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Keine Revolution im Saal

■ Erster Abend von »Jazz across the border« im Haus der Kulturen der Welt

Eine siebzigprozentige Regenwahrscheinlichkeit hatten die Meteorologen für Freitag abend prophezeit. Da half auch der Blick in den sonnigen Himmel nichts, die Organisatoren von »Jazz across the border« hatten sich frühzeitig entschieden, die Musik im Saale stattfinden zu lassen und nicht auf der Dachterrasse. Als hätten die meisten Jazzfans dies geahnt, verloren sich vielleicht 200 Zuschauer im großen Saal. Voller wurde es erst, als das Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft zu Ende gewesen sein muß.

Mit über einstündiger Verspätung trat, als erste von drei Bands, das Andy Emler Megaoctet in Aktion. Der Pariser Kompositeur und Pianist Emler scheint seine Band nach dem Werner-Höfer-Frühschoppen-Prinzip zusammengestellt zu haben: acht Musiker aus sieben Ländern. Das Spektrum reicht vom Gitarristen Nguyen Le aus Vietnam bis zu dem dänischen Saxophonisten Simon Spang-Hanssen. Ein ideales Projekt also für ein Festival, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Grenzen zu sprengen. Diese scheinbar ethnischen Gegensätze führen aber kaum zu stilistischen Grenzüberschreitungen.

In den ruhigen Passagen tendiert der Gruppensound zum Ausfransen und sphärischen Dahingleiten. Spannend wird das Megaoctet, wenn der Rhythmus des Percussionisten Xavier Desandre aus Madagaskar trommelnd das Tempo vorantreibt, wenn plötzlich alle acht einen Scatchor anstimmen und das Publikum animieren, zu ihren Instrumentalsoli nicht bedächtig zu schweigen, sondern sich lebhaft mit der Nachbarin zu unterhalten. Da schadet es auch nicht, wenn Gitarrist Le seine manchmal penetranten E-Gitarren-Attacken recht unsanft zwischen die soft perlenden Akkorde des Pianisten wirft, als sei er Bill Frisell im Gefecht mit John Zorns Naked City.

Grenzen zu überschreiten ist keine Frage der Staatsangehörigkeit. Wenn man heutzutage das Motto Jazz across the border provozierend verstehen wollte, dann müßte man ein Festival konzipieren, bei dem Urban Dance Squad, Galliano, Massive Attack, jede Menge Jazz und HipHop-DJs auf Traditionsjazzer treffen. Das ergäbe nebenbei auch noch eine bunte Publikumsmischung. Die Bands, die bei Jazz across the border an den »stilistischen Grenzzäunen rütteln« (Programmheft) sollen, tun dies am ersten Abend nur in einem eng bemessenen Rahmen. Das Konzept der Konzertreihe bezieht zwar außereuropäische Kulturen ein (Koraspieler Toumani Diabate aus Mali tritt nach neuesten Meldungen übrigens doch auf), wagt sich aber nicht an Tendenzen zum Radikal-Crossover. In Moers spielte Pfingsten immerhin MC 900 Ft Jesus.

Die zweite Band des Abends im Haus der Kulturen, BakaMutz, versucht die Grenzüberschreitung mit einer gesunden Portion Humor. Schlagzeuger Mauro Gnecchi ist Kaspar Mütze (BakaMutz). Er darf den Saxophonisten Theo Nabicht beim Solo auf zwei Instrumenten die Stirn abtrocknen, die Notenblätter klauen und mit Rasseln werfen. Der Italiener trommelt aber auch nebenbei ganz phantastisch. Bei dem Titel Green Rain hört man die Regentropfen auf Deckel und rostige Töpfe klopfen. Gencchi ist ein Meister des leisen Tons, des zart gedämpften Trommelanschlags. Einmal schlägt er auch einfach in die Luft, und man hört, was man nicht hört: sein Trommeln. BakaMutz sind gern albern, aber sie sind gut und selbstbewußt genug, sich dies leisten zu können.

Die Dritte im Bunde dieses Konzertabends, die Pianistin Geri Allen, vermag mit ihrem Quartett die hochgesteckten Erwartungen nicht zu erfüllen. Ihr angeblich »afrikanisiertes« Piano klang sauber und exakt wie von CD, blutleer. Ein cleaner, fast aseptischer Geruch hing über der Darbietung des Quartetts aus New York. Trompeter Graham Haynes könnte gut den jungen Wynton Marsalis mimen, sollte dessen Leben einmal verfilmt werden. In ihrer Korrektheit brach Gerri Allen einen Titel abrupt ab, um ihn fast identisch mit der Band noch einmal zu beginnen, als handele es sich nicht um ein Konzert, sondern um Plattenaufnahmen. Hübsche Musik, handwerklich perfekt, kein falscher Ton, Jazz als Schlafmittel. Die Hände ermüdet, brachte das Publikum keine erfolgreiche Zugabenforderung zustande.

Nach meiner Prognose wird am nächsten Konzertfreitag mit siebzigprozentiger Wahrscheinlichkeit alles besser und die Sonne scheinen. Andreas Becker

Freitag, 19.6., 18 Uhr: Garcia Fons/ Riessler/ Matinier (Paris); Association Urbanetique & Friends (Berlin); Joey Barons Baron Down (New York)

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