DEBATTE: Kompromißformeln reichen nicht
■ Weshalb der Gipfel von Rio eine vertane Chance ist
Der Gipfel von Rio war das größte diplomatische Spektakel unserer Zeitrechnung. Diplomatie in ihrer gelungenen Form dient dem gepflegten Ausgleich von Interessen, die Berichterstattung der Information von Bürgerinnen und Bürgern. Schon der zweite Blick auf das Spektakel von Rio läßt aber Zweifel aufkommen, ob Diplomatie in Rio wirksam werden konnte und ob die 8.500 Journalistinnen und Journalisten die Menschen wirklich informierten.
Die Konferenz von Rio hieß Konferenz für Umwelt und Entwicklung. Programmatisch lag ihr die Vorstellung zugrunde, daß Entwicklung und Schutz der globalen Umwelt sich gegenseitig stützen könnten. Armut vor allem in den Ländern der sogenannten dritten Welt, so die Grundannahme, gehe mit Umweltzerstörung einher, Armutsbekämpfung sei daher nicht nur ethisch geboten, sondern komme auch zwangsläufig der Umwelt zugute. Der Konsum in den Industrieländern belaste die Umwelt über die natürlichen Grenzen hinaus, Umweltpolitik sollte ihn bändigen. Gegen dieses neue Paradigma der nachhaltigen Entwicklung für alle stand der alte Glauben an immer weiteres Wirtschaftswachstum, standen die mächtigen etablierten Interessen von Industrien und mit diesen verbündeten staatlichen Eliten. Personifiziert hat das alte Bündnis in Rio US- Präsident George Bush. Sein Credo: „Heute erkennen wir, daß Wachstum der Motor des Wandels ist und der Freund der Umwelt.“
Umwelt und Entwicklung hatten in Rio keine Lobby
Beide Seiten müßten, so will es die Vorstellung von Diplomatie, an einem Tisch sitzen und versuchen, zu einem Interessenausgleich zu kommen. Saßen sie aber nicht. Die Diplomaten und Diplomatinnen in Rio vertraten nicht in erster Linie unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft dieses Globus, sie vertraten in erster Linie die Interessen jenes Landes, das ihr Flugticket nach Rio bezahlt hatte. Für ihr Land versuchten sie, möglichst viel davon in den entstehenden Kompromiß hinüberzuretten. Das Streben nach möglichst breitem Konsens oder gar nach Einstimmigkeit warf die Kontrahenten immer wieder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurück. Mit anderen Worten, es gab keinen politisch wirksamen Widerpart für Bush. Umweltschutz und Entwicklung waren zwar das Thema der Konferenz, doch hatten sie in Rio keine Lobby. Darüber können auch die emphatischen Reden von UN-Generalsekretär Boutros Ghali und UNCED-Chef Maurice Strong nicht hinwegtäuschen.
Diesem Grundfehler hätte auf der Konferenz nur abgeholfen werden können, wenn sich einzelne Länder die Ziele von globalem Umweltschutz und Entwicklung zu eigen gemacht hätten. Staaten hätten als Sprachrohr der Idee des globalen Umweltschutzes und der Entwicklung auftreten müssen. Daß es dazu nicht kommen würde, war schon im Vorfeld der Konferenz abzusehen, die mageren Ergebnisse also vorprogrammiert.
Die Bundesrepublik zum Beispiel setzte sich im Vorfeld und auf der Konferenz selbst für eine Umweltpolitik ein, die inhaltlich weit hinter Bonner Kabinettsbeschlüssen zurückblieb. In der Frage der Hilfe zur Entwicklung befand sich die Bundesrepublik sogar auf dem Rückzug. In seiner Rede in Rio machte der Bundeskanzler klar: Erst kommen die neuen Bundesbürger, dann kommt Osteuropa und dann die Hilfe für die sogenannte dritte Welt. Besser wäre wohl, die vergessene Welt. Der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt, derzeit 0,36 Prozent, wird jedenfalls in den kommenden Jahren weiter fallen.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Die Diplomatinnen und Diplomaten haben in Rio gute handwerkliche Arbeit gemacht. Sie haben Kompromißformeln gefunden, die schließlich die beteiligten Verhandlungspartner unterschreiben konnten. Sie werden mit einem guten Gefühl ihre Arbeit als Erfolg zu verkaufen trachten, und das ist nicht einmal verlogen. Aber die Verhandlungspartner waren eben Staaten und nicht Organisationen, die sich primär dem Umweltschutz und der Entwicklung verschrieben haben. Die Diplomaten und Diplomatinnen in Rio haben mit ihren Kompromißklauseln ein Abbild der heutigen Interessenlage geschaffen, aber nicht einen Entwurf für die Zukunft.
Zwei Beispiele mögen dies erhellen: Die Industrieländer peilten während der gesamten Vorbereitung zur UNCED eine Wälderkonvention an. Die scheiterte schließlich am Widerstand des Südens. Die Diplomaten versuchten zu retten, was noch zu retten war. Das Ergebnis war eine Erklärung zu den Prinzipien der Waldwirtschaft. Für die nördlichen Staaten bedeutete dies vor allem, daß die Tür zur Wälderkonvention nicht zu ist. Das war sie aber vor den Verhandlungen auch nicht. Zwei Jahre Gespräche und dann wieder zurück auf Feld 1.
Was die Agenda 21 betrifft, die geplante Blaupause zur ökologischen Entwicklung der Erde, rangen die Diplomatinnen und Diplomaten bis zuletzt um den kleinsten gemeinsamen Nenner mit dem Ergebnis, daß dieses 800-Seiten-Werk ziemlich wischi-waschi geraten ist. Ein Beispiel: konventionelles Denken diktiert, daß der Süden möglichst schnell mit sauberen nördlichen Technologien aufgerüstet werden muß, um sauberer viel produzieren zu können. Geht man einmal von der Prämisse aus, daß dieser Technologietransfer der Stein der Weisen ist, müßte es das Ziel einer solchen Konferenz sein, ihn zu verbessern. Folgerichtig forderten die Staaten des Südens einen „gesicherten Zugang“ zu den Technologien. Den wiederum wollte der Norden nicht gewähren, schließlich seien die Technologien Privateigentum und man könne auf der Konferenz nicht über sie verfügen. Anbieten könne man nur den guten Willen: Nördlichen Unternehmen sollen Anreize zum Technologietransfer nach Süden geboten werden. Steuergelder für die Konzerne statt für den Süden — die diplomatische Formel lautet: „Einen verbesserten Zugang zu den Technologien fördern“.
Offenbar ist die UNO mit ihren staatlichen Akteuren und ihrem in der Struktur angelegten Streben nach Einstimmigkeit nicht das richtige Forum für die internationale Umweltpolitik.
Statt um den Entwicklungsweg wurde um das Geld gestritten
Der Streit ums Geld statt um den Entwicklungsweg wurde, wie denn auch zu erwarten war, zum zentralen Thema des Gipfels in Rio. Für den Streit ums Geld saßen die Antagonisten ja am Tisch: die nördlichen Industrieländer und der Süden vertreten durch die „Gruppe der 77“. Das UNCED-Sekretariat hatte die Kosten für eine wirkungsvolle Agenda 21 auf 625 Milliarden Dollar im Jahr beziffert, 125 Milliarden, ein Fünftel also, sollten aus dem Norden kommen. Die Vereinten Nationen haben erst kürzlich ausgerechnet, daß den Ländern des Südens durch unfaire Handelspraktiken, die Verschuldungskrise und die Schädigung ihrer Umwelt jährlich Verluste von 500 Milliarden Dollar entstehen. Die offizielle Entwicklungshilfe liegt bei knapp über einem Zehntel dieser Summe. Seit acht Jahren schon fließen mehr finanzielle Ressourcen aus dem Süden in den Norden als umgekehrt.
Um den Trend wieder umzudrehen, forderte der Süden in Rio erstens eine deutliche Erhöhung der Finanzleistungen und zweitens mehr Mitspracherecht bei der Verteilung dieser Ressourcen. Man wollte sich nicht mit luftigen Papieren zufriedengeben. So wurden die reichen Länder aufgefordert, 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts als Entwicklungshilfe an den Süden abzugeben. Spätestens im Jahr 2.000 müsse diese Forderung vollumfänglich erfüllt sein. Ideologische Schützenhilfe suchte man sich bei einem bemerkenswerten Mann: Robert McNamara. Der hatte dieselbe Forderung als Weltbankpräsident (!) schon vor zwanzig Jahren auf dem ersten Umweltgipfel in Stockholm erhoben. Es stehe außer Frage, daß die Industrieländer das leisten könnten, so McNamara damals. 1972 lag die Hilfe international im Schnitt bei 0,35 Prozent, dort liegt sie auch heute noch.
Aber der Streit ums Geld allein wird nicht viel weiterführen. Der Norden, der seine Verantwortung nicht grundsätzlich akzeptiert hat, ist in der Rezession offenbar nicht bereit, das 0,7 Prozent-Ziel zu akzeptieren und größere Summen für die Entwicklung des Südens bereitzustellen. Die Formel „as soon as possible“ verschleiert nur, daß die nächsten 20 Jahre genauso vergehen könnten wie die Jahre seit 1972 — ohne Fortschritt. Die von der EG und von Japan genannten Milliardensummen waren großteils vorher geplant und grenzen in der präsentierten Form an eine Verhöhnung der Weltöffentlichkeit.
Zwanzig Jahre nach Stockholm
„Wir sind doch hier fürs Leben, nicht für die Wiederwahl“, kommentierte eine Delegierte das Politikerspektakel. Doch Politiker und Diplomaten drehten sich in den gewohnten Bahnen. Das Treffen der über 100 Staats- und Regierungschefs habe international die Wichtigkeit des Themas deutlich gemacht. Doch das ist, mit Verlaub, 20 Jahre nach Stockholm und nach dem Ende des Kalten Krieges ein bißchen wenig. Die vergangenen 20 Jahre haben zwar weltweit eine Reihe umweltpolitischer Strukturen hervorgebracht, den katastrophalen Verbrauch an Natur global aber nicht zu reduzieren vermocht. Vor allem aber fehlten dem Treffen für den erhofften Bewußtseinskick selbst Visionen. Es war Jeremy Leggett von Greenpeace, der das stärkste Bild formulierte: Er sah den Globus auf tönernen Füßen stehen wie einst das Sowjetimperium. Wenn man eine Wende in der Energiepolitik einmal ernsthaft einleite, werde der Zusammenbruch der fossilen Energiewirtschaft schnell vonstatten gehen, so Leggett. Bei der UNCED- Konferenz war von solchen Visionen keine Spur: Die diplomatische Isolation der USA war tatsächlich schon das politisch deutlichste Zeichen des Gipfels. Auch Aufklärung hängt an Akteuren: Und wenn die Diplomaten nur die Kompromisse und die Politiker ihre Wiederwahl im Auge haben, versagen sie als Aufklärer jämmerlich. Hermann-Josef Tenhagen
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