Wenn der Wessi und der Ossi...

■ Puppenspiel für Erwachsene — Schauspielstudenten zeigen ihre Abschlußarbeit

Die leeren Stühle im Zuschauerraum der Puppenbühne in der Greifswalder Straße deuten darauf hin, daß die fünf Absolventen der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«, Fachrichtung Puppentheater, mageren Zeiten entgegengehen. Dabei haben sich die drei Frauen und zwei Männer mit ihrem Regisseur H. Jochen Menzel viel Mühe gegeben, ein aktuelles Stück auf die Beine zu stellen.

Die ersten beiden von zehn Bildern sind schrille, treffende Beobachtungen der Wehleidigkeit und Ignoranz, mit der zwei Kulturen zu kämpfen haben, die nach jahrzehntelanger Zerrissenheit wiedervereinigt werden. Marita Bachmaier (Ausstattung) hat die jüngste deutsch-deutsche Geschichte in ein karg möbliertes Krankenzimmer eines Sanatoriums verlegt: Fünf Patienten, allesamt stark ramponiert, hoffen auf Heilung. Sie jammern um die Wette, betteln um Spritzen und Salben, aber niemand ist da, der ihre Schmerzen lindern könnte.

Das Hadern mit dem eigenen Schicksal hört erst auf, als ein neuer Zeitvertreib gefunden ist. Sobald ein Patient das Zimmer verläßt, wird er von den Leidensgenossen denunziert. Da kommen häßliche Zankereien auf den Tisch, genüßlich hält der Mob Gericht über den Abwesenden. Dann wieder Forderungen, im kindlichen Trotzton vorgetragen: »Wo sind denn die hübschen Schwestern? Ich will endlich leben, verdammt noch mal!« Doch langsam reift bei den Patienten die Erkenntnis, daß sie nicht gesunden, wenn sie sich gegenseitig niedermachen.

»Können Sie sich vielleicht mit dem Gedanken anfreunden, daß wir hier unerwünscht sind?« dämmert es einem Kranken. »Wissen Sie, ich habe einmal ein Buch gelesen, da haben sie sich gegenseitig aufgegessen!« Zur Besinnung bleibt nicht viel Zeit, denn auf einmal sind fünf Wessis in dem Sanatorium, die das heruntergekommene Inventar mit einer Mischung aus Ekel und Staunen begutachten. »Ist das herrlich! Wahnsinn! Poohhh!« kreischen die schnieken Schnösel. »Das ist ja alles ssehr interessant!« Schuld an dem ganzen Schlamassel haben die Russen, da hat jeder Wessi seine speziellen TV- Erfahrungen gemacht: »Die Russen haben alle Straßen mit Sonnenblumenkernen vollgespuckt — das sah vielleicht aus!«

Die Vorurteile werden noch dreister: die Wessis halten die Ossis für Russen, die Ossis die Wessis für Besatzer, die mit Panzern einmarschiert sind. Bis zu diesem Punkt ist die Geschichte Das Herz in der Mördergrube sehr zielstrebig aufgebaut. Die Figuren sind placiert, die Dramaturgie ließe ein temporeiches Spiel zu. Statt dessen wird nun ein Müsli aus Gedankensprengseln angeboten, kurze, zusammenhanglose Szenen, die das große Welttheater zeigen wollen und in ihrer Unverbindlichkeit nichts aussagen. Nicht mehr das Schicksal der einzelnen Personen wird dramatisiert, sondern das der Welt als solcher — und das geht selten gut aus.

»Die Philosophen haben die Welt verschieden interpretiert, aber es kommt darauf an, sie zu verändern!« wird rezitiert, zwei Seeleute schauen in aller Ruhe zu, wie die Titanic brennend versinkt, und ein Ehepaar bestellt sich auf der Samenbank ein Monster; Arzt: »Sie können bis zu acht Eigenschaften kombinieren!« — Mutter in spe: »Können Se nich' 'n bißchen Rocky reintun, es soll sich ja mal wehren können!«

Schade, schade, daß sich die Autoren nicht darauf einigen konnten, den originellen Ansatz weiterzuentwickeln. Es lohnt sich dennoch, das Stück zu sehen. Das handwerkliche Können der PuppenspielerInnen ist beeindruckend. Bis zu acht Figuren agieren auf der kleinen Bühne, die dem großen Theater einige Vorteile abtrotzt: das Spiel ist übersichtlicher, das Tempo variabler. H. Jochen Menzel und Frank Kwiatkowski (Beleuchtung) haben sich einiges einfallen lassen, um den Zuschauer immer wieder zu überraschen. Das Herz in der Mördergrube ist ein Puppenspiel für Erwachsene, ein Genre, dessen Möglichkeiten längst noch nicht ausgereizt sind. Werner

Weitere Aufführungen: 19., 20., 21.6., 21 Uhr im »Theater O.N.«, Knaackstraße, Kollwitzplatz.