PORTRAIT: Meßlöffel für Gewissen
■ Unmilitärische Ehre für den „Darmstädter Signaler“ und kritischen Bundeswehrmajor Helmut Prieß
Bonn (taz) — Wieviel Gewissen darf sich ein Bundeswehrsoldat erlauben? Die Menge ist meßbar geworden, seit das Frankfurter Landgericht vor zweieinhalb Jahren sein „Soldatenurteil“ sprach. Demnach ist der Satz, daß „Soldaten potentielle Mörder sind“, keine Beleidigung und keine Volksverhetzung, sondern steht unter dem Schutz der Meinungsfreiheit. Die endet allerdings bei Uniformträgern. Weil sich eine Gruppe des Soldatenarbeitskreises „Darmstädter Signal“ angesichts der Möglichkeit „massenhaften unterschiedslosen Tötens“ im Atomwaffenzeitalter den Satz zu eigen machte, werden einzelne Unterzeichner dieser Erklärung seither wehrgerichtlich verfolgt. Major Helmut Prieß, 52, den Sprecher der „Signaler“, traf es am härtesten. Im vergangenen Dezember wurde er vom Truppendienstgericht Koblenz um zwei Stufen degradiert, zum Oberleutnant.
Jetzt brachte seine unbeugsam- kritische Haltung dem Major mit der verlorenen Offiziersehre eine andere Ehre ein: Gestern erhielt Prieß in Bonn von der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) die „Clara-Immerwahr-Auszeichnung“, wohl die einzige öffentliche Anerkennung für Gewissensbetätiger im Berufsalltag. Der Preis erinnert an die Chemikerin Clara Immerwahr, die sich im Ersten Weltkrieg das Leben nahm, nachdem sie ihren Mann, den Giftgas-Erfinder Fritz Haber, nicht davon abhalten konnte, das Massenvernichtungsmittel an der Front einzusetzen.
Helmut Prieß ist ein Berufssoldat, der die defensive Zweckbestimmung der Bundeswehr tief verinnerlicht hat. Seit den siebziger Jahren wendet er sich gegen jede offene oder schleichende „Verschiebung des Wehrauftrags“: die Nato-Strategie mit dem möglichen Ersteinsatz von Atomwaffen, neuerdings die geplante Bundeswehr-Beteiligung an „Out-of-area“-Einsätzen, die Rückendeckung für den Golfkrieg, für Menschenrechtsverletzungen des Nato-Partners Türkei. Weil er darüber nicht nur so denkt, sondern auch redet, blieb er schon bald in der Laufbahn hängen, wurde auf einen „unschädlichen“ Posten beim Heeresamt Köln strafversetzt. Trotzig widersetzt er sich aber allen Versuchen der Bundeswehr, ihn loszuwerden. Den „goldenen Handshake“ — das Angebot des vorzeitigen Ruhestands— schlug er aus, obwohl ihn seine Degradierung, wenn sie rechtskräftig wird, in den nächsten 20 Jahren rund 400.000 Mark an Bezügen kosten kann.
Dafür leistet Prieß sich die Idee, daß auch Soldaten dazu beitragen sollten, Militär überflüssig zu machen. Kein identitätsbedrohender Gedanke für einen mit solider ziviler Verankerung: Er meldet sich in der Kirche zu Wort, er ist Ratsmitglied in seiner Heimatgemeinde, ein engagierter Mann. Doch beim Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ liegt die Betonung im Verteidigungsministerium offenbar auf „Uniform“. Das Disziplinarverfahren gegen Prieß wurde gegen den Standpunkt des heeresamtlichen Rechtsberaters „gemäß Weisung des Bundesministers“ (Stoltenberg) von ganz oben befohlen. Nichts deutet darauf hin, daß sich da unter Volker Rühe etwas geändert hat. Ein IPPNW-Schreiben an den neuen Verteidigungsminister mit der Aufforderung, die Anklage gegen Prieß fallenzulassen, blieb bisher unbeantwortet. Ulrike Pfeil
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen