Ab dafür!

■ Blau-Weiß 90 versinkt im Chaos/ Keiner weiß nix mehr, das Geld ist weg, und niemand ist's gewesen

Mariendorf. »Haben wir überhaupt noch eine Überlebenschance?« war wohl die Frage, die auf der Mitgliederversammlung von Blau-Weiß 90 jeden der 70 Erschienenen bewegte, aber ausgerechnet darauf blieb man eine Antwort schuldig.

Das Rumpfpräsidium um den Vizepräsidenten und Hauptsponsoren Hans Maringer erging sich in persönlichen Rückschauen und Angriffen auf Nichtanwesende, als habe man den Ernst der Situation nicht begriffen. Blau-Weiß ist nämlich so gut wie pleite, mindestens drei Millionen Mark fehlen.

Dabei sind die Hauptakteure durchweg Menschen, von denen man gemeinhin annehmen muß, daß sie mit Geld umgehen können. Der (zurückgetretene) Präsident Thomas Hünerberg ist Bankdirektor, der Vize Maringer Großunternehmer in Nürnberg. Und doch ging schief, was nur eben schiefgehen konnte.

Während der Kassenprüfer heute noch versucht, den oder die Aussteller von Blankoquittungen über beispielsweise 50.000 DM zu finden, andere Verträge dafür jedoch Unterschriften von Personen tragen, die dazu überhaupt nicht berechtigt waren, führte Transferverhandlungen für den Verein ein (selbstverständlich nicht legitimierter) Schreiber von der 'Bild‘- Zeitung (der heute im Antiquitätenhandel tätig ist). Manager Peter Stubbe, dem in diesem Zusammenhang die Hauptvorwürfe der Blau- Weiß-Führung gelten, hat sich allerdings schon Ende 1991 in die Schweiz abgesetzt. Auch zur Gerichtsverhandlung, bei der es um einen 400.000-DM-Scheck ging, den ihm Sat.1 angeblich zwecks Sponsoring überreicht hat und von dem die Privatfernsehler heute behaupten, er sei bloß als Darlehen gedacht gewesen, erschien er nicht mehr.

Dabei sah es in den ersten fünf Jahren der Ära Maringer gut aus für den Verein: Man konnte Transfergewinne in Höhe von 4 Millionen DM verbuchen, Geld, das allerdings dem Sponsoren und Vizepräsidenten zugestanden hätte. Denn um seine Einlagen in Höhe von ebenfalls 4 Millionen DM abzusichern, stehen ihm solche Erlöse vertragsgemäß zu. Insgesamt hat er, nach seinen Angaben, in dieser Saison erstmals 850.000 DM zurückerhalten, was prompt den DFB auf den Plan rief. Denn die blau- weiße Lizenz für die vorige Saison wurde nur nach der Versicherung des damaligen Präsidenten Hünerberg und des Schatzmeisters Reuber, Maringer habe überhaupt keine Forderungen mehr an den Verein, erteilt. So bekam man vom DFB vor zwei Monaten vorgehalten, eine völlig falsche Bilanz vorgelegt zu haben. Und in der vorigen Woche, nach Ausschöpfung aller Rechtswege, die Lizenz nicht mehr zurück. Finanziell am Ende, ist man zusätzlich noch mit fünf Spielern belastet, die man, wenn überhaupt, nur für lächerliche Summen verkaufen konnte. »Wer die denn dann überhaupt verpflichtet habe?« wollte man von Maringer, immerhin auch sportlicher Direktor und daher für Spielerverpflichtungen zuständig, wissen. Er habe die Verträge nicht unterschrieben, kam es ziemlich kleinlaut von dem in sich zusammengesunkenen älteren Herrn. »Ich dachte, Sie hätten die Kompetenz?« ließ der Frager nicht locker und bekam die resignierte Antwort: »Das dachte ich auch!«

Aber dann war man das Hickhack um die Vergangenheit leid und wollte Genaues hören. Würde man Konkurs anmelden müssen? Schatzmeister Reuber offenbarte Unglaubliches. Geplant sei, sich mit den Gläubigern zu vergleichen, aber da müsse man sich erst mal erkundigen, wie so was überhaupt geht. Und als Kassenprüfer Horst Hensch erklären mußte, es gebe keinen Bericht, weil man den Herrn Reuber schon seit Wochen nicht telefonisch erreichen könne, da war die Provinzposse perfekt. Kein Bericht heißt nämlich auch, daß man über die Schuldenhöhe rein gar nichts weiß und daher an diesem Abend schlicht nichts entscheiden konnte. In zehn Tagen wird man sich erneut treffen. Den anderen Sportarten im Verein hilft das allerdings nicht weiter. Die Handballer, finanziell bisher vom Verein unabhängig, können nicht einmal die Gebühren für die Anmeldung zur nächsten Saison bezahlen. Ihre Konten sind nämlich auch gesperrt.

Sechs Mitglieder des einzigen noch existierenden Blau-Weiß- Fußball-Fanclubs verstanden am Ende die Welt nicht mehr: »Die Herren müßten sich doch eigentlich was überlegt haben, für den Fall, daß wir die Lizenz nicht bekommen. Sogar wir haben ja nicht damit gerechnet!« und kamen zu einem bitterbösen Schluß: »Die wollen das Ding hier auflösen, das Restgeld rausziehen, und dann sind die auch weg. Und wir, wir stehen dann da!« Elke Wittich