piwik no script img

Nur noch ums Überleben

■ Eine Diskussion zwischen dem ex-berufsverbotenen Alt-68er Peter Schneider und dem kubanischen Schriftsteller Jesús Diaz

Die Revolution schien möglich, und wir wollten für sie sterben, wir sind ja keine europäischen Intellektuellen!« Jesús Diaz sagt dies nüchtern, ohne die Arroganz des Danach-weiß-man's-besser. Der deutsche Intellektuelle gegenüber, der nicht sterben wollte, sondern Lehrer werden, damals, lächelt schmallippig, so wie er fast den ganzen Abend die Mundwinkel zu einem irritierten Lächeln zwingt, auch wenn er redet. Peter Schneider ist glatter als der kantige alte Mann aus Havanna. Seine Worte auch: »Utopien lassen sich nur durch Terrorismus und Zwang durchsetzen.« Vollmundig, als Einstieg. Es spricht ein Bekehrter.

Den Zwang, von dem Schneider spricht, hat Jesús Diaz zur Genüge erfahren. Mehr als ein Artikel des kubanischen Schriftstellers fiel der Zensur zum Opfer, schon 1971 wurde die von ihm geleitete Zeitschrift 'Pensamiento Crítico‘ verboten. Der Film Alicia im Dorf der Wunder, für den er das Drehbuch schrieb, sorgte im vergangenen Jahr für den großen Kulturskandal Kubas. Bis heute bleibt die aggressive Kinosatire ein Tresorfilm, ein Film, der nicht gezeigt werden darf. Doch die Utopie, für die Diaz in der Miliz war und auf den Zuckerrohrfeldern, für die er Parteimitglied und Parteisekretär wurde, kann er leicht auf den Punkt bringen: die Unabhängigkeit Kubas. Und als Ziel gilt die ihm noch immer. Chancen auf Realisierung: praktisch keine.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Neue Welten — Gegenwelten, in der im Haus der Kulturen der Welt jeweils ein deutschsprachiger Schriftsteller oder Wissenschaftler mit einem Kollegen aus Lateinamerika diskutiert, stand an diesem Donnerstag abend »Die Utopie vom Traum der Vernunft« auf dem Programm. Und der Kontrast war beeindruckend. Wo bei Jesús Diaz keinerlei Wehleidigkeit, aber echte Trauer und Verbitterung über seine zutiefst pessimistische Einschätzung mitzuhören war, war es bei Schneiders stromlinienförmigem Abgesang auf Utopie und — so ganz grundsätzlich, quasi weltgeschichtlich — Revolution vor allem das Bemühen, diesmal auf der richtigen Seite zu stehen. »Ich halte Revolutionen, gerade in den armen Völkern des Südens, für unvermeidlich — aber sind sie erstrebenswert? Sind sie nicht vielmehr Katastrophen?« Blutleer talkt Schneider daher; rhetorische Überlegenheitsspielchen. Im Kopf die intellektuellen Widersacher, die Ewiggestrigen in der deutschen Linken — nicht die »unerträglichen« Zustände und die »unvermeidlichen« Katastrophen, über die er spricht.

Jesús Diaz, mit Hilfe eines DAAD-Stipendiums im Berliner Quasi-Exil lebend, hat die unerträglichen Zustände erlebt und erlitten, auch die vor der Revolution. Und er hat die Konsequenzen der nun auch Kuba drohenden Katastrophe nur allzusehr im Kopf, die Toten, die es geben kann, und, wie er überzeugt ist und fürchtet, auch geben wird. »Die Fortführung des Sozialismus ist völlig unmöglich. Es geht nur noch ums Überleben, nur darum, die Tragödie zu vermeiden.« Die Niederlage, das Scheitern des Projekts Revolution, wird angenommen, ohne nostalgische Sehnsucht nach der »verlorenen Utopie«, aber auch ohne den Versuch, sich nun wendig auf die Seite der Sieger zu schummeln. »Wir, die wir nicht an den Kapitalismus geglaubt haben, haben verloren.«

Die Utopie, wenn man sie noch so nennen will, ist elend bescheiden geworden: ein friedlicher Übergang zu anderen (fraglos kapitalistischen) Verhältnissen, ohne daß das kubanische Volk ausgehungert wird, ohne Annexion, Krieg oder Massaker. »Daß dies passiert«, meint Jesús Diaz allerdings, »daß Washington seine Blockade gegen Kuba aufgeben oder Fidel Castro den Weg der Sandinisten in Nicaragua gehen und etwa freie Wahlen durchführen könnte — das ist eines so utopisch wie das andere. Das wahrscheinlichere ist das Desaster.« Bert Hoffmann

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Neue Welten — Gegenwelten stehen heute abend im Haus der Kulturen der Welt »Frauen — die letzte Kolonie« mit Marta Lamas und Veronika Bennholdt-Thomsen (18.30 Uhr) und »Das feministische Modell — Utopie oder Realität« mit Nelly Richard und Marielouise Janssen-Jurreit (21 Uhr) auf dem Programm.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen