DEBATTE
: Ein klares Nein!

■ Von einem „Kompromiß“ kann beim Entwurf zum § 218 keine Rede sein

Plötzlich geht alles ganz schnell: Am 26. Juni soll die Zangengeburt des neuen Abtreibungsstrafgesetzes eingeleitet werden, nachdem der Bundestagsausschuß den Paragraphen neun monatelang erfolgreich aus der öffentlichen Diskussion gehalten hat. Der „parteiübergreifende“ und angeblich einzig mehrheitsfähige Gesetzentwurf sieht den Erhalt des §218 vor und wird uns von allen Seiten als „Kompromiß“ oder sogar als endlich erkämpfte Fristenregelung angedient. Tatsächlich handelt es sich um eine redaktionelle Änderung des alten West-Strafrechts, dazu noch offen für alle möglichen Verschärfungen in der Praxis.

Bei näherer Betrachtung fällt sofort die über weite Passagen wörtliche Übereinstimmung des Entwurfs mit den derzeit gültigen Paragraphen 218 und 219 auf. Alle Strafdrohungen sind in bisheriger Höhe erhalten, bis hin zur Bestrafung der „Werbung für den Abbruch“, Grundlage dafür, daß z.B. in Bayern Adressenlisten von abbrechenden ÄrztInnen nicht offiziell weitergegeben werden.

Geändert wurde — auch nur teilweise — der alte „Paragraph 218a — Indikationen zum Schwangerschaftsabbruch“. Die medizinische Indikation ist im Entwurf unverändert, und — als hätte es nie eine Diskussion um den behindertenfeindlichen, diskriminierenden Charakter der eugenischen Indikation gegeben— wird auch diese im bisherigen Wortlaut übernommen und sogar um eine vorherige Zwangsberatung ergänzt, „sinnvollerweise durch einen im Bereich der Humangenetik oder der pränatalen Diagnostik spezialisierten Arzt“, heißt es in der Begründung. Ein flächendeckender Ausbau und die Finanzierung der humangenetischen Beratungsstellen im Zuge des neuen Paragraphen 218 sind letztlich nichts anderes als effektivierte Bevölkerungspolitik.

Gewissens-TÜV

Die Notlagen- und die kriminologische Indikation sind zugunsten der „verantwortungsbewußten eigenen Gewissensentscheidung“ der Frau nach einer reglementierten Zwangsberatung innerhalb der 12-Wochen- Frist entfallen. Im Klartext: Auch eine vergewaltigte Frau muß sich drei Tage vor dem Abbruch einer Beratung unterziehen, will sie straffrei ausgehen. Einige CDU-Abgeordnete machten ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf von weiteren Bedingungen abhängig: Die Frau muß „in einer Notlage“ beraten werden, um die Fristenregelung wahrnehmen zu dürfen — die Unterschiede zur bisherigen Indikationsregelung werden immer verschwommener. Diese „Selbstindikation“ soll gerichtlich nicht überprüfbar sein. Das glaubte frau bis vor Memmingen. Aber warum sollten Richter, die schon Indikationsstellungen von Ärzten verwarfen, jetzt anders urteilen?

Wie schon in den Richtlinien der CDU/CSU-regierten Bundesländer soll das Beratungsziel auf „Lebensschutz“ festgelegt werden. Weil der Embryo sich einer direkten Beratung entzieht, dient „die Beratung... dem Lebensschutz durch Rat und Hilfe für die Schwangere“. Nur mittels staatlich kontrollierten Gewissens- TÜV wird der Frau eine „verantwortliche Entscheidung“ zugebilligt. Um sicherzugehen, daß Beratungsstellen auch die Adoption als „Alternative“ anraten und vor den angeblichen „physischen und psychischen Folgen eines Abbruchs und den damit verbundenen Risiken“ warnen, wird ihre Anerkennung unter anderem von solchen Beratungsleistungen abhängig gemacht. Darüber kann sich sogar die CSU freuen, die eine derartige Verschärfung der Beratungsrichtlinien schon vor drei Jahren erfolglos gefordert hatte.

Als „Verbesserung“ wertet die SPD-Politikerin Inge Wettig-Danielmeier die Sicherstellung eines flächendeckenden Angebots von Einrichtungen für ambulante Abbrüche. Sie verschweigt aber, daß im selben Zug die Bedingungen für die Zulassung einer Einrichtung derart hochgesetzt werden, daß es in der Praxis einer drastischen Einschränkung der Abbruchmöglichkeiten gleichkommt. In der Gesetzesbegründung wird unter anderem verlangt, daß nur FachärztInnen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe den Abbruch durchführen dürfen. Etliche Familienplanungszentren der Pro Familia beispielsweise in Hessen können ein Lied von Auflagen und Bedingungen singen, mit denen ihre Tätigkeit erschwert und jahrelang verhindert wurde. Möglicherweise ist auch der Fortbestand von bestehenden Abbrucheinrichtungen gefährdet, in denen erfahrene „Nur“-ÄrztInnen arbeiten.

In einer anderen Formulierung bietet der Entwurf dem Druck von rechts eine weitere offene Flanke: Es geht um die Krankenkassenfinanzierung, deren Abschaffung die Abtreibungsgegner seit Jahren fordern. Im Zeichen der „Kostendämpfung“ könnten die Krankenkassen dem rechten Druck leicht nachgeben.

Rechnen wir zusammen, was unterm Strich bleibt, wenn wir das gegenwärtig praktizierte Recht in Ost und West und in „Nord und Süd“ als reale Vergleichsbasis nehmen: Die Frauen im Osten hätten gegenüber ihrem geltenden Recht Kriminalisierung und Zwangsberatung hinzunehmen — unbestritten eine deutliche Verschärfung. Aber auch im Westen galt bisher kein einheitliches Recht. Den Frauen aus Hessen, NRW, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und den nördlichen Bundesländern bringt der Entwurf in der Praxis keine Verbesserung. Zwar fällt der Weg zur Indikationsstellung weg, dafür müssen sie eine Beratung in Kauf nehmen, die auf das Austragen der ungewollten Schwangerschaft abhebt, die auf die „Lebensschutz“- Tränendrüse drückt und eben oft keine Bagatelle für Frauen bedeutet.

Bleiben die Frauen aus Bayern und Baden-Württemberg, die — zynisch gesehen — diese Fesseln gewohnt sind. Die schier unüberwindbare Hürde, in diesen Bundesländern eine Indikationsstellung zu bekommen, fällt weg, aber der nächste Graben tut sich auf: Es fehlen Einrichtungen, die den Schwangerschaftsabbruch durchführen. Krankenhäuser, und das sind nicht nur die kirchlichen, die sich bisher geweigert haben, einen legalen Schwangerschaftsabbruch nach Notlagenindikation durchzuführen, werden dies erst recht bei einer „Fristenregelung“ so halten. „Legaler Schwangerschaftsabbruch“ wird nach wie vor bedeuten: drohende Kriminalisierung, Ächtung, Entmündigung und ein entwürdigender Lauf gegen die Zeit und gegen die Hürden von Zwangsberatung und Kliniksuche.

Ausgekämpft?

Das soll die Reform sein, die laut Alice Schwarzer „nicht nur den betroffenen Frauen Tag für Tag das Leben erleichtert, sondern auch den Kern unserer Forderung enthält, die Selbstbestimmung“! Seit zwanzig Jahren hat sich Alice aufopfernd und selbstbezichtigend dafür eingesetzt. Dieses Lebenswerk läßt sich die selbsternannte Fraktionsführerin der „Willigen“ von ein paar „nach Bonn geschwemmten linken Fundamentalistinnen“ doch nicht verraten. Alice verläßt sich lieber auf Rita und die Schwarzen. Auch für die Sozialdemokratinnen „hat sich's ausgekämpft“. Tapfer durchgehalten: Seit Anfang der 20er Jahre bis zum historischen Moment im Juni 92! Allseits warnen sie, daß dies die letzte Reformchance sei und alles andere nur noch schlimmer werde. Als nächstes werden sie uns die Parole „Rettet den §218!“ abverlangen, wenn CDU/ CSU und die katholische Kirche dieses „Reformwerk“ angreifen!

Die Initiativen und autonomen Frauengruppen gegen den §218 haben die Schnauze sei langem voll von diesem Gezerre um die Details eines Paragraphen, der ganz und gar auf den Müllhaufen der Geschichte gehört. Und auch ich finde mich nicht damit ab, daß in diesem Land angeblich eh nichts anderes möglich ist. Ich meine: NEIN zu diesem Eiertanz um Parteimehrheiten in einem Parlament, das den Willen der überwältigenden Mehrheit der Frauen kalt ignoriert.

Am 20. Juni demonstrieren wir in Berlin und anderswo für unser Selbstbestimmungsrecht, gegen den §218: Ein klares NEIN zu diesem miesen „Kompromiß“!

Barbara Ritter, Mitarbeiterin der Frauen gegen den §218 — Bundesweite Koordination. Mitautorin des Buches: Vorsicht Lebensschützer, Konkret Verlag, Hamburg 1991