Schutz vor sexuellem Mißbrauch von Mädchen

Bielefeld/Berlin (taz) — In Bielefeld wurde gestern die erste nordrhein-westfälische Zufluchtsstätte für Mädchen unter höchstoffizieller Beteiligung von ministerieller Seite eröffnet. Die Einrichtung soll sexuell mißbrauchten Mädchen im Alter von zwölf bis achtzehn Jahren für einige Monate Zuflucht bieten, um sie vor weiterer sexueller Gewalt in ihrer Familie zu schützen. Durch eine intensive pädagogisch-therapeutische Betreuung soll den Mädchen Hilfe bei der Bewältigung des erlittenen Mißbrauchs und Unterstützung bei der Planung ihrer weiteren Lebenssituation gegeben werden. Insgesamt bietet das Haus Platz für zehn Mädchen, die von acht Sozialarbeiterinnen (7,5 Stellen) und zwei Berufspraktikantinnen rund um die Uhr betreut werden sollen. Bei den Eröffnungsfeierlichkeiten im Bielefelder Ratssaal forderte NRW-Gleichstellungsministerin Ilse Ridder-Melchers, die Verjährungsfrist bei sexuellem Mißbrauch bis zur Volljährigkeit der Opfer ruhen zu lassen. Da sexueller Mißbrauch überwiegend in der Familie stattfinde, funktioniere hier der Schutz und die Verantwortung der Erziehungsberechtigten nicht. Die Mädchen könnten erst als Volljährige selbst Anzeige erstatten. Sexueller Mißbrauch sei aber, so die Ministerin, zur Zeit nach fünf Jahren, in schweren Fällen nach zehn Jahren bereits verjährt.

Nur ein Bruchteil der jährlich geschätzten 150.000 bis 300.000 Fälle sexuellen Mißbrauchs werden in der BRD aufgedeckt und angezeigt. „Bei kaum einem anderen Delikt ist das Verschweigen, Verdrängen und Vergessen so groß wie bei sexueller Gewalt“, meinte Ridder-Melchers.

Die Zufluchtsstätte für Mädchen, die vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe, von der NRW-Landesregierung, vom Bund und von der Stadt Bielefeld finanziell gefördert wird, ist die erste Einrichtung dieser Art in Nordrhein-Westfalen. Getragen wird sie vom feministischen Verein „Mädchenhaus Bielefeld“, dessen Mitarbeiterinnen schon seit 1988 Beratung für sexuell mißbrauchte Mädchen anbieten. Für Gabriele Stillger, Mitarbeiterin dieser Beratungsstelle, ist die Eröffnung der Zufluchtsstätte erst ein Anfang. Sie forderte von den VertreterInnen von Bund, Land, Landschaftsverband und Stadt, eine konsequente Weiterführung der jetzigen Konzeption ein. Ein weiterer Schritt müsse die Verwirklichung langfristiger Wohnmöglichkeiten für sexuell mißbrauchte Mädchen sein. Denn es sei keinem Mädchen zuzumuten, nach einigen Monaten wieder in das Elternhaus zurückzukehren, von dem die Gewalt ihren Ausgang nahm. Ab dem 22. Juni können die ersten Mädchen in der Zufluchtsstätte aufgenommen werden. flo