Schwarz-grüner Flirt bewegt Bonner CDU

Abgeordnete der „Jungen Gruppe“ und Ost-CDUler gegen parteiinterne Bürokratien und Erstarrungen/ Traum von der Zukunft „mit vielen Facetten“/ Wertkonservative Grüne setzen auf Sachsen/ Niemand redet öffentlich über Helmut Kohl  ■ Aus Bonn Heide Platen

Friedbert Pflüger lacht und lehnt sich locker zurück in seinem Stuhl in einem der winzigen Abgeordnetenbüros im Bonner Hochhaus Tulpenfeld. Das „C“ im Namen seiner Partei ist dem Protestanten nicht ganz so wichtig, obwohl er sich in seiner Kirche „sehr zu Hause“ fühle. Das Zuhausefühlen, gut aufgehoben sein, scheint dem CDUler überhaupt sehr wichtig. Das gilt für die Kirche, die Partei und das Lebensgefühl. Dabei hat sich der auch mit 36 Jahren noch jungenhaft wirkende Harvard- Absolvent gerade parteiintern angelegt. Er befürwortete den fraktionsübergreifenden Gruppenantrag von SPD, FDP und CDU-Abgeordneten zum Paragraphen 218, war an zahlreichen Treffen beteiligt.

Pflüger ist, ob er es will oder nicht, trotz aller Vorsicht und Suche nach Harmonie, ein ausgeprägter Repräsentant der jungen Generation der CDU-Bundestagsabgeordneten, die sich in der „Jungen Gruppe“ zusammengeschlossen haben und ihre widerstreitenden Stimmen — früher undenkbar — auch öffentlich erheben. „Die Union“, sagt er, müsse sich eben „daran gewöhnen, daß es viele Facetten und Brüche gibt.“ Und: „Einige davon vereinige ich ja schon in mir selber.“

Zwischen '68 und Adenauer

CDUler sei er aus einer „Anti-Anti“- Überzeugung heraus geworden: „Antikommunistisch und antifaschistisch.“ Den großen Massenaufmärschen habe er immer mißtraut. Doch vom Lebensgefühl her sei er „ein 68er“, „schon wegen der Musik“ und wegen des antiautoritären Gestus. Andererseits habe er auch Konrad Adenauer geschätzt,die Politik der Westanbindung, aber auch dessen Politikstil, das „Unkonventionelle, Erfrischende“.

Mit der Toskana-Fraktion der SPD möchte er allerdings keinesfalls verwechselt werden: „Toskana? Da fahr' ich gar nicht erst hin!“ Seine Lebensfreude beziehe er nicht aus dem „Savoir-vivre, sondern aus dem politischen Engagement.“

Sein Kollege Manfred Kolbe ist, einen Steinwurf entfernt, in der Walter-Flex-Straße geschäftig, verabschiedet Minister, telefoniert mit JournalistInnen und läßt Kaffee servieren. Daß er ein „Wossi“ sei, freut ihn nicht besonders. Er ist in Grimma in Sachsen geboren, in Rom aufgewachsen und als CDU-Politiker und Rechtsanwalt mit Frau und Kind in seine Heimat zurückgekehrt. Er hat sich lebensgeschichtlich ganz darauf eingelassen und bedauert, „daß so wenige aus dem Westen mit der Familie“ in die neuen Bundesländer gehen. Er gehört zum Zusammenschluß der 63 CDU-Abgeordneten, die dem Bundeskanzler letzte Woche eine Clearingstelle Ost/West abtrotzten. Andere Fraktionen blickten eher mitleidig auf die „Ossis“: „Die wollen die fertigmachen, durch Aussitzen, Wegdrücken, einfach ignorieren.“ Das funktioniere „eher subtil als brachial“, durch Übergehen in den Ausschüssen und bei Reisen zum Beispiel.

Manfred Kolbe dagegen fühlt sich nicht unterdrückt. Dabei liegt er auch beim Paragraphen 218 nicht auf Stromlinie. Er hat seine „Basis“ befragt und in seien Wahlkreisen auf den Mitgliederversammlungen abstimmen lassen. „90 Prozent Mehrheit in Grimma“ für den Gruppenantrag bekam er mit auf den Weg nach Bonn, das „doch sehr weit weg von uns ist“.

Da ist er mit Rosemarie Priebus aus dem brandenburgischen Wittstock einer Meinung. Die gelernte Tierärztin setzt sich ebenfalls für den Gruppenantrag ein. Daß deshalb, wie des öfteren berichtet, Druck ausgeübt worden sei, hat sie nicht bemerkt: „Auf mich nicht. Und auf andere auch nicht. Ich war doch bei allen Sitzungen dabei.“ Nur Lampenfieber habe sie gehabt, weil sie zu diesem Thema die erste, eigene Rede in der Fraktion halten mußte. Daß einige wenige Kollegen „ein bißchen aus der Rolle gefallen“ seien, habe sie jedenfalls nicht als bedrohlich empfunden. „Das wird doch hochgespielt.“ Sie habe mit ihren KollegInnen nur „einige sehr sachliche Diskussionen“ gehabt: „Man muß seine Position nur energisch vertreten.“

In der Tat sind die atmosphärischen Trübungen in der CDU wie in der Koalition komplizierter, als es genüßliche Berichte über interne Streitereien vermuten lassen. Daß die Luft um Helmut Kohl dünn geworden sei, der Kanzler einsam werde, bestreiten alle befragten Beteiligten. Sie stehen loyal zu ihm — auch die, die schon als Königsmörder gehandelt werden: der Ex-Kronprinz Wolfgang Schäuble, von Kennern zynisch „Richelieu im Rollstuhl“ genannt, ebenso wie Verteidigungsminister Volker Rühe. Im zweiten Glied warte schon geduldig der unauffällige Parlamentarische Geschäftsführer Jürgen Rüttgers, heißt es, bis sich die Nebel verzogen und seine Konkurrenten sich im Machtkampf verschlissen hätten. Er sei „der kommende Mann des Reformflügels“. Rühe gilt als „skrupellos und politisch sensibel“, ein Kenner der Volksmeinung. Sie alle seien loyal — „bis zum Dolchstoß“. Nachfragen werden nur hinter vorgehaltener Hand beantwortet: „Es gibt — noch — keine Alternative zu dem Dicken.“ An innerparteilichen Vorwürfen gegen Kanzler und Kabinett, das oft genug an den Abgeordneten vorbei entscheidet, mangelt es nicht. Ursprünglich, meint einer, sei es doch „von den Verfassungsvätern so gewollt gewesen, daß das Parlament die Regierung kontrolliert“. Und fügt gleich an: „Aber das haben wir wahrscheinlich sowieso nie gehabt.“ „Was nicht ist“, hofft er, „das muß eben noch werden.“

Beklagt wird zudem der „Realitätsverlust“ der derzeitigen Führungsriege. Dabei haben die „Machtbewahrer“, stellt ein Kritiker fest, „eigentlich gar keine Ideologie. In der mittleren Generation gibt es kein großes Potential an Überzeugung.“ Aber Kohl habe „den Realitätssinn verloren, keinen Umgang mehr mit normalen Menschen“. Da werde „ohne Rückkopplung gelebt, gefiltert und abstrakt“ mit Milliardenbeträgen umgegangen, aber nicht „an Menschenschicksale“ gedacht.

Statt dessen formulieren junge Abgeordnete aus den neuen Bundesländern deutlich die Ursachen der Politikverdrossenheit, die sie in der Bevölkerung und bei sich selber ausgemacht haben. Parlamentarismus mache keine Freude mehr, alles sei erstarrt in Verwaltungshierarchien, Machterhaltskämpfen und Bürokratie. Nicht nur in der CDU, sondern auch „in der SPD, in den Gewerkschaften, in Kreisen und Kommunen“. Die Träume der Abgeordneten, „Heilmittel gegen den Starrkrampf der Herrschenden“, gleichen sich verblüffend und lassen gleichzeitig auf den inneren Druck und den Wunsch nach mehr Atemfreiheit im eng geschnürten Fraktionskorsett schließen: „Der Fraktionszwang muß weg!“ Nicht in allen Fällen, aber doch bei Entscheidungen, die an das Gewissen rühren. Das nennen sie dann auch beim Namen: „Mehr Demokratie im Parlament“, „offene Diskussion, mehr Transparenz“, „die eigene Partei auch kritisch begleiten dürfen“.

Nur die Ost-Abgeordneten träumen noch ein bißchen anders: „Mehr Verständnis!“ Die CDUler hierzulande, stellen sie erschreckt fest, hätten sich lebensgeschichtlich längst mit der deutschen Teilung abgefunden gehabt. „Einheits-Beständige“ seien in Bonn vor der Wende „nur noch milde belächelt worden“. Das wirke sich jetzt als Gleichgültigkeit und Ignoranz aus: „Das historische Bewußtsein für die gemeinsame Vergangenheit ist verloren gegangen.“

Ronald Pofalla, Vorsitzender der „Jungen Gruppe“, sieht den Entscheidungsdruck vor der Sommerpause nicht ungern. Wenigstens geschehe endlich etwas, nachdem „vier Monate lang nichts entschieden worden ist“. Er wagt die abweichende Meinung gegen den Jäger 90: „Das Zeug muß weg!“ Daß es deshalb in der Partei „Knatsch“ gebe, sei unwahr. Ein Manko der Union sieht er darin, daß „zu wenig erklärt und vermittelt wird“.

Da kann es kaum verwundern, daß es Traditionalisten in der Partei eher verwirrt, wenn sich im Südosten der neuen Republik ungewohnte Allianzen entwickeln. In Sachsen, sagt Manfred Kolbe, „da ist die CDU eben ganz anders“. Unter der Ägide des „kleinen Königs“ Kurt Biedenkopf entstand ein ebenso eigenwilliger wie eigenständiger Parteiflügel, der zuerst einmal „alle Blockflöten aus dem Vorstand gewählt hat“. Auf diese Bereinigung ist man stolz, aber fast noch stolzer darauf, daß innerhalb und außerhalb der Partei, auf landes- und kommunalpolitischer Ebene, eine übergreifende Allianz entstanden ist — auch mit jenen BürgerrechtlerInnen, die 1989 auf die Straße gingen. „Wir haben schließlich gemeinsam gekämpft.“ Ganz Optimistische, die ihrer CDU einiges zumuten wollen, denn „etwas mehr revolutionärer Pep würde ihr sehr gut tun“, setzen gar auf das erste schwarz-grüne Bündnis in Sachsen und loben den Bündnis-90-Abgeordneten Konrad Weiss über den grünen Klee. Und, gesteht einer ein, „Joschka Fischer ist mir näher als der SPD-Gewerkschaftler Hermann Rappe.“

Schwarz-grüne Affinitäten

Der neue Wunschpartner wäre, zumindest in Sachsen, nicht abgeneigt. Aber auch sonst berichten Grüne mit wertkonservativer Affinität Gutes von der CDU. In der Asylpolitik, stellten Mitarbeiter von Bündnis 90/Grüne fest, seien die CDUler bei Diskussionsveranstaltungen zwar anfangs immer „etwas schwierig“, erwiesen sich aber auf Dauer als differenzierter, weltoffener und kompromißbereiter als die „Beton- Sozis“. Die Komplimente zwischen Schwarzen und Grünen werden derzeit gegenseitig getauscht und ähneln sich in ihrer beinahe überbordenden Gesprächsbereitschaft. Mißtöne kommen da eher vom grünen Bundesvorstand als aus den Reihen der CDU.

Für diese steht ohnehin eine Verjüngung an, rechnet der Bundessprecher der Jungen Union, Holger Doetsch vor. Die Junge Union ist in den Kreis- und Ortsverbänden ebenso überaltert wie die CDU. Und die Partei ist „wahnsinnig männlich“, es fehlen die Frauen. Von den 9.000 Ortsverbänden „in den alten Ländern haben 300 kein Mitglied unter 40 Jahren, 1.800 keines unter 30“ und — Doetsch nennt das den „Oberhammer“ — „2.000 haben keine oder nur eine Frau in ihren Reihen“. Seine Parole „Touch The Future“ setzt er gegen „Null Bock“. Er ist sichtlich zufrieden mit den neuen Wegen, die er für die Partei sucht. Das Verteilen schwarzer Kondome zum Beispiel hat ihm den Zorn der Puritaner eingebracht. Zufrieden ist er über die Bundestagsfraktion mit den immerhin über 20 Abgeordneten der „Jungen Gruppe“: „Das hat die SPD nicht.“

Eine große Koalition, sind sie sich einig, wäre in der allgemeinen Erstarrung „das Schlimmste, was uns passieren könnte“. Eine Handvoll Bonner CDUler hatte denn auch ernsthaft mit Schwarz-Grün in Baden-Württemberg geliebtäugelt. Auf kommunaler Ebene laufen doch vor allem im Osten schon „ganz exzellente Bündnisse“. Zu einer von den Alternativen gegen den Kali-Abbau im Südharz gegründeten Bürgerinitiative „kamen auch 30 CDU-Bürgermeister“.