INTERVIEW
: »Auch in Berlin gibt es das Recht auf Wohnung«

■ Der Verfassungsrechtler und CDU-Abgeordnete Klaus Finkelnburg zu Befürchtungen in seiner Partei, mit der brandenburgischen Verfassung werde die Vereinigung der Länder Berlin und Brandenburg erschwert

taz: Die Bürger Brandenburgs haben am Sonntag mit großer Mehrheit für ihre neue Landesverfassung gestimmt. Teilen Sie die Befürchtung in der Berliner CDU, damit werde die Vereinigung der beiden Länder Berlin und Brandenburg erschwert?

Finkelnburg: Nein, ich kann dem nicht zustimmen. Die beiden Verfassungen unterscheiden sich im Grundrechtsteil, der ja sehr umstritten war, sehr viel weniger, als Kritiker meinen. So gibt es auch in Berlin ein Grundrecht auf Wohnung und ein Grundrecht auf Arbeit. Wenn es zu einer Vereinigung der beiden Länder kommt, dann geht es ohnehin nicht darum, aus zwei Verfassungen eine zu machen, sondern es muß dann eine völlig neue Verfassung geschaffen werden. Die vorhandenen Verfassungen könnten dafür allenfalls Anregungen und Anstöße sein. Letztlich muß eine verfassungsgebende Versammlung eine völlig neue Verfassung erarbeiten.

Aber hinter den geltenden Verfassungsstandard werden die beiden Partner dann kaum zurückfallen können.

Man kann schon. Man kann etwas völlig anderes machen. Bis der Zusammenschluß direkt vor der Tür steht, haben wir mit Sicherheit die vom Einigungsvertrag verlangte Überarbeitung des Grundgesetzes. Das muß dann alles eingearbeitet werden. Außerdem sind auch wir im Augenblick dabei, die Berliner Verfassung zu überarbeiten.

Die Befürchtung Ihrer Parteifreunde ist damit gegenstandslos?

Ich halte die für nicht gerechtfertigt.

Gilt das auch für die formulierten Staatsziele?

Die Formulierung von Staatszielen zeigt zum einen, daß man nicht zuviel von solchen Staatszielen erwarten kann. In einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung verfügt der Staat nicht über die Arbeitsplätze — anders als in der DDR. Deswegen kann er auch nicht jedem Bürger einen Arbeitsplatz aus seiner eigenen Kraft heraus geben. Wenn der Staat nicht über die Wohnungen verfügt, kann er auch nicht jedem Bürger eine geben. Deswegen sind solche Staatszielbestimmungen nichts anderes als die Formulierung von Bemühungen.

Die Brandenburger Verfassung verleiht in einem hohen Maße den Sorgen und Kümmernissen und Befindlichkeiten der Brandenburger Bürger Ausdruck. Das muß ja nicht gelten für Bürger in einem gestandenen alten Bundesland. Insofern kann man die Verfassung nicht losgelöst von den Zeitumständen sehen, in der sie entstanden ist.

Auf die Sorgen der Bürger einzugehen ist ja nicht falsch. Das gälte doch auch für eine Berliner Verfassung.

Das ist sehr problematisch. In Brandenburg ist es eine Sondersituation. Aber eine Verfassung macht man für Generationen. Deswegen muß man sehr zurückhaltend damit sein, Politikziele zu formulieren. Denn was heute ein sehr erstrebenswertes Ziel ist, das muß es in dreißig Jahren nicht sein. Das Grundgesetz war außerordentlich gut beraten, daß es keine Politikziele außer dem des Sozialstaates und des Rechtsstaates formuliert hat. Es läßt die Wirtschaftsform offen: es wäre eine Marktwirtschaft wie eine Planwirtschaft möglich. Wir dürfen deswegen nicht alles für die Zukunft festlegen.

Sie widersprechen dem brandenburgischen CDU-Landesvorsitzenden Ulf Fink, der angekündigt hat, gegen die Verfassung zu klagen.

Herr Fink hat eine Reihe von Punkten aufgezählt, die in der brandenburgischen Verfassung gegen das Grundgesetz verstoßen. Das sehe ich genauso. Nur bin ich der Meinung, daß diese Mängel nicht so gewichtig sind, daß man die ganze Verfassung ablehnen muß. Die Verfassung gibt allen etwas, keinem alles und ist so, daß sie ein tragfähiger Kompromiß für alle politischen Kräfte ist.

Ich sage, trotz dieser Mängel kann man sie annehmen, und Fink sagt, wegen dieser Mängel muß man sie ablehnen. Ich glaube nicht, daß eine Klage bis vor das Bundesverfassungsgericht kommt. Wenn sie aber dorthin kommt, dann wird der eine oder andere Punkt beanstandet, aber die Verfassung insgesamt wird auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben. Das Gespräch führte Gerd Nowakowski