Herbert und die fliegenden Teller

■ Fliegende Untertassen im Volkspark Rehberge/ Invasion der Plastikteller beim »Internationalen Frisbee Golf Turnier«/ Weddinger überwinden ihre Scheu und werfen die Dinger zurück

Volkspark Rehberge. Die Weddinger sind ja einiges gewohnt. Etliche haben noch die schweren Zeiten der Luftbrücke mitgemacht, als der Himmel vom Dröhnen der Flugzeuge vibrierte. Mit dem lebhaften Flugverkehr von Tegel sind mittlerweile alle vertraut. Die Invasion der Frisbees war aber noch einmal eine echte Bewährungsprobe.

Herbert F. (37) traf jedenfalls fast der Schlag, als er am Samstag durch den Volkspark Rehberge wanderte. Er hatte seinen Kumpel im Unterholz verloren, als der Nachschub am Kiosk holen wollte, und schlingerte gutgelaunt heimwärts. Plötzlich senkte sich diese Scheibe vom Himmel. Lautlos schwirrte sie über ihn hinweg, beschrieb einen Bogen und landete vor seinen Füßen. Wäre er nicht schon völlig besoffen gewesen, Herbert hätte für nichts garantieren können. Wegtreten, niedermachen, war naturgemäß sein erster Gedanke. Aber dann ermannte er sich und trat näher.

In der Ferne gewahrte er einige buntgekleidete Gestalten, die aufgeregt mit den Händen fuchtelten, als wollten sie ihm etwas mitteilen. Vermutlich amerikanische Touristen, die vom Wege abgekommen waren. Aber da hatte Herbert die Scheibe schon gegriffen und mit herzhaftem Schwung von sich geschleudert. Dachte sich nichts weiter dabei. Viele Familienväter taten ihm nach, manch resolute Rentnerin entsorgte die herrenlose Scheibe im nächsten Mülleimer. Haltet die Rehberge sauber! Unheimlich wurde Herbert die Sache erst, als die Leutchen in ihren abgefahrenen Klamotten direkt auf ihn zugeschleudert kamen und ihm ein bedrucktes Papier in die Hände drückten. Missionierende Sektenmitglieder? Abgesandte der Plastiktellerfraktion? Nein, sie seien Frisbeespieler, das heißt Golfspieler mit Frisbeescheiben, ward ihm beschieden. Und er habe soeben die 6. Berlin Open empfindlich gestört. Herbert zuckte zusammen. Dann wurden ihm die Zusammenhänge klar, um gleich darauf wieder einzutrüben. Auf einer Art Golfparcours mühten sich mehrere Gruppen mit ihren Scheiben ab. Jeder Spieler trug an die zwanzig Scheiben im sportiven Neon-Köfferchen bei sich. Statt der Löcher zum Einputten waren hier und dort Körbe montiert. Traf ein Frisbee endlich hinein, so freuten sich die bunten Leute mit spitzen Ausrufen wie »Yeah!« und »Superbirdie!« Überhaupt sprachen sie, ihrer Kleidung gemäß, gern amerikanisch.

Schon jetzt hätte Herbert dringend einen Schluck Muskateller nötig gehabt. Um so mehr aber, als er herausfand, daß hier eine besessene Minderheit zugange war, die einem weltweit nahezu unbekannten Sport frönte. 500 Spieler haben sich ernsthaft für diese Variante der Leibesertüchtigung entschieden, 80 sind es in unserem Land, die fleißig trainieren, Sponsoren suchen und dem Frisbeegolf vor anderen Lebensfreuden den Vorzug geben. Tragen sie nicht mutierte Basketballschuhe, so sind es echte Golftreter. Gehen sie nicht ihrer eigentümlichen Beschäftigung nach, so begeistern sich sich für Skateboards, Mountainbikes und Snowboards. Die Nase immer im Wind des allerneuesten Trends. »Wir machen gute Sachen, anspruchsvolle, aber das ganz locker«, lautete ihr entspanntes Credo, das von einem positiven Lächeln verstärkt wurde. Herbert brachte nur ein schiefes Grinsen zustande. Wo blieb Orje mit dem Nachschub?

Die Frisbeegolfer wandten sich derweil völlig entspannt dem nächsten Par zu. Aufflackernde Windböen strähnten ihr blondes Haar und scheuchten die Frisbees in entlegene Büsche. Andere rollten Weddinger Sonnenanbetern zu, die sich über das Geschenk des Himmels still freuten und die Scheibe erst nach einigem Palaver mit den Missionaren wieder rausrückten. »Ist halt Wedding, nicht Dahlem«, seufzten die Sportler nur zu oft. Herbert aber sah zu, daß er vom Acker kam. Wer aber lag auf der Couch in der Togostraße, die leeren Flaschen malerisch um sich gruppiert? Orje. Und der ganze Hinterhof hallte wider von seinem Gelächter, als Herbert ihm von den fliegenden Tellern in Rehberge berichtete. Olga O'Groschen