Nazisprüche zwischen Werbeanzeigen

Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen das kostenlos verteilte Anzeigenblatt wegen Volksverhetzung  ■ Aus München Bernd Siegler

An jedem Dienstag flattert den Münchener Haushalten kostenlos der 'münchner anzeiger‘ in den Briefkasten. „Beliebt — erwartet — gern gelesen“, lautet die Eigenwerbung des Anzeigenblattes mit einem kleinen redaktionellen Teil, wie es bereits in fast jeder Kleinstadt eines gibt. Doch der 71jährige Münchener Verleger Alfred Detscher will damit nicht nur Geld verdienen oder Kunden für sein Reisebüro anlocken.

Er hat es sich zum Ziel gesetzt, „die reine Wahrheit“ zu verkünden. In eigenen Beiträgen, in Anzeigen und in Leserbriefen, verfaßt von einschlägig bekannten Rechtsextremisten, wird der Holocaust geleugnet und in übelster Manier gegen AusländerInnen und Flüchtlinge gehetzt.

Die Ende März dieses Jahres von der Staatsanwaltschaft München gegen ihn erhobene Anklage wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß scheint nun Detscher erst richtig motiviert zu haben. Er fühlt sich seither als Märtyrer, der das „unschuldige deutsche Volk von Schuldkomplexen“ befreien wolle.

Seit 33 Jahren gibt Detscher in seinem Münchener „Zehnerl Post Verlag“ in der Jagdstraße im Stadtteil Neuhausen Anzeigenblätter heraus. Inzwischen hat er seine Auflage mit dem 'münchner anzeiger‘ und dessen acht Stadtteilausgaben und dem 'Trabant Anzeiger‘ im Landkreis München auf mehr als 300.000 Exemplare steigern können. In Alleinregie ist Detscher Verleger, verantwortlicher Redakteur und Anzeigenleiter. Damit ist er nicht nur verantwortlich für zahlreiche Anzeigen der „Nationaldemokratischen Partei“, der rechtsextremen Postille 'Nation‘ oder des „Freundeskreises Freiheit für Deutschland“ („Asylbetrüger raus aus Deutschland“). Seit über einem Jahr betreibt Detscher auch Ausgabe für Ausgabe Geschichtsfälschung. In seinen Artikeln leugnet er den millionenfachen Mord an Juden, behauptet, daß Auschwitz kein Vernichtungslager gewesen sei, und bestreitet die deutsche Kriegsschuld.

Nach dem Abdruck eines ganzseitigen Inserats in der Ausgabe 49/91 hagelte es schließlich Strafanzeigen gegen den Münchener Verleger. Unter der Überschrift „Wir verlangen die Wahrheit und unser Recht“ forderten in dem Inserat 600 Unterzeichner, daß die „Darstellungen über Judenmorde aus den Schulbüchern und Medien verschwinden“ und die „Flut von Scheinasylanten gestoppt werden“ müßten. Daß sechs Millionen Juden ermordet wurden, bezeichneten sie als „staatlich geschützte Lüge“.

Aufgegeben wurde diese Anzeige von der J. G. Burg-Gesellschaft des Otto-Ernst Remer. Remer ist ein gerichtsbekannter Nationalsozialist. 1944 wurde er wegen seiner besonderen Verdienste bei der Niederschlagung der Verschwörung des 20.Juli von Hitler zum Generalmajor befördert, nach Kriegsende setzte er seine Aktivitäten zunächst in der NSDAP-Nachfolgeorganisation „Sozialistische Reichspartei“ fort. Heute tritt Remer bei verschiedensten neonazistischen Gruppen auf.

Neben der IG Medien erstattete auch der Münchener DGB-Vorstand und der Münchener SPD-Landtagsabgeordnete Franz Maget Strafanzeige gegen Detscher, unter anderem wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß. Die Staatsanwaltschaft München I erhob schließlich Anklage gegen Detscher. Da das Münchener Amtsgericht aber immer noch nicht über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung eines Verfahrens entschieden hat, kann Detscher weiter ungestört seiner, wie er sagt, „verlegerischen Informationspflicht“ nachgehen. In der Rubrik „Polizeibericht“ geht es vor allem um „jugoslawische Messerstecher“, „polnische Autodiebe und albanische Taschendiebe“, in den Leserbriefspalten tummeln sich einschlägig bekannte Rechtsextremisten wie z.B. der Bremer Aktivist der „Deutschen Liga“ Hans Altermann oder der bayerische NPD-Chef Karl- Heinz Sendbühler. Sie beschimpfen AusländerInnen als „Lumpen“, „Verbrecherbanden“ oder „Schmarotzer“. Im redaktionellen Teil reklamiert der wegen Gründung einer rechtsterroristischen Vereinigung verurteilte und inzwischen vorzeitig entlassene Manfred Roeder aus Schwarzenborn unter der Überschrift „Die vierfache Asyllüge“ das „göttliche Recht auf Selbstbestimmung und eine deutsche Heimat ohne fremde Eindringlinge“.

Solche Propagandatöne stören die Anzeigenkunden aber scheinbar nicht. Neben Elektro-, Fahrrad- und Nähmaschinengeschäften inserieren bei Detscher die Münchener „Trabrennbahn Daglfing“ oder der Tierschutzverein München e. V. Für das anstehende Gerichtsverfahren glaubt Detscher gut gerüstet zu sein. Er vertraut auf seinen Rechtsanwalt Klaus Göbel, der Anfang Mai den britischen Revisionisten David Irving vor dem Amtsgericht in München verteidigt hatte. Irving kam mit einer Geldstrafe von 10.000 DM wegen Beleidigung davon.