„Rettet die Rasse, die man einst verkauft“

Mit rassistischen und nationalistischen Texten haben Skinhead-Rockgruppen seit der Wende eine Renaissance/ Die Umsätze der einschlägigen Plattenfirmen stiegen um 60 bis 80 Prozent/ Die Grenzen zwischen Skin- und Neonazitum sind im Osten verschwommener als im Westen  ■ Aus Berlin Chr. Springgate

In der Ecke eines Hohenschönhausener Jugendklubs schaut der 16jährige Marc unbekümmert in die Röhre einer Warnschußpistole. Auf einem Ärmel seiner Jeansjacke ein roter Aufkleber: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“. Die ersten Barthaare sind frisch rasiert. Was von seinen kurzgeschorenen Haaren noch übrig ist, wird von den Hörern eines Walkman in Form gehalten. Marc hört „Störkraft“:

Überall, wohin du auch siehst,

Siehst du, wie dein Land überall fließt.

Fremde Völker nisten sich ein

Und behaupten auch noch, deutsch zu sein.

In ein paar Jahren

haben wir keine Rechte mehr,

Unsere Gefühle existieren nicht mehr.

Doch wir sind geboren in Deutschland,

Wir kämpfen für das deutsche Vaterland.

Ja, eines Tages,

Da wacht ihr alle auf,

Rettet die Rasse, die man einst verkauft.

Ich weiß, in jedem Deutschen, da steckt ein Mann,

Der das Verderben noch verhindern kann.

„Störkraft“ ist eine von mehreren rechten Skinhead-Rockgruppen aus Westdeutschland, die seit der Wende eine Renaissance haben. Ihre Musik: einfache Gitarren-Akkorde in der Punk-, Ska- und Heavy-Metal-Tradition. Die Texte: aggressiv, rassistisch, nationalistisch.

Vor 1989 hatten Gruppen wie „Störkraft“, „Endstufe“, „Kahlkopf“ und die Berliner „Kraft durch Froide“ kleine Nischen in der westdeutschen rechten Skin-Szene besetzt. Wann immer sie die Aufmerksamkeiten der Polizei (und die der Antifaschisten) von sich abschütteln konnten, organisierten sie kurzfristig Konzerte in Kleinstädten für ihr überschaubares, aber gleichgesinntes Publikum.

Seit der Öffnung der innerdeutschen Grenze haben die genannten Gruppen den Osten als Betätigungsfeld entdeckt, zusammen mit einigen neuen Erscheinungen wie „Märtyrer“, „Noie Werte“, „Tonstörung“, „Wotan“, „Radikaler Haß“, „Volkszorn“ und den Schweizer „Sturmtruppen“. Bei einer Cottbuser Veranstaltung mit den Gruppen „Radikahl“, „Störkraft“ und den neofaschistischen „Screwdriver“ aus England sollen 1.000 Zuschauer gewesen sein, berichtet das fotokopierte Skinhead-Fanzine 'The Angelic Times‘. Die meisten Konzerte enden in Suff und Schlägerei, das Konzert in Cottbus noch mieser: Einige Mitglieder von „Screwdriver“ wurden verhaftet, weil sie einen Vietnamesen mit Messern angegriffen haben sollen.

Wie verbreitet die rechtsextreme Musik in der Ex-DDR wirklich ist, ist schwer zu sagen. Von den zehn Kumpels von Michael aus Oberschöneweide hören noch fünf national- rassistische Stücke, „vor drei Jahren waren es acht oder neun,“ erzählt der 15jährige. Das sind „Dinge, die einfach gesagt werden müssen. Das ist ja ein schwieriges Problem mit den Ausländern in Deutschland.“

Fest steht, daß die gesamtdeutsche Nachfrage an rechtsextremer Musik nach der Wende steil gestiegen ist. In den Monaten nach dem November 1989 vermerkte ein Westberliner Plattenverkäufer einen „sechzig- bis achtzigprozentigen Anstieg“ in der Nachfrage nach Platten von rechten Bands.

Für den Vertrieb verantwortlich ist hauptsächlich „Rock-o-Rama“, eine Firma aus Brühl bei Köln. Fast hat sie ein Monopol auf den Verkauf rechtsextremer Tonträger, unter anderem auch von „Screwdriver“. Die Verkaufsmethoden von Rock- o-Rama sind unkonventionell: Was es gerade im Angebot gibt, wird mittels eines fotokopierten, DIN- A5-formatigen Katalogs bekanntgegeben, der nur in interessierten Kreisen in Umlauf gebracht wird. Trotzdem läßt sich anscheinend gutes Geld damit machen. Markus Repkow, ein Bochumer Plattenverkäufer, schätzt den Umsatz der Brühler Firma auf mehrere Millionen Mark. Er glaubt, daß „große Umsätze im Osten gemacht werden“.

Der Osten bietet tatsächlich gewisse Vorteile. „Da kommen die Bands leichter an Räume“, sagt Olli, ein 26jähriger Westberliner und früheres Mitglied einer rechten Skin- Band. „Sie können ihre Konzerte in Ruhe machen, sie werden von den Linken nicht gestört. Und es ist eine Möglichkeit für Skin-Bands, vor einem großen Publikum zu spielen.“ Trotzdem sind, wie früher im Westen, die Konzerte inoffiziell, nur gutinformierten Leuten zugänglich. „Die Konzerte werden kurzfristig ausgemacht“, meint der rechtsextreme Pistolenträger Marc. „Selbst wenn du's von einem erfährst“, sagt er mir, „würde ich an deiner Stelle nicht hingehen — mit deinen Haaren.“

Marc hilft mir bei meiner Suche nach Ostberliner Läden, die rechte Musik verkaufen. „Versuch's mal in der Siegfriedstraße in Lichtenberg.“ An deren Anfang ein namenloser Laden. Draußen hängen zwei Flaggen mit Motiven aus dem amerikanischen Bürgerkrieg. Drinnen begrüßt einen eine mannigfaltige Auswahl an Kultobjekten: vom simplen Heavy- Metal-T-Shirt über Totenkopfringe, wie man sie auch fast überall erhalten kann, bis hin zu einer reichlichen Auswahl an Messern. Sogar eine kleine Pistole gehört zum Sortiment.

Aus einer Ecke bläst eine Box laute Musik in den kleinen Ladenraum hinein. In einer anderen Ecke finde ich, wonach ich suche: Platten von „Störkraft“, „Endstufe“, „Screwdriver“ und „Kompagnie“. Für die Kaufkräftigeren gibt es auch rechte CDs. Hinter dem Tresen starrt mich ein dünner, drahtiger Mann im „Märtyrer“-T-Shirt mit mißtrauischen Augen an. Als er einen Ausweis sehen will, zeige ich ihm meinen Presseausweis. „Ich dachte, sie könnten vom Verfassungsschutz sein...“

Wir vereinbaren ein längeres Gespräch für den nächsten Tag. Ich bin zur vereinbarten Zeit da, aber keine Spur vom dünnen „Märtyrer“- Mann. Statt dessen ein etwas kräftigerer Typ, der nur eine forciert-höfliche Antwort auf meine Fragen kennt: „Tut mir leid, keine Interviews, keine Fotos.“

Ob eine Verbindung zwischen rechten Musikern und organisierten neonazistischen Gruppierungen besteht, ist umstritten. In einem vom Jugendsenat 1990 veröffentlichten Artikel schreibt der Sozialarbeiter Günther Orlopp: „Eine der ersten Skin-Bands war die Kölner Gruppe „Cotzbroken“, die 1979 als Punkgruppe gegründet wurde. Die zum Teil linken, sozialkritischen Texte wurden durch den Einfluß von Jugendlichen aus rechten Organisationen (NPD, „Stahlhelm“) aus dem Programm genommen, und die Band wurde nach und nach zu einer Schlägertruppe umfunktioniert.“ Weiter schreibt Orlopp: „Die Mitglieder solcher Bands sind oft schon älter und haben diese Bands mit der Absicht gegründet, rechtsradikale Texte zu veröffentlichen. Beispiele sind ,Screwdriver‘ (England) und die Gruppe ,Böhse Onkelz‘ aus Frankfurt.“ Orlopp spricht aus eigener Erfahrung. Früher, als er noch Punk war, kannte er auch „Bands, deren Mitglieder gleichzeitig Mitglieder von neofaschistischen Organisationen waren“. Nach Karstens Ansicht sind die Kontakte zwischen rechten Rockgruppen und neonazistischen Gruppierungen selten und informell: „Meistens nur in Kneipen, wo ein paar Sprüche abgelassen werden, aber konzertierte Aktionen gibt es nicht.“ Allerdings bemerken die Westberliner Skins einen Unterschied zwischen sich und Ost-Skins. „Dort gibt es mehr politische Motive, mehr Leute sind in Parteien organisiert.“ Die Grenzen zwischen Skin- und Neonazitum scheinen im Osten verschwommener als im Westen zu sein. „Wenn man im Westen früher zum Fußball gegangen ist“, erzählt Mati, „hat man gesehen, wie Skinheads am Bierstand standen und gesoffen haben. Dann gab's die Hooligans extra, dann irgendwelche Scheitel beziehungsweise welche, die in Parteien organisiert waren, die standen auch extra. Und im Osten ist das alles ein Schmelztiegel, alles zusammen.“

Diesen „Schmelztiegel“ findet man bei rechtsextremen Konzerten wieder. Dort bauen neonazistische Gruppierungen ihre Werbestände auf. „Sie merken, daß sie da ihre Anhänger finden können“, schätzt der junge Ostberliner Michael. „Die Musik hat eine wichtige Rolle, um die Leute an die (neonazistische) Szene heranzubringen“, meint auch Markus Repkow. „Die Jugendlichen kaufen die Musik, dann wollen sie in die Konzerte gehen. Da treffen sie dann auf richtig harte Leute. Die Musik ist eindeutig ein Propagandainstrument.“

In dem Hohenschönhauser Jugendklub setzt Marc seinen Walkman wieder auf und verschwindet in einer Betonflucht. Ich hatte ihn im letzten Sommer kennengelernt. Damals war er noch Sympathisant. Mittlerweile ist er in die „Nationalistische Front“ eingetreten. Jetzt müssen alle Interviews erst „mit der Partei abgeklärt sein“.