Serben verkünden Waffenstillstand

Bosnischer Serbenführer Karadzic will ab Montag morgen die Waffen ruhen lassen/ In Sarajevo blieb es ruhig/ Gerüchte um Verschwinden Milosevic'/ Nationalistenführer Seselj greift Taxifahrer an  ■ Aus Serbien Roland Hofwiler

Einen einseitigen Waffenstillstand der serbischen Milizen in Bosnien- Herzegowina kündigte gestern der bosnische Serbenführer Kardzic an. Ab Montagmorgen um 6 Uhr sollen die Waffen schweigen. Karadzic erklärte, er wolle die Bemühungen der UNO, den Flughafen von Sarajevo zu eröffnen, unterstützen. Er erklärte sich auch bereit, daß UNO- Truppen im Umkreis von 30 km die Stellungen serbischer Milizen übernehmen. Als Zeichen der Ernsthaftigkeit der serbischen Ankündigungen blieb es in Sarajevo am Freitag verhältnismäßig ruhig.

Immerhin könnte diese Ankündigung nicht ganz auf Sand gebaut sein. Denn immer mehr Serben sehen ein, daß die Politik der serbischen Führer das Land und auch die serbischen Minderheiten in den anderen Republiken in eine schier auswegslose Isolation gebracht hat.

Folglich verstummen auch die Gerüchte um den Rücktritt des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic nicht. Er sei schon aus Belgrad verschwunden, habe in der Provinz Zuflucht gesucht und es sei nur eine Frage von Tagen, bis er seinen Rücktritt verkünde, berichten oppositionelle Radio- und TV-Sender rund um die Uhr. Manche sprechen sogar davon, Milosevic habe sich auf Zypern zurückgezogen. Dort, auf dem griechischen Teil der Insel, wo über die Banken die gesamten auswärtigen Handelsgeschäfte Serbiens abgewickelt werden und auch das von europäischen Banken zurückgezogene serbische Auslandskapital ruht, hatte der Präsident schon vor einiger Zeit eine Villa mit Grundstück erworben. Andererseits läßt das Regime jedoch Stärke demonstrieren. Helikoper fliegen über Belgrad und an zahlreichen Ausfallstrassen wurden gepanzerte Fahrzeuge postiert, unweit des Flughafens sogar Dutzende von Panzern. Auch in den Provinzen ist die Polizei sichtbar geworden.

In Nis wurde gestern außerdem eine „Patriotische Serbische Front“ gegründet, die nach den regimetreuen Medien die „Einheit aller Serben“ stärken soll und sich zur Aufgabe setze „die fünfte Kolonie im Lande zu zerbrechen“. Was darunter zu verstehen ist, wird nicht verhehlt, „alle Agenten Deutschlands, der USA und des Vatikans“. Unter Ausschluß der Öffentlichkeit fand auch die erste konstituierende Sitzung des Parlamentes Rumpf-Jugoslawiens statt, dem aufgrund eines Wahlboykott der Opposition nur Milosevics Sozialisten und die „Radikale Partei“ des Freischärler- und Tschetnikführers Vojislav Seselj angehören. Auf dieser Sitzung sollen eigentlich die höchsten Repräsentanten des neuen Staates ernannt werden, Milosevic gilt als einziger Präsidentschaftskandidat. Doch ob er vom Parlament in diesen Tagen vereidigt wird, ist angesichts der Lage ja äußerst unklar. Die wenigen Abgeordneten, die sich bisher in der Öffentlichkeit vor dem Parlament aber zeigten, ließen aber an ihrer Entschlossenheit keinen Zweifel eine „jugoslawische Regierung“ zu bilden, die sich von den „Agenten des Auslandes“ nichts vorschreiben ließe.

Seselj, der als Innenminister auserrkoren wrude, bewies auch gleich, daß er es ernst meint, wenn er fordert, die Feinde Serbiens zu bestrafen. Vor dem jugoslawischen Parlament hatten sich am Freitag nämlich etwa tausend Demonstranten versammelt, unter ihnen viele Taxifahrer, die die Straßen blockierten, und den Rücktritt von Milosevic forderten. Seselj griff einen Taxiifahrer tätlich an. Als die Menge mit Buh-Rufen antwortete und brüllte: „Seselj, Milosevic tretet ab“, da griff der Freischärlerführer zu seiner Pistole und schoß mehrfach über den Kopf der Menge. Ein Dutzend seiner Leibwächter ballerte daraufhin ebenfalls in die Luft und riefen: „Nieder mit den Feinden des Serbentums“.