CAPRI-FISCHER ADIEU

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Der Fischfang ist in Italien als Wirtschaftsfaktor längst unbedeutend. Er zählt nur als Zulieferindustrie für den wichtigen Wirtschaftsfaktor Tourismus. Meeresverschmutzung und moderne Fangtechniken zerstörten längst den romantischen Fischer-Mythos.

VONSUSANNEKILIMANN

An Wochenenden herrscht Hochbetrieb bei Antonia. Ohne Vorbestellung haben höchstens Stammgäste eine Chance. Andere werden abgewiesen. „Tutto completo“, heißt es bedauernd. Alles besetzt an den mit weißen, steifen Tüchern perfekt gedeckten Tischen.

Das kleine, schnieke Restaurant, das, von der Straße aus kaum sichtbar, in meterhohem Schilf verborgen im Mündungsgebiet des Po liegt, zwischen Venedig und Ravenna, gehört zu den Adressen, die unter Feinschmeckern als Geheimtip gehandelt werden. Fisch — Antonias Spezialität — wird in ihrer Küche zubereitet „como si deve“, so eben, wie es sich aus Liebe zum Essen gehört. „Branzino in umido“, Seebarsch in Tomatensauce geköchelt, steht zum Beispiel auf der handgeschriebenen Speisekarte oder „baccala alla veneziana“, Kabeljau, mit Öl zur cremigen Mousse verquirlt.

Die Preise für die feinen Speisen sind gesalzen. Doch der Gourmet nimmt dies ohne Murren hin. Schließlich genießt er angesichts der aufgetischten Köstlichkeit auch ein Gefühl von Zuversicht: So ernst, sagt sich hier mancher, kann es wohl doch nicht stehen um die algengeplagte Adria.

„Alles halb so schlimm“, versichern auch die Händler in den Fischhallen der kleinen Hafenorte, wenn sie die glitschige Ware auf die Waage werfen. „Alles prima, alles frisch.“ Über das kranke Meer mag hier niemand reden. Mit Fremden schon gar nicht. Ohnehin hat die grüne Pest im Delta-Gebiet, das erst in den siebziger Jahren für den Tourismus erschlossen wurde und wo die Gemeinden noch bis vor kurzem Bungalowsiedlungen hastig in die Landschaft setzten, großen Schaden angerichtet. Schon zwei Sommer lang blieb ein großer Teil der Apartments leer. Den Vermietern steht das Wasser bis zum Hals. Viele hat nur die neue Welle ostdeutscher und tschechischer Badegäste vor dem Untergang bewahrt. Nun sollen wenigstens die Touristen bei der Stange gehalten werden, die hier auf der Durchreise einen Abstecher machen, und die Großstädter, die für ein Wochenende wegen der frischen Brise kommen — und wegen des frischen Fischs. Das Thema Umwelt ist daher tabu. Und alle halten sich daran.

Nur die Fischer nicht mehr. Immer wieder zogen die Männer, die vom Muschelfang leben, vor die Rathäuser der Region und rollten Spruchbänder mit wütenden Parolen aus. Um die Zukunft von Meer und Muscheln sorgen sie sich und um die eigene Existenz. Die „vongolieri“ hatten auf einen guten Fang gehofft, als sie wieder ausgefahren waren mit den Kuttern, zum ersten Mal nach Ablauf der verordneten Frist. Schon in den vergangenen Jahren hatte die italienische Regierung das Muschelfangen in den Monaten Juni und August verboten. Per Gesetz sollte die Reproduktion des schwindenden Weichtierbestands gesichert werden. Im letzten Jahr wurde das Verbot zusätzlich im Juli verhängt. Die Populationen hätten sich dann, so meinten die Minister, bis zum Ende der Schonzeit gut erholt.

Das Gegenteil traf ein. Die Ausbeute der Muschelfischer war spärlicher denn je. Die Männer wollten daher ihre Kutter im Hafen lassen und forderten Subventionen. „Wenn wir das bißchen, was da ist, jetzt rausholen“, so argumentierten sie, „dann finden wir im nächsten Jahr gar nichts mehr.“

50 Prozent des Fischs kommen aus Asien

Doch Gelder aus Rom sind angesichts der angespannten Haushaltslage schwer lockerzumachen. Finanzielle Unterstützung erhalten bislang nicht die Fischer, sondern die Institute für Meeresbiologie in Fano, Ancona und Triest. „Denn“, so erklärt Umberto Scarpa, Leiter des Hafenamts in Venedig, „für die Regierung ist der Zusammenhang zwischen Einleitungen ungeklärter Industrieabwässer, Fischsterben und Algenpest noch keineswegs erwiesen.“ Algen, darauf berufen sich die römischen Minister, hätte es schließlich vor zweihundert Jahren schon gegeben. Chroniken aus dieser Zeit berichteten davon. Zu lesen sei da aber auch, fügt Scarpa hinzu, daß die Plage damals ein paar Tage andauerte, nicht, wie heute, in jedem Sommer wochenlang. Während in Rom die Berichte der Meeresbiologen abgewartet werden, sprechen die Tatsachen für sich. 40 bis 50 Prozent des in Italien verzehrten Fischs werden nicht in heimischen Gewässern, sondern vor den Küsten Asiens gefangen. Das Angebot auf den Märkten von Venedig stammt sogar nur zu zehn Prozent aus der Region. Hochwertige Fischsorten wie Barsch, Scholle und Kabeljau treffen dort in den frühen Morgenstunden ein. In Eis gepackt, per Lkw werden sie aus Apulien und Sizilien geschickt, wo sich die Schadstoffbelastung des Meeres noch in Grenzen hält. Zwar ist es den Gemeinden inzwischen generell verboten, ungefilterte Abwässer ins Mittelmeer zu leiten, doch gilt dieses Verbot nicht für die Flüsse. Vor allem über den größten, den Po, entsorgt die Industrie in Italiens Norden noch immer ungehindert Schwermetall und Chemikalien.

„Fischfang fällt als Wirtschaftsfaktor nicht mehr ins Gewicht“, erklärt der venezianische Hafenkommandant, „daher lassen die Sorgen der Fischer die Regierung kalt.“ Nur ein Mindestaufgebot an Fischern müsse sich der Staat erhalten, da die Fischerei den wirklich bedeutenden Wirtschaftszweig — den Tourismus— unterstützt.

In Porto Garibaldi, einem der „echten“ Dörfer, das eingerahmt von Instant-Siedlungen für Sommergäste im Po-Delta liegt, fahren noch etwa fünfzig Kutter zur See. Immerhin lebt noch jede vierte Familie vom Fischfang, knapp ein Viertel der viertausend Menschen. Wenn alte Männer ihre kleinen Kähne verkaufen wollen, dann warten sie allerdings fast immer vergebens auf Interessenten. Zukunft haben nur die Großen, diejenigen, die sich angepaßt haben, als es hier bergab ging mit dem Fisch, vor mehr als zehn Jahren; diejenigen, die sich spezialisiert haben auf den Fang robuster Sorten, auf Sardinen und „Suri“.

Mauro, der 42jährige Kapitän, ist einer von ihnen. „Mit dem billigen Blaufisch“, erklärt er, „kannst du nur was verdienen, wenn du schnell bist und ganze Schwärme fängst.“ Wenn Mauro fünfmal in der Woche morgens um vier mit seinem Schiff, der „Pellegrini“, aus dem Hafen läuft, verläßt er sich nicht auf Petris Segen, sondern auf die High-Tech- Anlage an Bord. Ein Computer zeigt an, wann und wo das Netz auszuwerfen ist und mit welcher Fischmenge es sich dann füllen wird. Nach ungefähr einer Stunde Fahrzeit, das Schiff hat sich dann acht Kilometer von der Küste entfernt, verdichten sich die vorher konfus durcheinander flimmernden Zeichen auf dem Computerschirm zum ersten Mal. Über der blauen Grundfläche, die den Meeresboden simuliert, schiebt sich ein roter Block ins Bild.

Mit High-Tech auf Sardinenfang

„Das ist der Schwarm“, kommentiert der Kapitän. „Und das“, er zeigt auf den gelben Streifen am oberen Bildschirmrand, „das ist der Rumpf der ,Pellegrini‘.“ An der Art, wie sich die roten Zeichen zur stabilen Form gruppieren, will der Kapitän erkennen, daß die Fische unter dem Boot Sardinen sind. „Alles Routine“, lacht er und ist doch ein bißchen stolz dabei. Auf eingeblendeten Skalen sind Länge und Breite des Schwarms abzulesen und die Tiefe, in der er schwimmt. Sind alle Daten gesammelt, hat das Schiff die optimale Position erreicht, schreit der Kapitän von der Brücke in den tosenden Maschinenraum hinunter: „Raus mit dem Netz!“ Wieder am Bildschirm, verfolgt er, wie es sich füllt. „Einholen!“ Prall gefüllt erscheint das Netz über dem Achterschiff. Die Schnüre werden gelöst, und zweihundert Kilo Sardinen gleiten über den Boden des Hecks. Der Rest ist harte Handarbeit. Der Kapitän und seine sechs „Jungs“ steigen in die Gummilatzhosen, knien sich hin, zwischen den Fisch, und schichten ihn in Kisten ein. „Presto, presto“, fix muß das gehen — keine Arbeit für alte Männer.

An Bord ist keiner, außer Mauro, der Kapitän, über dreißig Jahre alt. Früher, meint er, wurde das Nachlassen der Kräfte durch Erfahrung ausgeglichen. Darauf kommt es heute nicht mehr an. Was zählt, ist Schnelligkeit. Während seine Männer die Sardinenkisten zum Spülgang durch Wannen und Süßwasser ziehen, telefoniert der Kapitän auf der Brücke, zwischen Madonnenbild und der nackten Schönen vom Kalenderblatt, mit der Fischauktionshalle im Hafen. „Wie sieht die Tagesorder aus? Wieviel Fisch hat Mailand bestellt?“ Besteht Bedarf, verfolgt der Kapitän aufs neue die farbigen Zeichen. An normalen Tagen wird die Prozedur noch ein- oder zweimal wiederholt, bevor die „Pellegrini“ wieder Kurs auf den Hafen nimmt. Dort warten schon die Lastwagen der Spediteure. Ungeduldige Fahrer laufen mit tragbaren Telefonen am Anleger auf und ab. Die Fracht ist für Konservenfabriken in Mailand bestimmt. Manchmal wird sie auch an Restaurants der Metropole verkauft. „Das Zeug eignet sich zum Fritieren“, meint der Kapitän und zuckt die Achseln. Er und seine Mannschaft machen sich aus Sardinen allerdings nichts. Der Eigenbedarf wird „gottlob noch durch Tintenfische und Sepien gedeckt“, die den Fischern als kleine Zugabe in die Netze gehen. Seinen Lieblingsfisch, die „coda di rospo“, hat der Kapitän vor zehn Jahren zum letzten Mal gefangen. Die Suppe, aus dem riesigen Kopf des Tieres gemacht, ist für ihn das Nonplusultra. Manchmal, zu besonderen Anlässen, holt er sich ein Exemplar, „wohl von den Kollegen in Bari gefischt“, aus der Zentralmarkthalle.

Dort kauft auch Antonia ein für ihre Gäste. Neuerdings hat sie das Muschelrisotto von der Speisekarte gestrichen und einige Gerichte mit Sternchen versehen: Es kann sich um aufgetauten Fisch aus dem Tiefkühlfach handeln, steht in Schönschrift am Kartenrand — dreisprachig, um Reklamationen zu vermeiden. Die kann sich hier niemand mehr leisten. Auch die beste Küche nicht.