DURCHS DRÖHNLAND
: Manchmal kommen sie wieder: Mit Punks und Gruftis auf du und du

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der Woche

Am Anfang war diese Warze. Außerdem ein paar hochhackige orangefarbene Stiefeletten. Beides ist geblieben, nur sind bei Peter Maffay die bunten Flitter der Schlagerjugend dem verwitterten Denimblau der Bikerjeans gewichen. In Maffay verschmelzen Hein Gericke und Dieter Thomas Heck, Individualmythos und Massentrieb, die ihn sehr nahe an den großen Kleinen aus Minneapolis rücken. Doch Prince kümmert sich leider immer weniger um die Fans, während Maffay — edel sei der Mensch, aufrecht und gut — einfühlsam und ebenso eindringlich vor Aids, Rassismus und ganz allgemein dem Schlechtdraufsein warnt. Recht hat er. Aber in grünen Schlaghosen sah er besser aus, und seine alten Schnulzen sind auch irgendwie bewegender gewesen als der kantische Imperativ in G-Dur.

Am 12.6., 19 Uhr, Waldbühne, Olympiastadion.

Festivalhasser aufgepaßt: Mit den Sisters Of Mercy kommt eine waschechte Postschwarzkittelband zum Open Air in die Wuhlheide. Da Andrew Eldritch aber erst nach dem Sonnenuntergang seinen Sarg verlassen kann, müssen sich dessen allmählich rostende Fans neben Bockwurst, Biobällchen und Berliner Pilsener durch ein gnadenloses Beiprogramm stehen. Jingo De Lunch, Marionettes, Concrete Blonde, Fury in the Slaughterhouse, Bad Religion und Pearl Jam, deren weichgespülter Mitfühlhardrock wahrscheinlich auch den letzten Schlammbeißer erweichen wird: Mit Punks und Grufties auf du und du, ey. Acht Stunden musikgewordene Lindenstraße.

GoBang-Festival, 13.6., ab 15 Uhr in der Freilichtbühne Wuhlheide.

Aussterbende Stilarten am Beispiel der Birdy Num Nums. Was in Krefeld und Umgebung noch eine fröhlich rauschende Rocknacht verspricht, hat in der Restwelt an Bedeutung verloren. Peter Hein ist nicht mehr die Stimme des Bewußtseins. Die Stimme des Rheinländer Nachwuchsquartetts spult die Archetypen der achtziger Jahre ab: das Road-Movie, die Straßenkreuzung in der Wüste; rauhe Schale, weicher Kern, unentschieden zwischen High-Way-Rock und englischer Pub-Geselligkeit. Mit einigen angeschrägten Beatlesfinessen und leidenschaftlichem Gitarrengeschrammel kann man noch immer leben, ohne sich ins Fotoalbum verkriechen zu müssen. Aber das »Früher« sehnen die Birdy Num Nums aus LP-Länge betrachtet ein wenig zu oft herbei. Musik, die ständig auf- und abbaut, Melodien zaubert und mit dem Schlagzeug darüber hinwegbrettert; die sich treiben läßt, ohne zu wissen, wo sie hinwill. Vielleicht nach China, das verspricht zumindest das Plattencover. Auch keinen Fall »mitten in die Welt«, darin täuscht der Titel.

13.6., 22 Uhr, auf der Insel, Alt-Treptow 6

In einem bescheidenen Nachbarschaftskulturzelt hinter dem Bethanien hat das alles einmal gut klischiert begonnen, mittlerweile hängt die Zirkuskuppel über der Bühne des Tempodroms ungleich höher. Bedrohlich erfolgsverheißend. Poems for Layla sind wie kaum eine Band in Berlin Ausdruck eines demokratischen Karriereweges geworden. Anfangs verschickte Sänger Tomas rührende Bittbriefe, um über Genossenschaftsbeteiligung und Aktienerwerb an seiner Stimme vom Straßensänger zum Popstar aufzusteigen. Als nächstes bezahlte der Senat für die Talente des unternehmensfreudigen Jungen Staatsgelder. Die Poems gewannen den Senatsrockwettbewerb handwerklich routiniert, nach Punkten statt durch k.o. Der Arbeitssieg brachte der Band eine Halbstelle bei der Industrie, die sie seitdem mit einem unglaublichen Tourneegeackere verteidigt. Musikalisch hat Laila nicht mehr viel zu sagen. Katamandu ist zwar verwirrend psychedelisch, der Rest klingt nach philharmonisch aufgeschüttetem Liedgut aus dem »Student für Europa«.

Am 13.6., 20 Uhr, Tempodrom, Tiergarten

Mehr Gartenfest denn Open-Air: Die Veranstaltungen des Kulturhauses Treptow sind eine Mischung aus Kiezkultur und Grillparty. Wäre die dazugehörige Konzertreihe schon im frühen Mai begonnen worden, dann stünde der Club an der Puschkinallee mittlerweile im Zentrum der Culture-Clash-Jazz-Crossover-und- was-sonst-noch-kommt-Szene. In der vorigen Woche war Gilbert Diop mit einem munteren Afroensemble in den Wildgarten gekommen, diesen Sonntag wird die mexikanische Band Pambiche zur Fiesta! im Wildgarten mit lateinamerikanischen Tänzen von Merengue bis Salsa und traurigen Trompetereien laden. Das Freiluft- Come-Together ist nur ein kleiner Schritt für die Menschheit, für das Kulturhaus aber vielleicht der letzte, denn in Treptow wird weiterhin abgewickelt. Nun steht die alte jüdische Villa nach diversen von der Stadt fehlgeplanten Rekonstruktionsmaßnahmen fast vor der Pleite. Den Herren Verwaltern wäre sowieso ein Nachbarschaftsheim im Grünen lieber als die rührige Kulturarbeit. Bis dahin werden dort die Nachbarn aus Gambia, Senegal oder Mexiko noch ein Wörtchen mitreden oder -trommeln.

14.6., ab 15 Uhr, hinter dem Kulturhaus Treptow, Puschkinallee, Nähe S-Bahnhof Treptower Park

Ist das noch Soul? — werden halbwüchsige Sixties-Fanatiker fragen, für die Cloud Nine oder Psychedelic Shack ein spirituelles Muß darstellen. Die Temptations haben allerdings einen Großteil der ihnen anhaftenden Legende selbst abgetragen. Soul als Dienstleistung. Da stehen fünf unaufhaltsam verfettende mittelalte Männer auf der Bühne, denen das Gel aus den geglätteten Afros tropft. Sie summen, schnippen und strahlen. Singen darf aber ein anderer: Bruce Willis legt sich mächtig ins Zeug, um mit der Geschicklichkeit eines Cops auf Streifeneinsatz Under The Boardwalk zu intonieren. Kein Temptation nimmt ihm das Mikro weg, alle machen ihm dagegen den Chor. Tragisch. Immerhin hat dem Motown-Quintett das Verbrechen an Sam & Dave einen Platz auf dem Altenteil gesichert. Und Willis läßt sie wieder in Frieden. Dafür müssen sie auch weiterhin Papa was a rollin' stone als Zugabe geben, während die gleichaltrigen Zuschauer bierbäuchefüllend am Tresen durchhalten. Dann klopfen sie ihrer Partnerin auf den Po oder drücken den aufgedunsenen Leib an ihre Taille. Geheuchelte Vorfreude. Das ist Soul.

14.6., Huxley's Neue Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Wunderbar neurotisch und schizophren ist scheinbar nur noch Elton John erhalten geblieben. Er hat den Kampf mit dem Verfallsdatum für sich entschieden. Zuletzt mußte er beim Mercury-Memorialkonzert den ausgelaugten Sänger der Guns'n'Roses väterlich abstützen, als dem jungen Rechtsrocker bei der Bohemian Rhapsody die Luft wegblieb. Und Elton kann mit Sicherheit auf eine Reihe weitaus wilderer Exzesse zurückblicken als der jetzige Durchschnittsstar in Sachen Sex, Drugs, Rock'n'Roll. Woher sollte Elton sonst wissen, wie ein Krokodil rockt oder wann eine Katze schreit? Eine Freundin nennt ihn deshalb gerne auch »Elmer Fud« — weil er sie so sehr an den kauzigen Farmer von Bugs Bunny erinnert. Aber auch der Vergleich mit Drafi Deutscher träfe zu, obwohl Elton John natürlich den größeren Ruhm als Exzentriker geerntet hat. Der Rest steht in 'Tempo‘.

15./16.6. ab 19 Uhr, Waldbühne, Olympiastadion

Manchmal kommen sie wieder. Als Mothers Finest ihren Höhepunkt erlebten, haben ihnen via TV einige Millionen Rocknachzuschauer dabei zugesehen. Damals ward der Funkrock geboren, und kein Anflug von Respekt oder Credibility konnte die schwarzen Kettenrocker mit dem schlohweißen Gitarristen davon abhalten, einen so wundervoll leichtfüßig geschwungenen Song wie Mickey's Monkey von Smokey Robinson brunftig brüllend zu verhackstücken. Logischerweise wurde der Song in den Diskotheken von ganz »No Soul«- Germany zum Renner für befreit Körperbewegende. Daß eine solche nötigend penetrante Band zur Strafe in der Ramschecke landete, gab zumindest den R&B-festen Kritikern recht, deren der geschlampte Mischmasch von Funk und Rock mißfiel. Doch das Ungetüm schlummerte nur in der Versenkung wie in guten B-Horrorfilmen, Funky-Metal hat es wieder geweckt: The Revenge of M.F.. Der Titel der aktuellen LP verheißt jedenfalls nichts Gutes: Black Radio Won't Play This Record. Fragt sich nur warum. Den weißen Headbänger-Brüdern wird der angetrashte Funkmosh mit Sicherheit gefallen, hier in Dröhnland. Selten hat der Kolumnentitel so gut gepaßt.

17.6., 20 Uhr, Huxley's Neue Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg Harald Fricke