piwik no script img

Der deutsche Botschafter blieb stumm

5.000 Menschen trauerten um die 340 Opfer des tschechischen Dorfes Lidice, die vor 50 Jahren von den deutschen Besatzern ermordet wurden/ Vaclav Havel rief zur Toleranz auf/ Immerhin fand ein deutscher Priester die richtigen Worte  ■ Aus Lidice Ursula Wöll

Über 5.000 Menschen waren es, die am Samstag nach Lidice gekommen waren. Einer Prozession gleich schritten sie durch die lange Lindenallee des neuen Lidice hinab in eine weite, grasbewachsene Talsenke. Dort war das alte Lidice gelegen, bis der Ort und seine BewohnerInnen vor 50 Jahren der Rache der deutschen Besatzer zum Opfer fielen. Lidice mußte wegen eines erfolgreichen Attentats auf den Reichsprotektor Reinhard Heydrich, das am 27. Mai 1942 verübt wurde, büßen. Mit Akribie und perfekt koordiniert machten Gestapo, Sicherheitsdienst, Schutzpolizei und Wehrmacht den Ort in dreiwöchiger „Arbeit“ dem Erdboden gleich. Sie transportierten die Frauen ins KZ Ravensbrück, wo 60 von ihnen starben, und sie brachten 82 Kinder im Vernichtungslager Chelmo um. Die 192 Männer des Ortes wurden an Ort und Stelle erschossen. Damit nicht genug, auch der kleine Ort Lezáky wurde zerstört und 1.357 Tschechen aus anderen Landesteilen in der folgenden Woche erschossen. Nur 160 EinwohnerInnen von Lidice überlebten.

Die Gedenkzeremonie fand vor dem riesigen Holzkreuz über dem Massengrab der Lidicer Männer statt. Gekommen war nicht nur Präsident Vaclav Havel, sondern auch der Bürgermeister von Warschau, das Hunderttausende Naziopfer zu beklagen hat. Gekommen waren auch der Ex-Bürgermeister des italienischen Marzabotto und der Bürgermeister des französischen Oradour. In Marzabotto ermordete die SS 1.830 Menschen, in Oradour mußten 642 EinwohnerInnen sterben, und zwar genau zwei Jahre nach Lidice. Die Liste ähnlicher SS-Massaker an der Zivilbevölkerung ist lang; auf ihr stehen auch Boves und Stazzema in Italien, Putten in Holland, Kragujevac in Serbien, Kalavytra in Griechenland und Hunderte von Dörfern in Osteuropa, die für uns namenslos geblieben sind. Das Erinnern an all diese Greuel solle nicht nur die Opfer ehren, sondern zu einer moralischen Kraft werden, betonte Havel in seiner kurzen Rede.

Am 10.Juni 1942 meldete der Nachfolger Heydrichs als Reichsprotektor für Böhmen und Mähren, Daluege, den Vollzug des am Vortag erhaltenen telefonischen Auftrags: „Die gesamte 483 Köpfe zählende Bevölkerung des Dorfes Liditz wurde... ausgemerzt... und der Name der Gemeinde ist ausgelöscht worden.“ Die Nazis täuschten sich, denn bald tauften sich Gemeinden in den USA, Mexiko, Panama und Brasilien, in die tschechische Bürger ausgewandert waren, in Lidice um. In England entstand die Kampagne „Lidice shall live“. Sie begann in dem von deutschen Bomben zerstörten Coventry und in der Bergarbeiterstadt Stoke-on-Trent, denn auch die Lidicer Männer waren Bergarbeiter oder Hüttenwerker im nahen Kladno gewesen. Eine dauerhafte Solidarität, denn am Samstag waren nicht nur drei Abgeordnete des Unterhauses und der englische Botschafter, sondern auch 20 Bürger von Stoke-on-Trent nach Lidice gekommen. Vom Ergebis ihrer Sammelaktion wird die von den Abgasen der Poldi-Werke geplagte Gemeinde 6.000 Bäume pflanzen und diese Zahl noch mit der Spende einer dänischen Gemeinde aufstocken können.

Auch der deutsche Botschafter in Prag, Dr.Huber, war anwesend. Er legte einen Kranz nieder, der zwar zwei schwarzrotgoldene Schleifen aufwies, von denen aber nur die rechte beschriftet war: „Der Präsident der Bundesrepublik“. Dagegen hatte die Bremer Lidice-Initiative ihren Kranz mit „Niemals darf geschehen, was in Lidice geschah“ beschriftet. Sie war ihm Rahmen eines Bildungsurlaubs mit 35 Deutschen auf der Feier erschienen und erwartet noch diesen Sommer 15 Jugendliche aus Lidice in Bremen. Für das Land Brandenburg, in dem das KZ Ravensbrück lag, schickte Ministerpräsident Stolpe einen Kranz. Das war's dann aber auch schon so ziemlich, was aus dem Land der Täter kam. Der Botschafter aus Bonn blieb im Gegensatz zum englischen Botschafter bis zum Ende stumm wie ein Fisch. Eine recht originelle Art, den jungen Nachbarschaftsvertrag mit Leben zu erfüllen. Leider konnte auch auf der zum 20. Mal stattfindenden Internationalen Ausstellung von Kinderzeichnungen und -keramik kein deutsches Werk gesichtet werden, obwohl Kinder aus 51 Ländern vertreten waren. Der deutsche Priester einer ökumenischen Gruppe fand deshalb ganz besondere Beachtung. Er hatte auf der abschließenden Messe, die von Hussiten, Katholiken und Orthodoxen gemeinsam zelebriert wurde, betont, daß er an dem Ort, an dem vor 50 Jahren deutsche Flüche hallten, in derselben Sprache um Vergebung bitte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen