„Close my eyes“ — viel ungesehenes London

London im Sommer 1990, Sonne in den Fenstern, Fassaden, Veranden und Fluren. Eine behende Kamera, ein Paar, das unter Versäumnissen und Vorwürfen in einen Taumel gerät, der die beiden verstrickt und bindet. Das Begehren als Spirale, der Wunsch, mehr zu bekommen, als einem zusteht; aber was steht einem zu in einer Stadt, die die melancholischen „Docklands“ eintauscht gegen eine Silberstadt mit barocken Aschenbechern und gläsern schwebenden Fahrstühlen?

„Close My Eyes“ ist ein theatralischer Film an gefundenen Drehorten; sehr viel ungesehenes London als Puzzle in einem ambitioniert collagierten Drehbuch. Es ist nicht, wie die Werbung für den Film — natürlich — penetrant herausstellt, ein Film über den Inzest. Oder jedenfalls glaubt man Stephen Poliakoff kaum, daß er sich für das Tabu und seine (Nicht-)Darstellbarkeit ernsthaft interessiere. Das sexuelle Encounter von Richard (Clive Owen) und Natalie (Saskia Reeves) ist eher Vorwand für eine generelle Erhitzung, in die einen der Film durchaus hineinzieht, wenn man sich von den gelegentlich verunglückten Dialogen nicht abschrecken läßt. Leider werden die Mängel auf der Seite des Drehbuchs durch die deutsche Synchronisation erheblich gesteigert; der Sprecher von Clive Owen hat diesen unerträglichen anglosächsischen „twang“, der noch jeden brauchbaren deutschen Satz irgendwie lächerlich erscheinen läßt; abgrundtief falsch. Auch der Zusatz im Titel „Be

gehre oder töte mich“ spricht nicht für den Geschmack der hiesigen Investoren.

„Close My Eyes“ ist in England sehr erfolgreich gewesen. Und dort, wo die „Docklands“ schon leerstehen und der Zwei-Drittel-Boom der Ära Thatcher Profiteure zu Verlierern gemacht hat, mag dieser lichtreiche, selbst in seinen Patzern anrührend menschliche Film Teil einer „Bewältigung“ gewesen sein.

Gegenspieler des inszestuösen Paares ist Sinclair, unter dessen eheliche Obhut sich Natalie im Laufe der Handlung begibt. Sinclair ist reich und erlebt den Boom als Spiel, dessen Irrsinn, Eitelkeit und Regellosigkeit er durchschaut. Mit Mißtrauen und Ruhe versucht er die unsichtbare Stelle in den Blick zu bekommen, an der sein Leben in die Brüche zu gehen droht; und als er erkennt, daß die Untreue seiner Frau mehr ist als nur das, gebietet er — dem sonst keine Weisheit zu schade ist, ausgebreitet zu werden — ebenso weise Schweigen. Alan Rickman (im Bild mit Saskia Reeves), mit seiner großen Nase, seinem festen Blick, der entschiedenen Furche um den Mund gibt dieser Figur Größe, ja geradezu Fitzgeraldsche Statur. Er ist für seine schauspielerische Leistung mit dem British Film Award 1991 ausgezeichnet worden.

109 Min., Farbe, 35 mm, Buch und Regie Stephen Poliakoff Uez