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Vater Stolpe, Mutter Hildebrandt, Sohn Diestel

■ Als zweites neues Bundesland nach Sachsen bekommt Brandenburg am Sonntag eine Verfassung/ Stolpe wirbt auf Goodwill-Touren für die „neue Hausordnung“/ Laut Umfrage gehen 46 Prozent der Brandenburger abstimmen, gut informiert über den Verfassungstext fühlen sich nur zehn

Königs-Wusterhausen (taz) — Fehlt nur, daß er seinen Auftritt mit einem fröhlichen „Seid Ihr alle da?“ beginnt. Sichtlich erholt macht der Landesvater aller Brandenburgerinnen und Brandenburger, Manfred Stolpe, in Königs-Wusterhausen Stimmung für die Verfassung, über die die Zweieinhalb-Millionen-Bevölkerung des Landes am Sonntag abstimmen wird.

Etwa 500 Menschen aus dem Städtchen südöstlich Berlins gebärden sich eifrig wie eine wohlerzogene Schulklasse. Niemand ist auf der Festwiese, die oder der am Sonntag nicht „gleich früh um neune“ zur Urne schreiten will, um sein Ja zur Verfassung, zur „Hausordnung für unser Land“ (Stolpe) loszuwerden. Unnötig, daß Stolpe den Stolpe-Fans noch einmal dringlich klarmacht: „Nein-Stimmen können wir aushalten, aber nicht abzustimmen, das bedeutet Schaden für unser Land!“ Über 300 solcher Veranstaltungen mit Reden und Info-Bussen haben die Abgeordneten des Potsdamer Landtags seit Mai absolviert. Nach einer Infas-Umfrage, die die Staatskanzlei in Auftrag gab, wollen 49 Prozent der BrandenburgerInnen sich „auf jeden Fall“ an dem Referendum beteiligen, weitere 26 Prozent „wahrscheinlich“. Zwei Drittel der Befragten verstehen das Gesetz als ständige Mahnung an die PolitikerInnen — aber gut informiert über ihre künftige Landesverfassung fühlen sich nur zehn Prozent. Die Verfassung tritt in Kraft, wenn sie eine einfache Mehrheit bekommt. Eine Mindestbeteiligung ist nicht festgelegt. Doch würde eine Wahlbeteiligung von 30 Prozent oder weniger als politischer Mißerfolg für Parlament und Landesregierung gewertet.

Einmütig rufen denn auch bei der anschließenden Diskussion auf der Königs-Wusterhausener Festwiese im Lärmschatten kreischender Kinder, die auf einer Hüpfburg rumtoben, alle Parteienvertreter, von PDS bis CDU, zum Urnengang auf: Peter-Michael Diestel, der zurückgetretene CDU-Fraktionsvorsitzende, Seite an Seite mit Stolpe. Wer für die Verfassung votiert, votiert für Brandenburg — dieses Credo Stolpes ist überall angekommen.

Wie Heinz Vietze von der PDS betont auch Rolf Wettstädt vom Bündnis 90, die Verfassung beinhalte trotz der Abstriche, die seine Fraktion beim Widerstandsrecht habe machen müssen, die Erfahrungen der Wende und gebe den BürgerInnen neue Instrumente zum Umweltschutz in die Hand.

Erst der Auftritt des Brandenburger CDU-Vorsitzenden Ulf Fink, Verfassungsgegner und Widerpart Diestels, bringt den Konflikt. Soziale Staatsziele wie das Recht auf Arbeit und Wohnung seien grundgesetzwidrig, findet Fink, die plebiszitären Elemente der Brandenburger Verfassung, auf die alle anderen Parteien, einschließlich vieler CDUler stolz sind, ebenfalls. Das Quorum von 20.000 Unterschriften für eine Volksinitiative, mit der die Bürger die Arbeit des Landtags und die Gesetzgebung zwischen den Wahlen beeinflussen können, sei viel zu niedrig, öffne Radikalen Tür und Tor.

Niemand will den Wessi und sein „Wir als Brandenburger CDU...“ hören. Fink wird ausgebuht und geht gandenlos unter.

Die eben noch brave Versammlung gerät in Unordnung. „Wie kommt Herr Fink dazu, uns Brandenburger aufzufordern, wir sollten gegen unsere Verfassung stimmen?“, empört sich ein Zuschauer. „Da ist uns der Diestel doch lieber“, schreit ein anderer, „trotz seiner Ecken und Kanten!“ Er bleibe „eckig und kantig“, verspricht Diestel denn auch süffisant, ganz der Rächer der Entrechteten, und aalt sich eitel im Wir-Gefühl: Ob die Verfassung gut sei, an der er schließlich mitgearbeitet habe, „entscheiden Sie, liebe Bürger und Bürgerinnen. Ob sie rechtswidrig ist, entscheidet das Bundesverfassungsgericht.“ Etwas mehr als die Hälfte der CDU-ParlamentarierInnen im Landtag hatte unter Finks Einfluß am 14. April gegen den Verfassungsentwurf gestimmt. Im Verfassungsausschuß dagegen hatten die CDU-Vertreter unter Diestels Führung noch ohne Einschränkung dafür gestimmt.

Die Debatte über die Verfassung ist abgeglitten von den großen Staatszielen — der Menschenwürde, den Volksabstimmungen — hin zu den Alltagsproblemen. Fink nützt es wenig, daß er den Dreh mitmacht und eilig herunterhaspelt, was — Verfassung hin oder her — die CDU alles tun wolle. Mehr Personal in die Ämter zur Regelung der offenen Vermögensfragen, Arbeitsplätze will man schaffen und Wohnungen bauen. All das verspricht ja, und ungleich glaubwürdiger, auch der Ministerpräsident: „Rund um die Uhr“, beteuert Stolpe in Königs-Wusterhausen mit tröstlich-pastoralem Baß, „sind wir bereit für die Menschen hier zu arbeiten.“ Und: „Regine Hildebrandt läßt ausrichten: Sie macht auch mit! Schließlich sind Arbeitsplätze jetzt das Allerwichtigste.“

Ach ja, das tut gut. Die Landeskinder danken's mit Beifall. Bevor die Versammlung sich auflöst, gehen viele mit dem „Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Brandenburg, Dritter Jahrgang, Nummer 6“ zuerst zu Stolpe, dann zu Diestel, um sich Autogramme zu holen. Brandenburg ist eben Brandenburg, man hält zusammen unter dem gemeinsamen Dach mit Hausvater Stolpe, dem ungezogenen, aber doch hoffnungsvollen Söhnchen Peter-Michael und Mutter Hildebrandt. Und ab Montag dann auch mit eigener Verfassung oder, wie sagte Manfred Stolpe doch so schön: der „Hausordnung für unser Land“. Bettina Markmeyer

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