: Ein »Gesprächskreis großer Persönlichkeiten«
■ Die Berliner Tagung der »Societe Imaginaire« verlief seltsam ruhig/ Gesprochen werden sollte über Ideen und Utopien der Metropole Berlin/ Die Erzähllust blieb gering und verlief sich in Allgemeinplätzen eines ehemaligen Staatspräsidenten
Berlin. Er sei härtere Pressekonferenzen gewohnt, wo ihm die Mikros in die Nase geboxt werden und ihm eine Kamera in den Nacken fällt, bemerkte Uruguays Ex-Präsident Julio María Sanguinetti; angenehm ruhig sei es. Doch bei der Vorstellung des zweiten Berlin-Treffens der »Société Imaginaire« beschlich Einen der Eindruck, daß diese ganze Einrichtung eher »angenehm ruhig« ist. Die Worte wurden dafür umso hochtrabender. Die Société Imaginaire, dieser »kontinentübergreifende Gesprächskreis großer Persönlichkeiten«, solle »Ideen, Utopien zur Funktion der Metropole Berlin« diskutieren, hatte es geheißen.
Doch das Thema war vor allem der Nabel, die eigene ungeheure Bedeutung der Versammelten, und die ungeheure Bedeutung der Societe Imaginaire, des direkten Dialogs von Künstler zu Künstler jenseits der Überfrachtung durch die Massenmedien. So recht wollte sich diese jedoch nicht erschließen.
Während der chilenische Schriftsteller Jorge Edwards Richtiges, aber auch schon zigmal Gesagtes über Pinochet, die Zensur und die Freiheit des Wortes erzählte, skribbelte der politisch wenig spektakuläre uruguayische Ex-Präsident Sanguinetti — hier zum »führenden lateinamerikanischen Intellektuellen«, gar zum, wörtlich, »bedeutendsten Mann Lateinamerikas« in den Himmel gehoben — Schnörkel und Figurenskizzen auf das »Pressedienst«- Blatt auf seinem Tisch.
Keine Geschichten zur Hauptstadt
Vielleicht wolle er doch auch noch was erzählen, ermuntert der Organisator den ehemaligen Präsidenten des polnischen Schriftstellerverbands, Jan Josef Szepanski. Ach nein, das wolle er eigentlich nicht, meint dieser. Aber na gut, er hätte da eine kleine Geschichte, und er erzählt von Akbar aus der Mogul-Dynastie, der die einzige und wahre Wahrheit wissen wollte, was, wir ahnen es, natürlich verhängnisvoll endete.
Aber vielleicht könne doch Ryzard Krinicki, der zweite polnische Schriftsteller am Tisch, etwas zu Berlin und zum Thema Hauptstadt sagen? Nein, das wolle er eigentlich nicht, entgegnet Krinicki, er wolle lieber noch etwas zur Societe Imaginaire sagen, und den einhundert oder mehr Büchern, die man gemeinsam verlegen könne.
Der im Umgang mit der Presse routinierte Politiker Sanguinetti erkennt das sich abzeichnende Debakel — schließlich hat das Thema »Hauptstadt Berlin« doch einen nicht unerheblichen Troß von Hauptstadt-Journalisten auf den Plan gerufen. Und er setzt an; Berlin, eine große Verheißung, eine Brücke zwischen Ost und West, Trampolin zwischen den Kulturen, Knotenpunkt, Ort der Verbindungen, große Perspektive, wichtige Zukunft.
Es hagelt Allgemeinplätze, die in unter wachsender Zufriedenheit in die Notizblöcke wandern. Das an diesem Nachmittag entstandene künstlerische Werk des bedeutendsten Mannes Lateinamerikas jedoch präsentiert die taz exklusiv. Bert Hoffmann
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