Das Ende der Südtirol-Frage?

Mit der feierlichen „Streitbeilegungserklärung“ soll nach dreißig Jahren Verhandlungen das friedliche Nebeneinander der Ethnien in Südtirol garantiert werden/ Minderheitenvertreter sind unzufrieden  ■ Aus Bozen Werner Raith

Für Roland Riz, seit gut einem Jahr Vorsteher der „Südtiroler Volkspartei (SVP)“, war „die geradezu überwältigende Zustimmung“ zum tiroler Kompromiß-Paket in Sachen Minderheitenschutz „überhaupt keine Überraschung“. Für seine Antagonistin Eva Klotz von der „Liste für ein Tirol“ dagegen der „definitive Beweis, wie leicht man die neue SVP-Führung in die Falle locken konnte“. Die „Schützen“ vom Traditionsverein mögen „gar nicht mehr hinhören, wenn die 's Maul aufreißen“ (so ein Zwischenrufer während des SVP-Kongresses), „weils eh' bloß de Itaker in Arsch neikriechen“.

Mit 83 Prozent der Delegiertenstimmen hatte die SVP am 30. Mai ihr Ja zum endgültigen Text des sogenannten „Südtirol-Pakets“ kundgetan. Es soll nicht nur „den Abschluß dreißig Jahre währender, schmerzlicher Verhandlungen“ (so der frühere SVP-Obmann Silvius Magnago) signalisieren, sondern gar „ein weltweites Signal setzen, wie ein Zentralstaat mit Minderheiten umgehen sollte“ (so das italienische Außenministerium). Am heutigen Donnerstag wird der Vertrag mit einer „Streitbeilegungserklärung“ Österreichs gegenüber dem italienischen Botschafter völkerrechtlich verbindlich.

Die Südtirol-Frage war unmittelbar nach Kriegsende in den internationalen Blickpunkt gerückt: Das nach dem 1. Weltkrig Italien zugeschlagene Ländchen wollte zurück zu Österreich. Doch die unter Mussolini praktizierte rabiate Unterwerfungspolitik hatte alles bereits grundlegend verwandelt. Zehntausende Süditaliener waren nach Norden umgesiedelt worden. Am Brenner sprach bis Ende des 60er Jahre kaum ein Zöllner deutsch, und die Polizisten kamen alle aus dem Süden.

1946 unterzeichneten 160.000 Südtiroler, mehr als ein Drittel aller dort Lebenden, eine Petition zur Rückkehr nach Österreich. Doch der italienische Ministerpräsident De Gasperi handelte mit Österreichs Außenminister Gruber eine Übereinkunft aus, die den Verbleib in Italien garantierte. Minderheitenrechte sollten respektiert werden. Von da an marschierte die damals eben erst gegründete Südtiroler Volkspartei an der Spitze der deutschorientierten Bürgerbewegung.

1948 installierte Italien, zögerlich, eine eigene Region (ähnlich unseren Bundesländern), „Trento-Alto Adige“. Die allerdings war so konstruiert, daß die Mehrheit italienischstämmig blieb. Danach folgte fast ein Jahrzehnt nichts mehr — bis den Südtirolern die Geduld riß. Attentate begannen, zuerst gegen Kasernen und Züge, später gegen Carabinieri und Polizisten.

In dieser Situation trat eine Art Zampano maximus urbi et orbi auf — Silvius Magnago. Er riß 1957 überraschend die Leitung der SVP an sich und entwickelte eine eigene Idee von Südtirol: Nicht mehr „Los von Rom“ hieß seine Parole, sondern „Los von Trient“, der weitgehend italienischsprachigen Provinz südlich der deutschen-dominierten in Bozen. Statt Anschluß an Österreich propagierte der SVP-Führer „Autonomie“. Zunächst ohne Erfolg.

1959 brachte Österreich die Südtirol-Frage vor die UNO. Diese erklärte in zwei Resolutionen 1960 und 61, daß die Südtirol-Frage keine nur interne italienische Angelegenheit sei und forderte Verhandlungen. Italiens Regierung aber suchte den Sieg auf dem Schlachtfeld. Einige der mußtmaßlichen Bombenleger wurden erschossen, andere gefangengesetzt. Die Terrorakte gingen trotzdem weiter. Erst 1969 kam es zu einer Reihe autonomieförderlicher Maßnahmen. 137 Einzelbestimmungen enthielt ein „Paket“, das von der SVP mit knapper Mehrheit akzeptiert wurde.

1972 traten dann die Vorschriften in Kraft — auf dem Papier. Der Bezirk Bozen wurde zu einer „autonomen Provinz“ erklärt, mit eigener Gerichtsbarkeit und Administration, Kulturhoheit und Deutsch als gleichberechtigter Amtssprache. Doch die Realisierung ließ auf sich warten, zwanzig Jahre lang. Die italienische Regierung hatte ihr primäres Ziel erreicht — nach Verabschiedung des Pakets entzogen die Südtiroler ihren „Bummsern“ die Unterstützung, die Anschläge hörten auf. Kein Grund also mehr, sich an die Verträge zu halten.

Doch inzwischen hatten sich andere „Garanten“ für die Einhaltung der Verträge gefunden — speziell die bayerische CSU unter Franz Josef Strauß. Wann immer die Italiener — in den 70er Jahren häufig — an bundesdeutsche oder EG-Pforten um Geld fürs hausgemachte Defizit klopften, ertönte die Stimme des „Ehren-Schützen“: Und was ist mit dem Paket? Nach und nach gaben die Römer nach, realisierten die eine oder andere Norm des Pakets, vor allem vor Wahlen, bei denen die Regierungsparteien kaum mal ein Bein auf den Boden brachten.

Gegen Ende der 70er Jahre war zwar noch immer kaum die Hälfte des Pakets erfüllt, doch die Wirkung war unübersehbar: Wo einst die Italienischsprachigen herrschten, dominierten nun die Deutschstämmigen. Die Politik in der autonomen Provinz bestimmte die SVP und sonst niemand. Dort hingezogene Italiener bekamen es mit der Angst — und wählten immer mehr rechts. Seit Mitte der 80er Jahre ist die neofaschistische Partei MSI dort zweitstärkste Partei.

Anfang des Jahres nun wurden die noch ausstehenden „Paket“-Maßnahmen realisiert. Der letzte strittige Punkt — Bozen möchte sich bei Statut-Verletzungen direkt an den Internationalen Gerichtshof in Haag wenden, was Italien als weit über die Autonomie hinausgehend betrachtet — wurde durch einen Kompromiß beigelegt. Beide Seiten berufen sich auf den De-Gasperi-Gruber-Pakt, der internationale Bindungswirkung hat und so den Zugang nach Haag durch die Hintertür ermöglicht.