Marathondebatte im Schweizer Parlament

Genf (taz) — Wenn 270 der 662 Mitglieder des Deutschen Bundestages zu einem Thema je zehn Minuten das Wort ergriffen, dauerte die Debatte gut 45 Stunden. Ein entsprechendes Ereignis findet seit Mittwoch morgen im Berner Nationalrat statt, der größeren Kammer des Schweizer Parlaments. 83 der 200 Abgeordneten haben sich bis gestern bereits auf die Redeliste setzen lassen für die voraussichtlich längste Parlamentsschlacht seit Bestehen der Eidgenossenschaft. Es geht um das mit 3,5 Milliarden Franken teuerste Rüstungsprojekt der Schweizer Geschichte, den von der bürgerlichen Regierungsmehrheit ursprünglich noch für das laufende Haushaltsjahr geplanten Kauf von 34 Kampfflugzeugen des Typs FA-18 in den USA. Gegen die Stimmen linker und rechter Oppositionsparteien sowie einiger Abgeordneter der ebenfalls an der Regierung beteiligten Sozialdemokraten hatten der Ständerat (Vertretung der 23 Kantone) sowie der Verteidigungsausschuß des Nationalrates (große Kammer des Parlaments) dem Vorhaben bis Mitte Mai mit deutlicher Mehrheit zugestimmt. Die Regierung wähnte sich so sicher, daß sie bereits eine Vorauszahlung von 50 Millionen Franken an die US- Herstellerfirma der FA-18 leistete. Doch das am 1. Juni von der „Initiative gegen neue Kampfflugzeuge“ mit einer Rekordzahl von über 500.000 Unterschriften eingebrachte Begehren auf eine Volksabstimmung hat die politische Klasse in Bern gehörig aufgescheucht. Schon zu Halbzeit der auf drei Tage anberaumten Debatte — die vielleicht sogar bis Montag verlängert wird — ist klar, daß der Nationalrat nicht für den Kauf der FA-18 noch in diesem Jahr stimmen wird. Die Fraktion der mitregierenden Christlichen Volkspartei knickte bereits am ersten Debattentag ein. Ihre Sorge: Die bei einer Beschaffung der Flugzeuge nach dem ursprünglichen Fahrplan fälligen Zahlungen an die Amerikaner von 300 Millionen Franken bis zum Dezember dieses Jahres sowie von weiteren 500 Millionen Franken bis Sommer 1993 wären bei einem späteren Nein des Volkes auf jeden Fall verloren. So bleiben die bürgerlichen Parteien zwar grundsätzlich bei ihrer Absicht, die Kampfflugzeuge zu kaufen. Die Beschaffung der 34 FA-18 soll aber auf das US-Haushaltsjahr 93/94 verschoben werden, damit zunächst keine weiteren Zahlungen geleistet werden müssen. Damit wären dann „nur“ die bereits in die USA überwiesenen 50 Millionen Franken verloren. Die Volksabstimmung — von der Regierung ursprünglich für 1994 vorgesehen, also auf einen Zeitpunkt nach Schaffung unkorrigierbarer Fakten — wird mit Sicherheit vorgezogen. Zwar wohl nicht auf den von der Initiative gegen die Kampfflugzeuge geforderten frühestmöglichen Termin Anfang Dezember, aber voraussichtlich auf den Juni 93. Andreas Zumach