Angeschlagen, aber nicht k.o.

■ Er gehe beschädigt aus der Pensionsaffäre hervor, räumte der saarländische Ministerpräsident Lafontaine selbst ein. Schuld seien aber "perverse Gesetze", von denen ganze Scharen von PolitikerInnen ...

Angeschlagen, aber nicht k.o. Er gehe beschädigt aus der Pensionsaffäre hervor, räumte der saarländische Ministerpräsident Lafontaine selbst ein. Schuld seien aber „perverse Gesetze“, von denen ganze Scharen von PolitikerInnen profitierten. Einen Ausweg aus dem Gesetzesdschungel der Politikerbezüge soll eine unabhängige Diäten-Kommission beim Bundespräsidenten finden, so der Vorschlag der Bundes-SPD.

Rosig rasiert, munter und keck, schräg über die Nase nach oben blickend, betrat Ministerpräsident Oskar Lafontaine gestern morgen um neun Uhr den Plenarsaal des Saarländischen Landtags. Die drei Graphiken von Salvador Dali am Eingang der Pressetribüne benannten das Thema des von FDP und CDU eingebrachten Mißtrauensantrages mit ihren Titeln hellsichtig: „Kohle heute“, „Kohle morgen“, „Kohle übermorgen“. Sodann strapazierte die CDU die Geschäftsordnung, um die von ihr gewollte Abstimmung doch noch zu verschieben. Sie setzte dabei auf ein Gutachten über die Rechtmäßigkeit der Lafontainschen Besoldung durch den Hagener Fernlehr-Professor Ulrich Battis, der im Vorfeld Bedenken angemeldet hatte. Das Ergebnis des Gutachtens wird erst heute vorgestellt.

Bei der absoluten SPD-Mehrheit von 30 zu 21 Abgeordneten der Opposition war die Abstimmung über den Mißtrauensantrag ein fünf Minuten kurzes Unterfangen. Die namentliche Abstimmung, an der sich der Chef von „Oskar“-Land nicht beteiligte, endete — nach Korrektur saarländischer Rechenfehler durch eine versehentlich gezählte Enthaltung — wie erwartet: 29:21 für Lafontaine. Und beinahe auch mit einer Prügelei im Foyer des Hohen Hauses. Ein CDU-Abgeordneter warf einem der gutbemuskelten Ministerfahrer lauthals „Stasi-Methoden“ vor. Dieser hatte das Aufrollen eines Transparentes, auf dem nur kurz etwas von „Absahner“ zu erkennen gewesen war, handgreiflich verhindert. Zuvor hatte die SPD noch einmal deutlich zu verstehen gegeben, daß sie das von ihr mitgetragene Battis-Gutachten nicht als das eines „Schiedsrichters“ anerkennen werde, sondern nur als eine von mehreren Rechtsmeinungen.

Die ganze Sache werde „immer rechtlich umstritten sein“, lautet die neue Rückzugslinie von Oskar Lafontaine. Seine Versorgungsbezüge und Ausgleichszahlungen seien für ihn auch dann rechtens, wenn Gutachter Battis der Meinung wäre, der Bescheid sei „falsch“, erklärte Lafontaine in dem anschließenden zweistündigen Gespräch mit der Presse. Er setzte den Schnellkurs über Politikerbezüge, den er am Dienstag schon in der Sondersitzung des Landtages gehalten hatte, in unermüdlicher Ausdauer fort, „bis alle es richtig verstanden haben“. Die beiden Schautafeln, die seine Einkommenskurven aus der Pension der Stadt Saarbrücken und dem Ministerpräsidenten-Salär illustrieren sollen — inzwischen fast liebevoll „Oskar I“ und „Oskar II“ genannt —, hatte er auch wieder mitgebracht.

Langer Erklärungen und schweren Verständnisses kurzer Schluß: Lafontaine erhielt das Ministergehalt minus der Stadtpension plus einer Ausgleichszulage. Das Nachrechnen, wann er nun dadurch besser/schlechter als andere Mandatsträger oder aber gleichstellt war, und ob dies alles rechtens gewesen sei, rühre, so Lafontaine, an drei möglicherweise widerstreitende Rechtsgebiete: Steuer-, Verfassungs- und Beamtenrecht. Er betonte noch einmal, daß es ihm in sechs Jahren trotz mehr oder minder emsiger Bemühungen nicht gelungen sei, die Frage eindeutig zu klären.

Die Frage, ob es Sinn eines Gesetzes — das ursprünglich gänzlich aus einem Mandat oder Amt Scheidende absichern sollte — sein kann, Versorgungen vormaliger politischer Ämter, trotz Abzug in höhere oder besser dotierte Positionen, „mitzunehmen“, ließ er unberührt. Er verwies auf die in Bundes- und Landesparlamenten geübte Praxis. Die sollten sich, meinte Lafontaine, jetzt bitte sehr „alle selber outen“. Zurücktreten werde er auf keinen Fall. Im Saarland wolle er die absolute Mehrheit der SPD halten.

Ob ihm das gelingen wird, darüber diskutierten die Menschen in Saarbrücken in den letzten Tagen auf allen Straßen und Plätzen. „Ich glaube“, meint der Familienvater auf der Wiese unterhalb des „Ulanenpavillons“ an der Saar, „die Ära Lafontaine geht zu Ende“. Verbitterte alterprobte Parteimitglieder erwägen, das Parteibuch zurückzugeben. Sie sind für heute mit einem eiligen Rundschreiben an die 40.000 Parteimitglieder um „offene Solidarität“ gebeten worden. Zwei alte Damen üben sich darin auf ihre Weise und nehmen den „kleinen Oskar“ in Schutz. Manchmal riskiere der zwar „eine freche Lippe“, aber, „der hat doch so viel um die Ohren“.

Das gerade ist es, was ihm Kritiker und Opposition vorwerfen. Er sei zuwenig im Lande, beschäftige sich mehr mit seiner Bundeskarriere als mit dem Regieren im eigenen Haus, verschwinde dauernd in die Toskana. Und wenn er mal da sei, entscheide er „selbstherrlich“ nach „Gutsherrenart“. Nach zwei Klinikskandalen im vergangenen Jahr ist das Wort „Abschöpfer“ für eine vorteilnehmende Betreibergesellschaft im Saarland Allgemeingut geworden. An seinem Image als Landesvater der kleinen Leute kratzen auch kräftige Steuernachlässe für Industriebetriebe, Verärgerung der Naturschützer wegen Bespitzelung, verschleppte Planfeststellungsverfahren für eine Mülldeponie und nicht zuletzt der umstrittene Ausbau des Schiffahrtsweges Saar.

Die Frage, ob er „Rache“ aus den Reihen der eigenen Partei vermute, hatte Lafontaine auf der Pressekonferenz vorsichtshalber nicht beantwortet. Auch auf strafrechtliche Schritte wegen der Weitergabe seiner Akten an die Presse wollte er sich vorerst nicht festlegen. Dem Drastischen sonst nicht abhold, mußte er sich gestern allerdings aus den Zuschauerrängen ein Wort gefallen lassen, das sonst ihm gegenüber seinen Kritikern zugeschrieben wird: „Haawepraddler!“ Das meint, frei übersetzt, einen „Topf-Kacker“. Heide Platen, Saarbrücken