Texte sind anachronistisch, aber haltbar

■ Der Schriftsteller Andreas Mand über Zeitwahrnehmung, seinen neuen Roman, über sich und über Lichtenberg

Andreas Mand, Jahrgang 1959, geboren in Duisburg, lebt seit 1990 in Ost-Berlin, Schriftsteller. Er hat bisher vier Romane veröffentlicht: »Haut ab« (Edition Nautilus, 1982), »Innere Unruhen« (Verlag Michael Kellner, 1984), »Grovers Erfindung« (Maro Verlag, 1990), »Der Traum des Konditors« (UVA Unabhängige Verlagsbuchhandlung, Ackerstraße, 1992). Im Herbst wird »Grovers Erfindung« als Taschenbuch bei Luchterhand erscheinen, beim Maro Verlag erscheint eine Fortsetzung des Romans.

taz: Ihr Roman »Der Traum des Konditors« erzählt von einem Mann, der beim Versuch, als Künstler zu leben, fürchterlich scheitert: Er ruiniert sich und seine Familie und ist am Ende seines Lebens auf Almosen angewiesen. Sie haben in den letzten zehn Jahren vier Romane veröffentlicht — kann man davon leben?

Andreas Mand: Ich mache seit vielen Jahren nichts anderes, als zu schreiben oder verwandte Dinge zu versuchen, also Rockmusik zu machen oder neuerdings Drehbücher zu konstruieren. Aber ich konnte nur selten davon leben. Geld habe ich anfangs mit »Haut ab« und dann erst wieder mit »Grovers Erfindung« verdient. Gelebt habe ich von Bafög und Arbeitslosenhilfe oder von irgendwelchen überflüssigen Jobs. Wahrscheinlich ist heute die größte Gefahr, daß man irgendwann doch noch in einer festen Anstellung landet.

Ihre Romanfigur zieht in den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts durch die ostfriesischen Dörfer und rezitiert in Kneipen Gedichte. Seine Rezitationskunst ist durch das Radio anachronistisch geworden. Mir scheint, daß heute das Schreiben von Romanen etwas ähnlich Anachronistisches ist.

Video- und Tonbänder kann man in 50 Jahren nicht mehr abspielen, Texte sind vielleicht anachronistisch, aber sie sind haltbar. Allerdings ist auch Haltbarkeit etwas Anachronistisches. Es ist natürlich eine Frage, ob in 50 Jahren noch jemand lesen kann. Es gibt ja realistische Annahmen, daß dann nur noch ungebildete Wilde in Deutschland leben. Trotzdem habe ich meine Literatur bewußt als Medium benutzt, um ein Archiv von Zeiteindrücken anzulegen. Außerdem sind 500 Blatt Schreibmaschinenpapier billiger als eine Stunde im Tonstudio.

Der Versuch, mit den Romanen Zeitwahrnehmungen zu bewahren, ist besonders deutlich in Ihrem vorletzten Roman »Grovers Erfindung«, der, mit deutlichen autobiographischen Bezügen, eine bundesrepublikanische Kindheit am Anfang der siebziger Jahre erzählt. Es ist interessant, wie dieses Ausgraben von vergessenen Wahrnehmungen im neuen Roman übergeht in die Expedition in »die Zeit vor meiner Zeit«; erzählt wird das Leben eines Mannes, der von 1872 bis 1942 lebte.

Das Vorbild der Romanfigur Rabenstein ist ein entfernter Verwandter, und insofern hat der Roman schon etwas mit meiner Identität zu tun. Mich hat dieser Mensch interessiert, weil er mir durch seine Künstlerexistenz vergleichbar schien. Insofern ist das Buch auch autobiographisch, wenn man den Begriff nicht zu eng faßt.

Obwohl der Ausbruchsversuch Ihrer Romanfigur gründlich mißlingt, hat er etwas Befreiendes. Vielleicht ist Rabenstein sympathisch, weil er so völlig gescheitert ist.

Ich hatte schon länger die Idee, die Autobiographie eines Erfolglosen zu schreiben, das Gegenteil einer Star- Biographie.

Es ist seltsam, wie in Biographien von Künstlern das Elend verklärt wird: Es war die Voraussetzung der großen Kunst und damit eine sinnvolle Anlegenheit. Man traut sich nicht, ein Scheitern zu akzeptieren.

Das Muster im Künstlerroman ist doch, daß nach dem Mißerfolg das Genie siegt. Da fand ich es interessant, jemanden zu beschreiben, der erfolglos anfängt und erfolglos aufhört.

Sie sind im September 1990 von Osnabrück nach Lichtenberg, einem abgelegenen Bezirk Ost-Berlins gezogen.

Ja, ich dachte, das ist die letzte Gelegenheit, Ostdeutschland einigermaßen so kennenzulernen, wie es war. Als ich zum ersten Mal nach Lichtenberg kam und aus der S- Bahn-Station Rummelsburg ausstieg, hatte ich ein seltsames Déjà-vu. Ich bin in Duisburg geboren, wir lebten zwischen Zechen und metallverarbeitender Industrie. Alte Häuser, Schornsteine, Baulücken aus dem Krieg. Daran hat mich Lichtenberg sofort erinnert, ein spontanes Heimatgefühl, das ich in West- Berlin nie hatte.

Wahrscheinlich ist relevante Literatur immer eine recht abseitige Angelegenheit, die Sache einer winzigen Minderheit. Ihre verhält sich ziemlich resistent gegenüber irgendwelchen Zeitströmungen.

Wenn man etwas Abseitiges macht, hat man immer die Chance, sich plötzlich an der Spitze zu finden. Wenn man weit genug abseits steht, ist man schon da, wenn der Hauptstrom kommt. Interview: Peter Laudenbach

Andreas Mand liest heute um 20 Uhr in der Buchhandlung »Village Voice«, Ackerstraße 1a, Mitte.