Der Geldstrom muß sichtbar werden

Beim Geld sieht die deutsche Delegation ganz alt aus/ Dritte Welt hält an 0,7 Prozent vom Bruttosozialprodukt an Entwicklungshilfe fest/ Fast alle Industrienationen verweigern eine konkrete Festlegung  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Rio de Janeiro (taz) — „Wenn es jetzt nicht passiert, sehe ich nicht, wann es überhaupt noch passieren soll.“ Der indische Umweltminister Kamal Nath ist auf dem UN-Gipfel für Umwelt und Entwicklung (UNCED) finster entschlossen, die Geldfrage bis zum Ende durchzukämpfen. Dabei geht es dem Inder in Rio nicht um sofortige ungeheure Geldsummen. „Die Entwicklungsländer könnten die 125 Milliarden Dollar, von denen das UNCED-Sekretariat spricht, gar nicht sofort an Hilfsgelder absorbieren. Was wir brauchen, ist ein Anstieg der Kapitalflüsse Schritt für Schritt, und wir brauchen das sichtbare Zeichen für diesen ansteigenden Geldfluß.“

Erst dann, so Kamal Nath gegenüber der taz, könnten die Länder der Dritten Welt die notwendigen Projekte in die Wege leiten, um das Geld vernünftig ausgeben zu können. Sein Ziel, daran läßt der Inder im hochgeschlossenen strengen Anzug keinen Zweifel, ist die Festschreibung der 0,7 Prozent Entwicklungshilfe, bezogen auf das Bruttosozialprodukt bis zum Jahr 2000 — „als erster Schritt“. „Die Industrieländer müssen einfach ein bißchen von ihrem Reichtum abgeben.“ Viele Länder, gerade die skandinavischen, seien auf einen guten Weg, sie hätten die 0,7 Prozent schon erreicht. Die bundesdeutsche Delegation, die in der vergangenen Woche in anderen Fragen mehr und mehr in eine Führungsrolle bei den Verhandlungen mit der G77 und den Auseinandersetzungen mit den USA hineingewachsen ist, windet sich allein bei dem Gedanken an die 0,7 Prozent.

Der Kabinettsbeschluß, den Klaus Töpfer, Hans-Peter Repnik aus dem Entwicklungshilfeministerium und ihre UnterhändlerInnen aus Bonn mitgebracht haben, ist eindeutig. Die 0,7 Prozent sind von der Bundesregierung nicht zu erreichen. 1990 lag die Entwicklungshilfe bei 0,42 Prozent, nach der Vereinigung ist sie noch einmal deutlich gefallen auf etwa 0,36 Prozent.

Allein um die Quote bis 2000 wieder auf den alten Stand zu bringen, seien 7,5 Prozent Steigerung jährlich notwendig, rechnet man in der Delegation. Der Finanzminister hat am Donnerstag gerade 3 Prozent zugestanden. Deshalb kann die Bundesregierung dem 0,7 Prozent-Ziel nur zustimmen, wenn eine Wischi-Waschi- Klausel angehängt wird: „Sobald wie möglich.“ Töpfer verteidigt die ganze Woche den Finanzminister, der im Hinblick auf die Vereinigungslasten und die Zahlungen gegen die „drohenden Destabilisierung in Mittel- und Osteuropa“ njet gesagt hat. Die anderen Europäer, die Japaner und Amerikaner hätten halt nicht die gleichen Probleme.

In der Tat: Die Amerikaner wollen sich mit solchem Firlefanz gar nicht erst belasten. Sie hätten nie eine Selbstverpflichtung über 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe abgegeben und würde sich auch in Zukunft nicht daran halten. Derzeit liegen die USA bei 0,2 Prozent des BSP. Und Michael Young, einer der US-Unterhändler, betonte am Mittwoch vor der Presse noch einmal, daß eine signifikante Steigerung nicht zu erwarten sei — jedenfalls nicht, solange sein Land weltweit so viele andere Verpflichtungen trage.

Japaner und Franzosen stellen sich ein bißchen klüger als Amerikaner und Deutsche an, aber auch sie sind unwillig, von ihrem Reichtum ein größeres Stück abzugeben. Während die japanische Delegation in Rio weiter nur kryptische Andeutungen von sich gibt, schwappen aus Tokio Berichte nach Rio, Japan wolle in den nächsten 5 Jahren 7,5 Milliarden US- Dollar für den internationalen Umweltschutz bereitstellen. Unklar bleibt dabei aber, ob es sich tatsächlich um „neue und zusätzliche Geldmittel“ handelt, oder ob ein Teil der Summe aus anderen Haushaltstiteln umgeschichtet ist.

Die Franzosen verkünden gleichzeitig eine Initiative von 3 Millionen ECU (6 Milliarden Mark), die sie aber großzügig für die EG insgesamt in Aussicht stellen und in fünf Jahren ausgeben wollen. Auch bei diesem Topf ist zunächst völlig unklar, wieviel davon „neu und frisch“ ist, und wieviel aus anderen Haushaltstöpfen umgewidmet.

Der französische Vorstoß und die Haltung der Niederländer, der Dänen und der anderen Skandinavier, die die 0,7 Prozent schon erreicht haben, macht der deutschen Delegation strategisch zu schaffen. Töpfer und Repnik setzten auch am Donnerstag abend noch auf eine gemeinsame europäische Position, in der dann das deutsche Finanzproblem durch andere ärmere EG-Länder gut abgeschirmt wäre.

Hinter der EG in Deckung

Das Ziel wurde eindeutig verfehlt. Um den Druck ein wenig zu mildern, neigt die deutsche Delegation zum Schluß einer neuen Kompromißformel zu. Danach verpflichten sich die Industrieländer zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels „bis zum Jahr 2000 oder sobald wie möglich danach“.

Um das strategische Spiel mit den Worten auch Theo Waigel in Bonn schmackhaft zu machen, drängt die Delegation noch auf eine weitere Abschwächung: Nicht nur „sobald wie möglich danach“, sondern auch noch „unter Berücksichtigung der jeweiligen internationelen Belastung verschiedener Länder“, soll die Entwicklungshilfe steigen. Hier drohen die diplomatischen Klauseln nun vollends ins Lächerliche abzurutschen. Angesichts der 500 Mrd. Dollar, die die weltwirtschaftlichen Machtverhältnisse jährlich den Süden kosten, und angesichts des Kapitalabfluß von 50 Mrd. Dollar für Zinsen und Schuldendienst, wirkt der Kampf um die 0,7 Prozent wie ein Streit um die Portokasse.

„Es ist nicht die Frage des einen oder anderen Landes,“ winkt auch der indische Minister gegenüber der taz ab. Allerdings leuchtet ihm, wie auch vielen anderen Beobachtern, nicht ein, warum die Bundesrepublik sich mit diesen läppischen Formulierungen für immer von dem 0,7 Prozent-Ziel verabschieden müsse. In der Tat lehnt die deutsche Delegation ja auch jede andere Jahreszahl nach der Jahrtausendwende ab.

Angesichts dieses Unwillens in einer zentralen strategischen Frage wirken die 780 Millionen Mark für die „Global Environmental Facilities“ und der achtstellige Schuldenerlaß, den der Kanzler angeblich im Handgepäck hat, noch mickriger als sie ohnehin sind. Peter Mucke von Terre des Hommes hatte für die entwicklungspolitischen Gruppen schon vorher die Meßlatte aufgehängt. „Das Ziel 0,7 Prozent steht seit 20 Jahren auf dem Papier. Die Bundesrepublik muß in der Lage sein, das Ziel zu erreichen.“