„Die KZler sind bestens behandelt worden“

Pottenstein ist ein beliebter Kurort/ 1942 wurden 746 KZ-Häftlinge in die Stadt gebracht, um die Pläne des Professors Brand zu verwirklichen/ Von der Vergangenheit des „Förderers des Fremdenverkehrs“ will man heute nichts mehr wissen  ■ Von Bernd Siegler

Pottenstein, im Herzen der Fränkischen Schweiz zwischen Nürnberg und Bayreuth. Schmucke Fachwerkhäuser, bizarre Felsformationen, gruselige Höhlen und prächtige Mühlen, forellenreiche Bäche plätschern in herrlichen Mischwäldern. Ein „Bilderbuch-Urlaubsgebiet“ versprechen die Fremdenverkehrsprospekte — mit Erfolg. 250.000 Übernachtungen im Jahr lassen in der 5.000 Einwohner zählenden Kleinstadt die Kassen klingeln.

Die vielen Anfragen von Erholungssuchenden treiben Theodor Dippold, dem Chef des örtlichen Fremdenverkehrsbüros die Schweißperlen auf die Stirne. Aber er ist zufrieden. Nur eines kann Theodor Dippold nicht leiden: wenn ihn Touristen nach der Vergangenheit fragen. Nicht nach der seines Vaters. Der war zwar der von der NSDAP eingesetzte Bürgermeister in Pottenstein und wurde von den Amerikanern zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Doch über 90 Prozent der Pottensteiner wählten Hans Dippold 1950 erneut zum Bürgermeister. „Deshalb kann er ja gar kein Nazi gewesen sein“, folgert der Sohn.

Der Standartenführer — ein Mann mit Herz

Fragen nach dem KZ-Außenlager von Flossenbürg in Pottenstein mag der Verkehrsamtschef überhaupt nicht. „Wir sind doch nicht Dachau oder Auschwitz“, einmal müsse eben Schluß sein mit der Vergangenheit. Insbesondere auf den „Professor Hans Brand“ will Dippold nichts kommen lassen. Der sei zwar Chef eines in Pottenstein stationierten SS- Bataillons gewesen, aber trotzdem ein „Mensch mit Herz“.

Auch Pottensteins jetziger Bürgermeister Dieter Bauernschmitt (CSU) hält große Stücke auf den 1959 verstorbenen Professor. „Brand war in erster Linie ein großer Förderer des Fremdenverkehrs von Pottenstein“. So steht es auch auf der erzgegossenen und immer blumengeschmückten Tafel am Eingang der Teufelshöhle am Ortsrand von Pottenstein: „In Verehrung und Dankbarkeit die Stadt Pottenstein“. Die Fremdenverkehrsprospekte würdigen denn auch des Professors touristische Errungenschaften zur Genüge: Vom St.-Elisabeth-Brunnen auf dem Marktplatz über den Schöngrundsee, das Felsenbad, mehrere Straßenbauten bis hin zur Teufelshöhle.

In der Tat hat der Geologe Hans Brand mit der 1922 begonnenen Erschließung der 1,5 km langen Teufelshöhle den Grundstein für den Aufschwung Pottensteins gelegt. Jährlich bewundern 350.000 Besucher die Welt der Stalagmiten und Stalagtiten in Deutschlands größter Schauhöhle. Doch Brand war nicht nur Heimatforscher. Er stellte sein Wissen auch der SS zur Verfügung. Schnell stieg er zum SS-Standartenführer auf und befehligte das seit Juli 1942 in Pottenstein stationierte SS- Karstwehrbataillon, eine Elitetruppe für die Partisanenbekämpfung im jugoslawischen Karstgebiet. Ohne Brand und seine Kontakte zum SS Reichsführer Heinrich Himmler hätte es in Pottenstein kein Außenlager des KZ-Flossenbürg gegeben.

Das kann und will Bürgermeister Bauernschmitt nicht leugnen. Seiner Meinung nach nutzte Brand die SS „als Mittel zum Zweck“. Brand habe eben das Geld für weitreichende touristische Pläne etwa für ein Sanatorium oder ein Terassencafé gefehlt. „1942 ist es ihm, dem Duzfreund Himmlers, dann gelungen, Häftlinge von Flossenbürg als Arbeitskräfte zu bekommen.“ Die Häftlinge mußten Brands Pläne umsetzen. Sie errichteten nicht nur das Barackenlager für die über 1.000 Mann starke SS-Eliteeinheit auf dem Bernitz, einem Berg nahe Pottenstein, sondern befreiten auch die Teufelshöhle von Lehm und Steinen, schütteten wichtige Straßen auf und bauten den Stausee, der nach Brands Plänen als Wasserübungsplatz für das SS-Bataillon vorgesehen war. Heute ist der See mit dem Namen „Schöngrundsee“ ein beliebtes Ausflugsziel. Der Bootsverleih allein bringt der Stadt pro Jahr 30.000 DM an Pacht.

Oben auf dem Bernitz ist heute buchstäblich Gras über die Geschichte gewachsen. Nur Wanderer, die lieber querfeldein gehen und die 200 km markierten Wanderwege verlassen, wundern sich mitten im Wald über einen Gulli und ein moosbewachsenes Fundament, die Reste der damaligen Küchenbaracke. Bis zuletzt glaubte der Professor an den Endsieg. Noch im Februar 1945 plante Brand einen 171 Meter langen „Luftschutzstollen für Unterkünfte des SS-Karstwehrbataillons“ vom Bernitz zum gegenüberliegenden Hang und untersuchte die Teufelshöhle auf ihre Tauglichkeit als unterirdische Produktionsstätte.

Nur einige Häftlinge sind umgekommen

1935 bekam Brand von der Stadt Pottenstein 1935 die Ehrenbürgerwürde verliehen. Kurz nach Kriegsende wurde sie ihm aberkannt. Als wenig später der Pottensteiner Stadtrat einstimmig beschlossen hatte, ihm den Titel wieder anzutragen, lehnte der Professor beleidigt ab. Für Altbürgermeister Hans Körber wäre Brand noch heute ein würdiger Ehrenbürger. „Das steht doch außer Frage“, findet der einstige SS-Mann, der von 1972 bis 1990 an der Spitze Pottensteins gestanden hat. Körber ist davon überzeugt, daß Brand das KZ nach Pottenstein geholt hat, nur um sein Ziel, die „Kurstadt Pottenstein“, zu realisieren. „Brand war zweifelsohne ein Glücksfall für Pottenstein, insgesamt hat er von 1923 bis 1945 echt positive Leistungen für Pottenstein vollbracht“, verteidigt Körber seinen alten Kameraden. Die Beschäftigung von KZ-Häftlingen müsse man „unter dem Aspekt der damaligen Zeit sehen“. Auf Körbers Initiative wurde eine Straße im Neubauviertel nach dem Professor benannt. „Der Hans-Brand-Ring, das ist das mindeste, was er verdient hat.“

Eine Gedenktafel und eine Straße für Brand — für die KZ-Insassen sucht man jedoch einen Gedenkstein vergebens. „Ein kleines Manko“ gesteht der amtierende Bürgermeister Bauernschmitt, aber in Pottenstein werde trotzdem „nichts verheimlicht und verdrängt“. Den Häftlingen sei es zudem wesentlich besser gegangen als in Flossenbürg, nur „einige sind krankheitsbedingt umgekommen“. Bauernschmitt müßte es eigentlich besser wissen. Er hat den Vortrag des Bayreuther Journalisten Peter Engelbrecht am Gymnasium in Pegnitz gehört und kennt daher die Ergebnisse dessen zweijähriger Recherche. Aus den Transportlisten von und nach Flossenbürg geht eindeutig hervor, daß 380, also mehr als die Hälfte der insgesamt 746 nach Pottenstein transportierten Häftlinge die Tortur des Lagerlebens und der Fronarbeit nicht überlebten.

Die Wirtin der rustikal möblierten „Tucherstuben“ mit der preisgekrönten Weinstube in der Pottensteiner Hauptstraße, Rosi Treiber, hält Bauernschmitt schlichtweg für ein „Arschloch“, schon allein weil er sich den Vortrag in Pegnitz überhaupt angehört hat. „Die KZler sind doch bestens behandelt worden“ ereifert sich die 60jährige, die Brand noch gekannt hat. Er war Stammgast im Wirtshaus ihrer Eltern. Mit leuchtenden Augen und bebender Stimme schildert sie den Professor als eine „Persönlichkeit“ und einen „Fanatiker“ für den Fremdenverkehr. „Der hat die KZler gebraucht für den Stausee, die Höhle und die Straßen, da mußte er sich doch mit Himmler anfreunden.“ Als „gemeiner SSler“ hätte er doch nichts erreichen können, „so ist er eben Standartenführer geworden“, haut sie mit der Faust auf den Tisch, eilt in den ersten Stock und kehrt mit einem 60 mal 40 Zentimeter großen, eingerahmten Hitler- Konterfei zurück. „Mein Kampf haben mir die Amis weggenommen, aber für den haben's mir schon 20.000 geboten, aber nicht einmal für 40.000 geb' ich den her.“ Rosi Treiber ist in Rage. „Sollten diese KZler das Maul nicht halten, dann stopf' ich's ihnen“, droht sie den Überlebenden Insassen des Flossenbürger Außenlagers.

Der gebürtige Tscheche Vlasta Frolik läßt sich von Rosi Treiber nicht einschüchtern. Er ist heute 70 Jahre alt und arbeitet wöchentlich ein paar Stunden im Kurpark. Frolik war einer der 40 Häftlinge aus Flossenbürg, die nach Pottenstein kamen, als das Außenlager im Oktober 1942 errichtet wurde. Bis zur Befreiung durch die Amerikaner am 15. April 1945 war Frolik im Lager. Wegen seiner Körpergröße wurde er im KZ „Piccolo“ genannt. Er erinnert sich. „Viele sind gestorben vor Schwäche, viele sind verhungert, und die Arbeit hat keiner ausgehalten.“ Häftlinge, die kurz vorm Sterben waren, wurden nach Flossenbürg transportiert. „Die waren dem Tod geweiht.“ Die Zeit im Pottensteiner Außenlager, eingesperrt mitten im Ort in der Scheune, die der Brauereibesitzer Georg Mager der SS zur Verfügung gestellt hatte, kann Frolik nicht vergessen.

Wo heute Auspuffbremsen für LKW gefertigt werden, waren damals bis zu 400 Häftlinge zusammengepfercht, umgeben von Stacheldraht und Wachtürmen. Niemand in Pottenstein kann sagen, er hätte von nichts gewußt. Jeden Tag zogen die Häftlinge morgens mit Gesang von der Fachwerkscheune quer durch Pottenstein über den Marktplatz zu ihren Arbeitsstätten und abends zurück. Busunternehmer Leo Hopf, damals neun Jahre alt, erinnert sich noch ganz genau an das Klappern der Holzschuhe auf dem Kopfsteinpflaster. „Die hat man freilich gesehen, manche haben versucht, den Häftlingen ein Stück Brot zuzuschieben, das gelang nicht oft, die Bewachung war konsequent.“ Josef Wiegärtner will dagegen nichts gehört und nichts gesehen haben. Er wohnte damals direkt gegenüber der Scheune. „Ich weiß nichts, da war ich noch zu jung.“ Er war 14 Jahre alt. „Die Pottensteiner Bevölkerung hat damals ganz menschlich reagiert und hat deswegen keine Probleme mit der Bewältigung der Vergangenheit“, davon ist Bürgermeister Bauernschmitt überzeugt. Er zitiert Wilhelm Geusendamm, den holländischen Lagerältesten, der über seine Erlebnisse im Pottensteiner Außenlager ein Buch geschrieben hat. „Mir ist kein Ort bekannt, dessen Bewohner nach allem, was an Schrecklichem während des sogenannten Dritten Reiches geschehen ist, den Kopf so hoch tragen können, wie eben diese Pottensteiner“, lobt Geusendamm darin deren Zivilcourage. Bauernschmitt kann es sich deshalb überhaupt nicht vorstellen, daß es in der Kurstadt Widerstände gegen einen Gedenkstein für die KZ- Häftlinge geben könnte.

Da kennt er Rosi Treiber aber schlecht. Für die Wirtin kommt ein Gedenkstein „nicht in Frage“. „Das schadet doch Pottenstein und der ganzen Region, wenn jetzt diese Geschichte wieder aufgerührt wird.“ „Der wäre über Nacht kaputt“ prophezeit sie, und eine Freundin, die gerade vom Einkaufen in ihrer Wirtschaft vorbeigekommen ist, geifert: „Dann kauf' ich mir einen Schäferhund und führ den jeden Tag Gassi zu dem Gedenkstein“.