Das immament Katastrophische der Technik

■ Der Philosoph Hans Jonas erhält heute die Ehrendoktorwürde der Freien Universität/ Veranstaltung zu »Prinzip Verantwortung«

Mit der Verleihung des Ehrendoktors würdigt die FU Berlin heute das Werk des Philosophen Hans Jonas. Bekannt wurde der in New York lebende Philosoph durch ein Thema, dem er sich erst im Alter zuwandte: dem Verhältnis des Menschen zur Natur und zur Zukunft. Mit der modernen Technik, so Jonas in seinem 1979 erschienenen Buch Das Prinzip Verantwortung, habe sich das Wesen menschlichen Handelns grundlegend verändert. Die Verheißung, die sich einstmals mit der Technik verband, sei in eine Drohung umgeschlagen, eine Drohung, die der Natur gilt und dem Leben zukünftiger Generationen. Für diese »Kumulation menschlichen Handlungspotentials« entwickelt Jonas eine Ethik, in deren Zentrum die Verantwortung steht.

Der 1903 in Mönchengladbach geborene Sohn jüdischer Textilfabrikanten schloß sich früh der zionistischen Bewegung an. Jonas studierte in Freiburg, ab 1921 an der Berliner »Hochschule für die Wissenschaft des Judentums« und zuletzt in Marburg. Als Schüler Martin Heideggers und des Religionswissenschaftlers Rudolf Bultmann hatte Jonas 1928 über den Begriff der »Gnosis« (religiös-philosophische Bewegung des Frühchristentums) promoviert. 1933 emigrierte er nach England, später nach Palästina. Am Zweiten Weltkrieg nahm er als Soldat der britischen Armee teil. Seine Mutter und andere nahe Verwandte wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Jonas lehrte unter anderem an der Hebrew University in Jerusalem, zuletzt — bis zu seiner Emeritierung 1976 — an der »New School for Social Research« in New York. Seine Forschungen widmete er dem Verhältnis von Körper und Geist.

Der Antrieb, sich mit Ethik zu beschäftigen, kam für Jonas durch eine Art »Schockerlebnis«. »Doch was mich zur Ethik als verbleibender Lebensaufgabe brachte«, schreibt er in einem Aufsatz, »war nicht so sehr die immerhin vermeidbare Gefahr des atomaren Holocaust wie vielmehr die fast unvermeidlich scheinende Kumulativwirkung unserer gesamten, tagtäglich praktizierten Technologie, selbst in ihrer friedfertigsten Form.« Die Folgen »friedfertigster« Technik sind heute für jede(n) unübersehbar — Tschernobyl und Bhopal sind hier Namen unter vielen.

Das Alter hält den inzwischen 89jährigen Jonas keineswegs ab vom Philosophieren. In zahlreichen Essays und Vorträgen hat er sein Thema einer Ethik für die technologische Zivilisation weiter ausgebaut. 1987 erhielt er dafür den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Die Verantwortung, heißt es in seiner Dankesrede, sei eine Pflicht, die Opfer verlangt — Opfer der reichen Industrienationen. »Unserer Üppigkeit ist Einschränkung wohl zuzumuten.« Skeptisch bleibt Jonas gegenüber der Realisierung solcher Einschränkungen. Die Einsichtsfähigkeit der Menschen hätte sich in den letzten Jahren sicherlich positiv verändert, jedoch nicht die Fähigkeit, nach solchen Einsichten zu handeln.

Die Verleihung der Ehrenpromotion findet heute um 11 Uhr im Auditorium Maximum des Henry-Ford- Baus statt. Am Nachmittag werden im Beisein Jonas' Podiumsdiskussionen zu den Themen »Prinzip Verantwortung — Herausforderung an Forschung, Wirtschaft und Politik« (16 Uhr) und »Wissenschaftsethik als Aufgabe der Universitäten: Studium generale?« (18 Uhr) abgehalten. Christof Hamann