meinte Vogts.

An ein gutes Abschneiden glauben zumindest die britischen Buchmacher: Bei ihnen ist Deutschland mit einer Quote von 5:2 der Top-Favorit. Es folgen Titelverteidiger Niederlage (7:2), Frankreich (9:2), England (5:1), Schweden (8:1), Dänemark und die GUS (12:1) sowie Schottland (25:1).

Die DFB-Delegation umfaßt mit allen Mitarbeitern und Funktionären 46 Personen. Die Leitung der Equipe hat Franz Böhmert, Präsident von Werder Bremen und DFB-Ligaausschußmitglied, übernommen. DFB- Pressechef Wolfgang Niersbach bestätigte, daß der erkrankte DFB-Präsident Hermann Neuberger auf Anraten der Ärzte nicht nach Schweden kommen wird.