KOMMENTAR
: Mehr Markt in die Politik?

■ Weshalb Industriegehälter nicht der wünschenswerte Maßstab für Politiker sind

Mehr Markt in die Politik? Weshalb Industriegehälter nicht der wünschenswerte Maßstab für Politiker sind

Wahrscheinlich hält auch Daimler-Chef Edzard Reuter in guter Angestelltenmanier sein 2,4-Millionen-Brutto-Jahresgehalt nicht für besonders hoch: Andere in vergleichbaren Positionen verdienen schließlich mehr. Daß auch BerufspolitikerInnen ihre eigenen Einkünfte als zu niedrig ansehen und mit den Einkommen Besserverdienender vergleichen — wen wundert's. Und die einzigen, die tatsächlich deutlich mehr als die Damen und Herren im Raumschiff Bonn auf ihren Konten verbuchen können, sind die Vorstände der großen Aktiengesellschaften.

Die Frage ist also nicht, ob PolitikerInnen mit ihren Einkünften zufrieden sein können. Sie lautet vielmehr: Wollen wir als WählerInnen, daß die Vorstände großer deutscher Unternehmen mit dem Argument in die Politik abgeworben werden, daß sie dort mindestens genausoviel verdienen können wie in der Industrie? Selbstverständlich nicht.

In der Konsequenz nämlich würden Parlamentswahlen endgültig zur Farce: Die gewählten Parteien würden nicht Koalitionsverhandlungen führen, sondern Headhunter durch die großen Industrieunternehmen schicken, die diskret mit den Herren Vorständen über ihre Ministergehälter feilschen würden. Vor den Wahlen und öffentlich ließe sich das nicht regeln — wer schließlich sagt schon öffentlich, daß er oder sie den Arbeitsplatz zu wechseln gedenkt, wenn der neue Vertrag noch nicht unter Dach und Fach ist? Umgekehrt müßten nach dieser Arbeitsmarkt-Logik MinisterInnen aus Normalverdiener-Berufen entsprechend dürftig entlohnt werden. Im Bundeswirtschaftsministerium wäre also der Wechsel vom Unternehmer Hausmann zum Lehrer Möllemann ein echtes Sparkonzept gewesen.

Nach demokratischen Prinzipien sollen Parlamente und Regierungen gerade nicht gekauft, sondern gewählt werden; in Ämter, die vorher (auch einkommensmäßig) definiert worden sind. Das passive Wahlrecht haben selbstverständlich auch ManagerInnen. Wenn sie dieses Recht nicht ausüben wollen, weil ihnen ein Spitzenverdienst wichtiger ist als politische Macht, ist das ihr Bier.

Wäre Politik tatsächlich besser, wenn sie mehrheitlich von Industriekapitänen im Ministerrang gemanagt würde? Der Mythos dieser Berufsgruppe aus den boomenden 80er Jahren schrumpft im derzeitigen Konjunkturtal beträchtlich. Immer häufiger werden die teuren Chefs als überfordert, überbezahlt, gar als überflüssig geschmäht. Die Regierenden andererseits sind heute schon allzuschnell bereit, den Absatz heimischer Produkte auf Auslandsreisen zu fördern und zu Hause im Lande nach den Bedürfnissen der Industrielobby zu handeln. Eine noch größere Annäherung zwischen Wirtschaft und Politik wäre keinesfalls im Interesse der Demokratie. Donata Riedel