Dänisches Maastricht-Votum

■ betr.: "Die DänInnen als Vorreiter" (Plädoyer für EG-weite Maastrich-Referenden) von Donata Riedel, "Gulliver und Europa" (Über Volkssouveränität und deutsche Sonderwege) von Ulrich Hausmann, taz vom 5.6.92

betr.: dito, und „Die DänInnen als Vorreiter“ (Plädoyer für EG- weite Maastricht-Referenden) von Donata Riedel, „Gulliver und Europa“ (Über Volkssouveränität und deutsche Sonderwege) von Ulrich Hausmann, taz vom 5.6.92

Immer stärker kommt der herrschaftsorientierte undemokratische Charakter der EG in ihrem Übergang von einer wirtschaftlichen zu einer politisch-militärischen Großmacht zum Vorschein. Die unglaubliche Mißachtung des Mehrheitsvotums Dänemarks seitens der politischen und administrativen Eliten der EG und ihrer Mitgliedsstaaten gibt einen Vorgeschmack davon, wie sehr die EuropäerInnen künftig im Dienste an ökonomischen, finanziellen und militärischen Interessen gegängelt werden sollen, die nicht die ihren sind. In diesem Zusammenhang ist dem „Pro-Referendum“ von Donata Riedel zuzustimmen.

Darüber hinaus wirft die gegenwärtige EG-Krise erneut die grundsätzliche Frage nach der im Interesse der Menschen und der Umwelt bestmöglichen Organisation Europas auf. Zu Recht weist Ulrich Hausmann in seinem „Contra-Referendum“ auf die Furcht vor einer Dominanz Deutschlands in einem EG-Europa hin, die nicht nur die DänInnen haben. Historisch denkende Menschen können ohne Schwierigkeiten eine Analogie zwischen einem preußisch dominierten deutschen Einigungsprozeß im 19. Jahrhundert und einem deutsch dominierten europäischen Einigungsprozeß im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert herstellen. Um dies zu verhindern, müssen an die Stelle der Nationalstaaten Regionen als Bestandteile einer europäischen Föderation treten. Und die Regionalisierung muß über die staatlichen Strukturen hinaus auch auf die Wirtschaftsordnung ausgedehnt werden, was wiederum nur im Rahmen der Entwicklung von nach ökologischen Gesichtspunkten funktionierenden, nicht wachstumsorientierten regionalen Wirtschaftskreisläufen möglich sein dürfte.

Entsprechende programmatische Ansätze bei den Grünen, Bündnis90 und ähnlich ausgerichteten Parteien und Bewegungen in den verschiedenen europäischen Ländern ließen sich auf der Grundlage des multifunktionalen Regionalismus des schweizerischen Föderalisten Denis de Rougemont weiterentwickeln. Deswegen möchte ich eine intensive Beschäftigung mit diesem Konzept empfehlen. Lutz Roemheld, Fröndenberg

Ich denke, es spielen viele Motive eine Rolle für die Ablehnung der EG- Verträge durch das dänische Volk. Es wäre blind, dabei etwa Spielarten von Fremdenfeindlichkeit zu verleugnen. Diese Motive betreffen nicht ausschließlich die europäische Einigung, weder in Dänemark noch in Frankreich, noch bei uns.

Ein Motiv der DänInnen scheint mir jedoch besonders bemerkenswert, da es Chancen aufweist: die Verdrossenheit der „Bürger“ über Politik an ihren Befindlichkeiten vorbei. In Brüssel entsteht ein Riesenapparat, der den Alltag aller Europäer (ob EG-Mitglieder oder nicht!) mitbestimmt, und es spricht einiges dafür, daß dieser Apparat den Mächtigen dient, ihre Macht noch feiner und wirksamer zu organisieren.

Die Reaktion der übrigen „großen“ Europäer bestätigt dies eindrucksvoll: Von „Dann machen wir's eben ohne Dänemark“ bis zu „Die Dänen sollen halt noch mal abstimmen“ zeigt, daß solch demokratische Voti schlicht ignoriert werden in „Europa“.

Und nun erklärt der Herr Hausmann, ein Referendum in Deutschland ginge nicht, weil die Deutschen keine makellose Geschichte der Demokratie und Volkssouveränität hätten! Noch dazu behauptet er, das dänische Ergebnis sei mit der Angst der DänInnen vor dem „Gulliver“(?) Deutschland zu erklären. Setzen wir also die Geschichte der achtlosen Oberhandpolitik à la Kohl weiter fort, unser „vorbildlich agierender Helmut Kohl, der mit Entgegenkommen auf die Sorgen unserer Nachbarn zu reagieren vermag“, weiß allein, was gut ist für uns. In einem Punkt hat er leider recht: kein Mensch in Deutschland hat jemals einen dieser ominösen Maastrichter Verträge in der Hand gehalten, ganz im Gegensatz zu den DänInnen, die ihn wohl alle mal gelesen haben.

Ich wehre mich dagegen, daß politische Bildung und Willensbildung in diesem Land weiter verhindert werden soll; daß eine qualifizierte demokratische Äußerung aus Dänemark mißachtet wird und daß die Einigung Europas von Herren vollzogen wird, die bei der letzten nationalen Einigung schon kläglich versagt haben. Ich habe eine europäische Identität und bin für eine gemeinsame Politik, aber ich erwarte, daß die Definition des Begriffes „Europa“ von allen Beteiligten und Betroffenen entwickelt wird. In diesem Sinne sind die DänInnen die besten Europäer, aber niemand fragt danach, und niemand schaut hin.

Zumindest in diesem Falle geht es bei einem Referendum nicht um die Konsequenzen dieses oder jenes Ergebnisses, sondern es geht um politische Kultur, um die Kontrolle von Macht und die Beteiligung derer am Entscheidungsprozeß, die das Ganze nachher lebendig gestalten müssen (sollen/wollen?). Der Kommentar von Herrn Hausmann hingegen steht in der Tradition derjenigen, die für mich und alle anderen mitdenken — nein, nicht „mit“, sondern am liebsten „anstatt“. Michael Dick, Hamburg