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INTERVIEW»Es gibt Räume, Menschen und ein bißchen Geld«

■ Ein Interview mit Barbara Weiss, Galeristin

taz: In Kassel wird gerade die »documenta« eröffnet. Gibt es dort außer dem Ereignis der Ausstellung noch ein Konfliktfeld, in dem Kunst agiert?

Barbara Weiss: Ich glaube nicht, daß in diesem Zusammenhang der künstlerische Austausch von primärer Bedeutung ist. Vielmehr stellt die »documenta« einen Meilenstein in der jeweiligen Entwicklung dar, vor allem in bezug auf die Anerkennung und den Erfolg. Da geht es nicht um Dialoge zwischen den Künstlern. Grundsätzlich ist für jeden Künstler eine Ausstellung dieser Größenordnung an einem solchen Ort eine Frage der Auseinandersetzung, aber darauf baut Kunst schließlich auf. Bei der »documenta« ist tatsächlich Dabeisein alles.

Aus Ihrer Galerie sind fünf Namen auf der »documenta« vertreten. Könnten Sie sich vorstellen, daß ähnlich hochkarätige Künstler an einer Alternativ-Veranstaltung wie dem Berliner »Räume«-Projekt teilnehmen würden?

Zunächst einmal würde ich mir wünschen, daß mehr hochkarätige Künstlerinnen auf der »documenta 9« vertreten wären. Aus der Galerie ist es Katharina Karrenberg, die am »Räume«-Projekt teilnimmt. Auch Aura Rosenberg, mit der ich gerade zusammenarbeite, stellt dort aus, allerdings unter anderen Prämissen. Sie ist nur für ein Jahr in Berlin und will vielleicht was Bleibendes hinterlassen. Sie sieht die Situation aber auch ganz anders als jemand, der seit Jahren mit dem Kunstbetrieb in Berlin zu tun hat. Prinzipiell müßte man genauer darüber nachdenken, inwieweit das Projekt im ganzen auf die dortige Kunstproduktion, die wirtschaftliche Krise und die Problematik des Ortes Bezug nehmen könnte. Selbst die »documenta« verdeutlicht doch ganz bestimmte Klassenunterschiede: von denen, die vor Ort arbeiten können, deren Anwesenheit man wünscht, bis zu denen, die eben nur eine Arbeit abliefern sollen.

Dann ist das »Räume«-Projekt dagegen womöglich menschlicher, das heißt auf eine kommunikative Gemeinschaft ausgerichtet?

Der Kontakt bleibt am Ende nur untereinander bestehen. Auch die »Räume« sind nichts als eine reine Ausstellungsangelegenheit. Aber das ganze Gerede über zwei völlig unvergleichbare Ereignisse finde ich furchtbar. Was hat ein subkulturelles Unternehmen mit der »documenta« zu tun? Laß es ein positives Echo in der Presse bekommen, nur: Einfluß auf die Scharen von internationalen Besuchern in Kassel hat das doch nicht im geringsten. Als würde sich internationales Kunstpublikum eben mal 37 Räume anschauen! Das ist allein schon nicht machbar wegen der totalen Unübersichtlichkeit eines solchen Unternehmens. Es bleibt ein Symbol, wobei mich eine gewisse Beiläufigkeit eher überzeugt hätte — wenn es eines von vielen Geschehnissen in Berlin für den Juni 1992 geworden wäre. Nun hat irgend jemand nach dem Vergleich mit der »documenta« geschrien, so daß die Analogie »Kunst-Werke« und Kassel rückwirkend daherkommt.

Eine Selffulfilling prophecy?

Ich stelle mich auch nicht als Galeristin hin und überlege mir: Gott, jetzt ist die »documenta«, da muß etwas ganz Besonderes her. Letzten Endes ist alles, womit ich arbeite, etwas Besonderes, alles hat seine Wichtigkeit. Im konkreten Fall der »Räume«-Ausstellung fehlt die Stellungnahme, die eine Haltung oder Position hinter dem Projekt zeigen würde. Grundsätzlich gibt es natürlich nicht nur eine einzige Konstante, sondern unbeständige Vielheiten. Die daraus resultierende Orientierungslosigkeit paßt dann auch mit dem historisch bedingt divergierenden Berlin-Bild zusammen. Da ist der geordnete Markt ganz anders, dessen System auf Steuerungsmechanismen basiert. Hier bleibt das Chaos statt dessen erhalten, denn anders als in Köln und den dazugehörigen New Yorker Partnergalerien funktioniert in Berlin das »1+1=2« eben nicht. Nicht gut ist es, wenn man dieses strukturierte Gefüge einfach schleifen läßt. Gerade in diesem Punkt hätten die »37 Räume« einen Einschnitt bilden können. Chaos muß ja nicht Unprofessionalität heißen. Projekte dieser Art sind schließlich nicht neu, sondern auch schon in Köln oder in New York praktiziert worden. Jetzt ist es vielmehr an der Zeit, die Strukturen der Kommunikation über Kunst und Kultur zu erarbeiten, wahrzunehmen, wie die Produktion und Rezeption funktionieren. Das Ergebnis wirkt nun allerdings wie aneinandergereihte reine Willkür.

Aber wie sollte nach so kurzer Zeit eine offene Kommunikation in Berlin möglich sein?

Indem man aufhört, den Ort bloß in den Mittelpunkt zu stellen. Räumeübergreifende Projekte gab es doch schon in Gent, als Jan Hoet »chambre d'amis« inszenierte, »Ponton« in Temse, beim Skulpturenpark in Münster oder bei »Die Endlichkeit der Freiheit«. Bestimmte Dinge sind also einfach schon gemacht und gesagt worden, sogar in ganz anderen Dimensionen. Hier stellt sich für mich die Kritik an dem Berliner Unternehmen ein. Das Verhältnis von Erinnerung an Raum und Ort oder bloße Repräsentation werden nebeneinandergestellt, statt ein bewußtes Umgehen damit herauszufordern.

Das Ganze erscheint wie eine naive Utopie der Vergesellschaftung symbolischer Prozesse, während die Analyse der eigenen Situation auf der Strecke bleibt. Deshalb kann Wolfgang Max Faust eben ganz einfach John Cage in einem jüdischen Laden präsentieren. Alles nur Ästhetik?

Ich weiß nicht, ob Faust sich mit dem Laden beschäftigt hat. Er macht vielleicht einfach, was er gut findet, egal wo. Aber es gab eben auch kein gemeinsames Thema, keine Auswahl nach einsichtigen Kriterien, keine Strukturen. Es gibt nur diese Räume. Räume, Menschen, den günstigen Zeitpunkt parallel zur »documenta«— und ein bißchen Geld, das einzige, was alles miteinander verbindet. Sonst macht jeder, wozu er Lust hat, ohne Konzept oder Idee über die Gegend, die Räume, die Zeit oder was es mit Berlin, ja selbst der Kunst überhaupt zu tun hat. Nichts wird in Frage gestellt. Statt dessen heißt es: Da ist die »documenta«, wir kennen Kuratoren, hier sind ein paar Räume. Natürlich verselbständigt sich so etwas. Deshalb müssen kritische Ansätze bei dieser Vorgehensweise auf der Strecke bleiben. Es ist eine Ästhetisierung des Kaputten, eine Idylle eben. Die Einmaligkeit der Situation wird gar nicht begriffen. Da kommt keine Frage zustande, die den Ort wirklich wahrnimmt. Insofern ist es auch recht merkwürdig und einzigartig, wie in Berlin vom Senat die Ideen bestimmter Leute finanziert werden. Mit dem »Räume«-Projekt hat die Förderungspolitik die Kiezkultur wieder installiert. Ich bezweifle, daß damit die Metropolendiskussion angetrieben werden kann. Das ist alles, was ich zum jetzigen Zeitpunkt dazu sagen kann, jedoch würde ich mich freuen, wenn die Realität überzeugende Beiträge liefert. Interview: Harald Fricke

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