Rot-grüne Halbzeit in Niedersachsen

Ministerpräsident Gerhard Schröder zieht durchs Land/ Nach zwei Jahren rot-grüner Regierung guter Wille und wenig Taten in der Bildungs- und Umweltpolitik/ Kritik von der Basis  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

„Versprochen — Wort gehalten: Aus eigener Kraft, den eigenen Weg“, verkünden in dunkelblau die Plakate. Nach den sechs Damen in den geblümten Kleidern und ihren Hits aus den fünfziger Jahren setzt endlich Ministerpräsident Gerhard Schröder zur Rede an, um Halbzeitbilanz zu ziehen. Am 13. Mai 1990 hatten die Niedersachsen zuletzt ihren Landtag gewählt, am 13. Juni dieses Jahres wird die rot-grüne Regierung volle zwei Jahre im Amt sein. Für die niedersächsische SPD Grund genug, nicht nur ihre MinisterInnen auf Talkshow-Tournee zu schicken, auch Gehard Schröder mußte in den verganenen Wochen auf vier Regionalkonferenzen die SPD-Basis beglücken. Hier im Forum der Albert- Schweitzer-Schule in Sarstedt sind es etwa 240 geladene Parteimitglieder aus dem SPD-Bezirk Hannover, die erst „Ich will keine Schokolade, sondern lieber einen Mann“ und dann den Ministerpräsidenten hören dürfen.

„Was wir gemacht haben, was wir machen wollen“, ist Schröders Thema. Da taucht dann das altbekannte Schlagwort aus dem Wahlkampf von 1990 wieder auf, die „Renaissance in der Bildungspolitik“, für die die Landesregierung inzwischen auch tatsächlich gesorgt habe. Doch obwohl das Land hierfür „seine Ressourcen mobilisert“ habe, fühlt sich der Landesvater von der undankbaren GEW „in den Hintern getreten“, konfrontiert ihn die ÖTV mit einer Kampagne gegen das Kindertagesstättengesetz der Landesregierung. Auch die „Atomkraft“ ist da eine „gefährliche Erzeugung von Ernergie“ geblieben, doch statt wie im Wahlkampf um den Ausstieg kämpft Schröder heute darum, sie „Zentimeter um Zentimeter zurückzudrängen“. Manchmal habe man es eben mit Freunden schwerer als mit den gegnern, konstatierte der Ministerpräsident in der Sarstedter Schule.

Und tatsächlich sind es in Niedersachsen weniger die Oppositionsparteien im Landtag als vielmehr die Anhänger von Rot-Grün, die der Landesregierung öffentlichkeitswirksam Versäumnisse vorrechnen. Da hat die Landesregierung etwa in der vergangenen Woche den Entwurf eines ersten Kindertagesstättengesetzes für Niedersachsen verabschiedet. 35.000 neue Kindergartenplätze sollen in dieser Legislaturperiode geschaffen werden, um den Nachholbedarf in diesem Bereich zu decken, der bundesweit in Niedersachsen und Schleswig-Holstein am größten ist. Bis zum Jahr 1998 will sie den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz einführen, dem bis dahin auch die dafür notwendigen Plätze für die kleinen gegenüberstehen sollen. Die ÖTV allerdings hat heftigen Protest gegen dieses „zentrale Reformvorhaben“ von Rot-Grün angemeldet und plant für Samstag in Hannover eine Demonstration von Eltern, Kindern und Beschäftigten gegen das geplante Gesetz: Sie klagt die bitter nötige Förderung von Hortplätzen ein und längere Öffnungszeiten in den Kindergärten. Auf der Parteiveranstaltung in Sarstedt rühmte sich Gerhard Schröder auch damit, daß schon jetzt 2.500 Lehrer mehr als vor zwei Jahren beschäftigt sind, während fast „alle anderen Bundesländer in diesem Bereich abbauen“. Doch die undankbare GEW vermißt weiterhin die einst versprochene Beseitigung des Unterrichtsausfalls.

Guter Wille und reale Taten klaffen ähnlich in der Umweltpolitik des Landes auseinander, so sieht es etwa der BUND Niedersachsen. Die drastische Erhöhung des Anteils des Umweltetats am Landeshaushalt, die rot-grün einst versprochen hatte, ist angesichts der Finanznöte des Landes ausgeblieben. Guten und lobenswerten Vorschlägen von Monika Griefahn in der Runde der Umweltminister der Länder steht damit weitgehend das alte Defizit in der Umweltverwaltung gegenüber, für die das Land originär zuständig ist. Große Defizite bemängelt der BUND etwa im Naturschutz und in der Überwachung und Kontrolle von Umweltsündern. Niedersachsen ist auch immer noch ein großer Giftmüllexporteur geblieben, und damit, daß die Landesregierung in diesem Bereich jetzt statt auf Verbrennung, auf sogenannte „sortenreine Pyrolyse setzt“, hat sie sich auch bei den Umweltverbänden keine Freunde gemacht. Die versprochene Stillegung des AKW Stade ist nicht in Sicht. Beim Endlager Gorleben haben die Wasserzuflüsse, also die Geologie und keineswegs ein entschlossenes Handeln der Landesregierung, den Baufortschritt verhindert. Und beim geplanten Endlager Schacht Konrad, dessen Planfeststellungsverfahren Niedersachsen laut Koalitionsvereinbarung nicht fortsetzen wollte, geht es eben, wenn auch immer unter Druck des Bundes, doch nur langsam weiter.

Natürlich lehnte Gerhard Schröder, wohl als einer der letzten aus der SPD-Prominenz, in Sarstedt weiterhin eine Änderung des Grundgesetzartikels 16 ab. Standhaft ist der grüne Bundesratsminister Jürgen Trittin seit einem Jahr gegen das neue Asylverfahrensgesetz zu Felde gezogen. Ebenso standhaft streitet etwa Frauenministerin Waltraut Schoppe für das Sebstbestimmungsrecht der Frauen und gegen den Paragraphen 218. Allerdings waren die Grünen im Wahlkampf 1990 mit der Parole vom „Ökologischen Umbau Niedersachsens“ angetreten, wollten „ein rot- grünes Reformprojekt“, das natürlich mehr bewirken sollte als ein paar unnötige Straßenbau- und Industrieansiedlungsprojekte fallenzulassen.

Ministerpräsident Gerhard Schröder hatte allerdings schon in seiner ersten Regierungserklärung im Juni 1990 vor dem Landtag allzu große Versprechungen vermieden. Nicht das „rot-grüne Reformprojekt“, sondern der „politische Neuanfang in Niedersachsen war da als Stichwort ausgeggeben worden. Immerhin versprach auch er, mit dem „ökologischen Umbau unserer Wirtschaft nun ernst zu machen“, wollte die Voraussetzungen für „wirkliche Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern schaffen“ und „unser Bildungssystem ausbauen“. Nach nur zwei Jahren scheint Schröder allerdings noch weit weniger von einem reformerischen Aktivismus an der Spitze des Landes zu halten: „Eine gute Regierung ist die, die man am wenigsten spürt“, sagte er vor seinen in Sarstedt versammelten Genossen. Auch der SPD-Landesvorsitzende Johan Bruns wollte dort den Journalistenwitz: „Jetzt regiert Rot- Grün zwei Jahre, und niemand merkt etwas davon“ als Lob interpretiert wissen. Die Oppositionsparteien im Landtag allerdings leiden unter der unspektakulären Art, in der Rot- Grün in den letzten beiden Jahren krisenfest und ohne Streit in der Koalition die Geschicke Niedersachsens verwaltet hat. Schöder hält es sich überaus zugute, daß er anders als bei den Anhängern von Rot-Grün, bei der Klientel von CDU und FDP und bei „der Wirtschaft“ gleichermaßen gut ankommt. Die Hauptkritik, die der Sprecher der Landtags-CDU an der Regierung formuliert, klingt denn da auch sehr resignativ: „Wenn eine Regierung nichts macht, kann sie auch nichts falsch machen.“