»Rechtsstaat muß man behutsam vormachen«

■ Marlis Dürkop, Kandidatin für das Präsidentenamt der Humboldt-Universität, Professorin und derzeit Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/ Grüne zur künftigen Rolle der Humboldt-Universität/ Rückzug und Resignation wieder aufbrechen

taz: Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem Präsidentenamt?

Marlis Dürkop: Ich habe mit der Humboldt-Universität sehr positive Erfahrungen gemacht. Das wird in den ganzen Berichten über die miserable Situation an der Humboldt- Universität und über die spektakulären Fälle nicht so recht deutlich. Ich habe sehr viele Leute getroffen, die noch immer so eine Art Aufbruchstimmung in sich haben und die gerne etwas anderes machen möchten. Nur sind sie noch nicht richtig zum Zuge gekommen und ich hoffe, daß sie ihre Hoffnungen, endlich etwas Neues zu machen, noch nicht aufgegeben haben.

In der Fraktion Bündnis 90/Grüne haben wir fast anderthalb Jahre lang dieses Zusammenwachsen von Ost- und West-Berlin geübt, und es war nicht immer einfach. Da sind sehr interessante Prozesse und Einsichten in Gang gekommen. Ich würde mir wünschen, daß man das an der Humboldt-Universität zum zentralen und fachübergreifenden Fokus machen kann.

Was spricht für diese Hoffnung? Heinrich Fink stand ja zumindest für den Versuch einer eigenständigen inneren Erneuerung. Der Senat hat zwar juristisch eine Niederlage erlitten, sich aber politisch durchgesetzt, weil die Universität von sich aus gekuscht hat.

Es gibt tatsächlich eine Ambivalenz. Dennoch finde ich den Ansatz der Erneuerung von innen heraus mit Hilfe von außen nach wie vor richtig. Aber diese Anpassung an West- Recht verbunden mit Einschränkungen für die Humboldt-Universität hat im Grunde kaum eine Chance gelassen, eigene Wege zu finden. Das hat sehr zur Existenzunsicherheit beigetragen. Wenn die materielle Existenz ungesichert ist, kann man auf Dauer auch nicht sehr fortschrittlich sein. Wenn man nicht weiß, wie man morgen die Miete bezahlt, kann man sich nur zurücknehmen.

Sie sprechen von einer Aufbruchstimmung, die Sie an bestimmten Stellen erfahren. An anderen Stellen hat man den Eindruck, daß es ein starker Anpassungsprozeß ist.

Und auch ein Rückzugsprozeß. Ein wichtiger Teil der Aufgabe besteht darin, die Rehabilitierungskommission zu unterstützen sowie die Arbeitsgruppe, die sich mit den Strukturen der Partei in der Hochschule in den vergangenen 40 Jahren beschäftigt. Man muß das strukturell aufbrechen. Man darf es nicht verscharren. Denn da besteht für viele, die sich einfach verkriechen und zurückziehen, eine große Chance. Ich will, daß das offengelegt und offen besprochen wird. Nur so sehe ich eine Chance, daß da überhaupt eine Lebendigkeit erhalten bleibt und etwas in Bewegung kommt oder bleibt.

Man kann auch sagen, erst hat man die Ostler geschuriegelt und kleingemacht, und nun installiert man auch noch eine westliche Präsidentin.

Dafür hat sich eine knappe Mehrheit der Universität ausgesprochen. Das ist nun mal eine demokratische Entscheidung, auch wenn ein Teil damit vielleicht nicht zufrieden ist. Aber ich sehe darin auch eine Chance, weil ich mit meiner ost- west-hochschulpolitischen Erfahrung vielleicht ein bißchen mehr Selbstbewußtsein im Umgang mit Westhochschulen und westlichen wissenschafts- und hochschulpolitischen Gremien einbringen kann.

Sie glauben, daß Sie für Wissenschaftssenator Erhardt eine bessere Matchpartnerin sind?

Nein, das glaube ich nicht im Prinzip. Ich hätte mir gewünscht, daß sich jemand aus dem Osten, der auch wirklich weiterhin so eine Linie vertritt, bewirbt. Gegen so jemanden wäre ich auch nicht angetreten. Ich kann aber verstehen, daß die KollegInnen aus dem Osten sich das nicht zutrauen, und daß sich so wenige aus dem Osten beworben haben, kann ich nachvollziehen. Sich in diesem Gestrüpp der westdeutschen Hochschul- und Wissenschaftspolitik zurechtzufinden, ist ja nicht so einfach.

Herr Erhardt hat einige Male recht brachial und ungehemmt in die Autonomie der Universitä eingegriffen. Haben Sie die breiten Schultern, um das künftig zu verhindern oder wird es eine andere Ebene der Auseinandersetzung sein?

(Lacht) Breite Schultern habe ich vielleicht nicht so. Aber ich glaube, ich bin sehr hartnäckig und habe ein sehr ausgeprägtes Rechtsstaatsbewußtsein und würde schon darauf bestehen, daß die richtigen Wege beschritten werden.

Kommen Sie mit der Mentalität der Ostdeutschen zurecht?

Mir liegt diese Mentalität sehr. Dort gibt es eine Offenheit, einen geringeren Hang zum Polarisieren, die Bereitschaft, überfraktionell und überparteilich zu diskutieren. Sie sind in bestimmten Fragen auch nicht so verbissen. Das gefällt mir als Grundklima sehr gut und von daher kann ich damit sehr gut zurechtkommen.

Wie wollen Sie den inneren Erneuerungsprozeß der Humboldt- Universität, der vom Senat teilweise ziemlich brutal abgewürgt worden ist, wieder in Gang bringen?

Das Hauptproblem sehe ich erst einmal darin, zu versuchen, die Doppelstruktur auszubügeln, die durch das Ergänzungsgesetz geschaffen worden ist — mit den Struktur- und Berufungskommissionen einerseits und den Fachbereichsräten andererseits. Es müßte zunächst einmal eine Stärkung in den Fachbereichen stattfinden. Ich habe den Eindruck, daß das in allen 28 Fachbereichen sehr unterschiedlich ist. Man muß vor Ort am Grund anfangen, mit den Leuten zu sprechen und sehen, wie die jeweiligen Verhältnisse sind. Das kann man nicht verallgemeinern. Manche Fachbereiche, auch mit den aus dem Westen hinzugezogenen Kollegen, klappen ganz gut, aber manche klappen anscheinend überhaupt nicht.

Aufgabe der Universität könnte auch sein, in die Gesellschaft hineinzuwirken. Diese Orientierung in die Gesellschaft hinein aber gibt es im Augenblick gar nicht.

Das müßte man fördern. In sehe darin eine sehr wichtige Aufgabe. Das müssen im übrigen auch die Westhochschulen lernen. Darin besteht ein Grund, warum die Westhochschulen im Moment so darniederliegen. Sie haben versäumt, eine Funktionsbestimmung und auch eine Orientierung an anwendungsbezogenen Fragen zu entwickeln. Man kann nicht nur zwei Millionen ForscherInnen ausbilden. Es gibt auch andere Ausbildungsinteressen.

An der Humboldt-Universität ist aber die Situation die, daß dort erstmal das Einwirken in die Gesellschaft aufgegeben wurde. Sie müßten das jetzt sozusagen wieder zurückdrehen und sagen: Das ist jetzt aber trotzdem wieder ein neues wichtiges Ziel, nur anders als es früher gemacht wurde.

Ich glaube schon, daß in den einzelnen Fachbereichen durchaus so etwas stattfindet. Die Humboldt- Universität hat auch die Aufgabe, die deutsch-deutschen Fragen auch fachbereichsübergreifend in Schwerpunktbereichen aufzunehmen. Daran besteht auch im Ausland ein großes Interesse.

Aber kann der Anspruch der Humboldt-Universität, auch Volluniversität zu sein, überhaupt erhalten werden, wenn jetzt der ganze naturwissenschaftliche Campus an den Stadtrand verlegt wird, was ja auch ein Abschieben von Universität aus der gesellschaftlichen Diskussion ist.

Bei dieser Entscheidung wird Gesellschaft mit Wirtschaft gleichgesetzt. Ich halte das für eine falsche Entscheidung. Ich begreife schon, daß in der Verbindung von Wirtschaft und Naturwissenschaften auch eine Chance für die Entwicklung dieser Stadt gesehen wird, was Arbeitsplätze angeht. Man braucht ja die Naturwissenschaften offensichtlich, um das in Adlershof für die Wirtschaft attraktiver zu machen. Aber für die Hochschule halte ich das nicht für günstig, weil gerade in der Verbindung von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften einfach auch die künftigen Aufgaben irgendwo behandelt werden müßten.

Gibt es etwas von dem, was Herr Fink gemacht hat, wo Sie sagen, daß war die richtige Richtung?

Neulich sagte mir der Vorsitzende der Rehabilitierungskommission noch einmal ausdrücklich, wie sehr sich Herr Fink für das Einsetzen und Weiterbestehen dieser Kommission, die die Bearbeitung der Rehabilitierungsanträge macht, eingesetzt hat. Der kommt nicht aus der Humboldt- Universität, sondern ist ein Naturwissenschaftler, der ganz woanders gearbeitet hat. Er hat mir ausdrücklich noch einmal gesagt, wie wichtig er das fand. Und auch der Umgang, selbst wenn er manchmal etwas holprig war, mit unserem Rechtsstaat. Das ist dann zu einer Statusfrage entwickelt worden, aber ich finde, in unserem Staat hat jeder zu jeder Zeit das Recht, seine Rechte in Anspruch zu nehmen. Ich finde es bedauerlich, daß daraus so eine Art Machtkampf entwickelt worden ist. Ich finde es gut, daß sich die Humboldt-Universität als eine der wenigen Institutionen auf ihre Rechte besonnen hat.

Karl Schwarz hat zum Fall Fink in der taz kritisiert, die Ostdeutschen an der Humboldt-Universität hätten nichts vom Rechtsstaat begriffen und dem Anspruch auf Gerechtigkeit. Sie kuschten vielmehr vor der Macht. Was ist da Ihre Aufgabe?

Rechtsstaat muß man behutsam vormachen. Da sehe ich die Chance oder Aufgabe für mich. In den 20 Jahren, in denen ich mich mit Bürgerrechtspolitik und Politik in der Alternativen Liste im Bereich »Demokratische Rechte« beschäftigt habe, habe ich den selbstbewußten Umgang mit Rechsstaat gelernt. Woher sollen Menschen, die das nie konnten, wissen. Sie haben ja immer nur negative Erfahrungen gemacht und das bis heute. Die Segnungen unseres Rechtsstaates weiß ich inzwischen durchaus zu schätzen. Aber das fällt einem nicht zu, das muß man lernen. Das Gespräch führte

Gerd Nowakowski

Ein Interview mit dem HUB-Präsidentschaftskandidaten Peter Glotz erschien in unserer Mittwochausgabe.